Vor Frieden-Besuch / Auch als EU-Ratsvorsitzender provoziert Ungarns Premier Viktor Orban die Partner nach Kräften
Im eigenen Land scheint der Zenit seiner Popularität überschritten. Auf dem EU-Parkett nutzt Ungarns Premier Viktor Orban den Ratsvorsitz, um sich noch stärker als Europas Störenfried in Szene zu setzen. Bei den genervten Partnern mehren sich die Stimmen, Ungarns Schengen-Mitgliedschaft auf Eis zu legen. Am Donnerstag besucht Luxemburgs Premier Luc Frieden Orban in Budapest.
Fraglich ist, ob die vermeintlich neuen Fernbusse von Ungarns staatlicher Transportfirma „Volanbusz“ jemals ihr angebliches Ziel ansteuern oder gar erreichen werden. Aber schon jetzt haben die vom stellvertretenden Innenminister Bence Retvari in dieser Woche an der Grenze zu Serbien stolz präsentierten Stadtbusse mit der Aufschrift „Röszke-Brüssel“ ihren Propaganda- und Provokationszweck voll erfüllt.
„Wie lange wollen wir noch Provokationen aus einem Land tolerieren, das wir subventionieren?“, ärgert sich im fernen Belgien Brüssels sozialdemokratischer Bürgermeister Philippe Close über den EU-Partner, der als einer der größten Nettoempfänger in Europas Wohlstandsbündnis gilt. Der Grund für seinen Unmut: Ungarns Ankündigung, illegalen Grenzgängern künftig eine kostenlose Busfahrt nach Brüssel zu offerieren.
Wegen wiederholter Verstöße gegen das EU-Asylrecht hatte der Europäische Gerichtshof im Juni Budapest zu einer Rekordstrafe von 200 Millionen Euro verdonnert. Ungarns nationalpopulistische Regierung erachtet das Urteil als „ungerecht“. Statt die Strafe zu zahlen, droht Premier Viktor Orban nun mit dem Gratisbus: „Wenn Brüssel Migranten will, kann Brüssel sie bekommen.“
Gegen alles, immer
Wenn es in der EU „das Amt des größten Störenfrieds gäbe, wäre Orban der heißeste Anwärter auf den Posten“, schreibt das Portal des belgischen Rundfunks BRF: Ob sein Einsatz gegen die Unabhängigkeit der Justiz und der Medien oder seine unverhohlenen Sympathien für Kremlchef Wladimir Putin und andere autoritäre Regimes – „es gibt im Prinzip kein Dossier, bei dem Orban auf europäischer Ebene nicht querliegen würde“. Verlassen wolle der lautstärkste EU-Kritiker die EU allerdings nicht: „Denn das würde bedeuten, dass er und seine Günstlinge keine EU-Gelder mehr einstreichen könnten.“
Auf dem EU-Parkett zieht Ungarns streitbarer Vormann wie gewohnt gegen das „Diktat aus Brüssel“ vom Leder. Im eigenen Land ist sein Stern am Verblassen. Einbußen von fast acht Prozent erlitt seine Fidesz-Partei bei den Europawahlen im Juni. Bei den gleichzeitig steigenden Kommunalwahlen fielen die Bürgermeisterposten in vier der sechs größten Städte an die Opposition.
Obwohl der russophile Rechtsausleger den Zenit seiner Popularität im eigenen Land ausgereizt und überschritten zu haben scheint, nutzt Orban dem Budapest am 1. Juli zugefallenen EU-Ratsvorsitz, um sich noch stärker als bisher als notorischer EU-Quertreiber in Szene zu setzen.
Eigentlich soll die im Halbjahresrhythmus wechselnde EU-Ratspräsidentschaft dazu dienen, Minister- und Gipfeltreffen vorzubereiten – und für eine reibungslose Kooperation der Mitgliedstaaten zu sorgen. Doch statt wie gedacht als konstruktiver Moderator und ehrlicher Kompromissmakler tritt der neue EU-Klassensprecher als ebenso streit- wie selbstsüchtiger Quertreiber auf.
Orban vertrete „nicht die EU, sondern sich selbst“, konstatiert die ungarische Wochenzeitung HVG. Die stille Hoffnung in Brüssel, dass sich der Flurschaden der ungarischen EU-Präsidentschaft begrenzen und Orban moderatere Töne anschlagen könnte, hat sich bereits in deren ersten zwei Monaten als vergeblich erwiesen.
Mit Trumps Slogan
„Es ist an der Zeit, Europa wieder groß zu machen“, lautet das an den zurück ins US-Präsidentenamt drängenden Donald Trump erinnernde Motto von Ungarns Ratsvorsitz. Doch ob Orbans mit den EU-Partnern nicht abgestimmten „Friedensmissionen“ nach Kiew und Moskau, ob Ungarns kontroverse Lockerung der Einreisebedingungen für Russen und Weißrussen, ob die Torpedierung der Militärhilfen an die Ukraine oder Budapests jüngste Flüchtlingsbus-Kapriolen: Bei den genervten Partnern mehren sich die Stimmen, Ungarns Ratsvorsitz oder gar die Schengen-Mitgliedschaft auf Eis zu legen.
Orban und die Luxemburger: Von „Hallo, Diktator“ bis zum „Flüsterer“
Politiker aus Luxemburg und der langjährige Regierungschef Ungarns – es ist eine lange Geschichte aus Neckereien, Nickeligkeiten, heftiger Kritik und, vielleicht, falschen Annahmen.
Mit den Worten „Da kommt der Diktator“ hatte EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker den ungarischen Regierungschef beim EU-Gipfel in Riga im Jahr 2015 empfangen und ihn etwas zu gut gelaunt mit „Hallo Diktator“ und einer Ohrfeige begrüßt. Juncker beschwichtigte später, er nenne Orban bei gemeinsamen Gesprächen bereits seit Jahren „Diktator“.
2019 nahm der „Diktator“ dann sozusagen Revanche und ließ quer durch Ungarn Wahlplakate aufhängen, die ein sehr unvorteilhaftes Bild von Juncker und dem US-Milliardär George Soros zeigten und den beiden Männern vorwarfen, sie wollten den nationalen Grenzschutz schwächen und die EU-Länder dazu verpflichten, Flüchtlinge aufzunehmen.
Jean Asselborn (LSAP), Luxemburgs „ewiger“ Außenminister und mehrfach und von vielen Stellen als Mustereuropäer geadelt, legte sich ungezählte Male mit Orban an. Migrationsfragen, Rechtsstaat, Pressefreiheit, Asselborn kritisierte Orban auf fast allen politischen Themenfeldern. 2023 konstatierte Asselborn sogar zu Orban: „Da ist Hopfen und Malz verloren“ und dass Ungarn unter Orban ein Land sei, „das wir in der EU mitzuschleppen haben“.
Hat Luxemburgs seit vergangenem Herbst neue CSV-DP-Regierung einen frischen Wind in die ungarisch-luxemburgischen Beziehungen gebracht? Zu Beginn sah es dem Politmagazin Politico zufolge so aus. Die Politico-Journalisten, die nicht als zimperlich bekannt sind, bezeichneten Luxemburgs damals neuen Premier Luc Frieden nach einem ersten Gespräch als „Möchtegern-Orban-Flüsterer“. Frieden verwehrte sich kurz darauf diesen Vorwürfen und sagte, Politico habe ihn falsch zitiert und wohl auch nicht ganz richtig verstanden. Nach seinem ersten EU-Gipfel im Winter 2023 zeigte sich Frieden enttäuscht von Orban. Dieser denke nur an sich und nicht an Europa, hieß es damals sinngemäß von Frieden über Orban. Der ungarische Premier hatte damals gerade eine von der EU geplante Milliardenhilfe an die Ukraine mit seinem Veto blockiert.
Den diplomatischen Bock schoss Orban im Juli kurz nach der ungarischen Übernahme der EU-Ratspräsidentschaft ab, als er gleich mal nach Moskau zu Wladimir Putin und nach China zu Xi Jinping flog und diese ganze Egoshow eine „Friedensmission 3.0“ nannte. Mehrere nordische und baltische Staaten wollten daraufhin Ungarns Ratspräsidentschaft boykottieren. EU-Chefdiplomat Josep Borrell hatte in einer ersten Reaktion die Absage eines von Ungarn geplanten Außenministertreffens in Budapest angekündigt. Luxemburgs Außenminister Xavier Bettel fand diese Herangehensweise in einer Stellungnahme aber einen „Schwachsinn“, sich aber gleichzeitig darüber gewundert, „dass Orban nicht nach Pjöngjang gereist ist“.
Und nun am Donnerstag also Friedens erster Besuch als Premier bei Orban in Budapest. Eine Friedensmission wird das nicht. Eine Mission Friedens wird es aber allemal. (A.B.)
Als „schädlich, dreist und kontraproduktiv“ kritisierte die belgische Asylstaatssekretärin Nicole de Moor die von Budapest inszenierte „Show“ um die vermeintlichen Flüchtlingsbusse: Falls diese tatsächlich in Marsch gesetzt werden sollten, werde sich Belgien „weder bedrohen noch erpressen lassen“.
Der Unmut nimmt zu
Mit der Schaffung eines Lochs im EU-Grenzsystem für Russen und Weißrussen mache Budapest die Schengen-Bemühungen zum Schutz vor russischen Agenten zunichte, kritisiert die estnische Zeitung Eesti Päevaleht: „Der vorübergehende Ausschluss aus dem Schengensystem könnte eine wirksame Maßnahme sein, um den dortigen Wählern zu vermitteln, dass Autokratie nicht in die EU gehört.“
Unter dem „Deckmantel des Dialogs“ versuche Orban den Eindruck zu erwecken, dass die EU in der Ukraine-Frage gespalten sei, ärgert sich die schwedische Zeitung Dagens Nyheter: Es sei an der Zeit, „die Möglichkeit zu überprüfen, die ungarische Ratspräsidentschaft zu stoppen oder zumindest den Handlungsspielraum einzuschränken“.
Tatsächlich droht Ungarn derzeit weder das vorzeitige Ende des EU-Ratsvorsitzes noch der Schengen- oder gar ein EU-Rauswurf. Doch der Unmut nimmt zu: Ungarns bisherige EU-Präsidentschaft hat die Isolierung Budapests ebenso verstärkt wie das tiefe Zerwürfnis mit Visegrad-Partner Polen. Seine Karten scheint Orban vor allem auf die ersehnte Wiederwahl von Ex-US-Präsident Donald Trump zu setzen. Die Populistenzuneigung beruht auf Gegenseitigkeit. Ungarns Premier sei ein „kluger und harter Mann“ pries ihn Trump beim jüngsten TV-Duell mit Kamala Harris als einen „der am meisten respektierten Leader“.
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