Diskriminierung / Auch Österreich befindet sich im Clinch mit Orban
Österreich behandelt Viktor Orban zwar noch immer milder als andere EU-Partner. Das kann jedoch nicht über die tiefe Zerrüttung einer historischen Beziehung hinwegtäuschen.
Lange hatte die ÖVP in der Europäischen Volkspartei (EVP) opponiert gegen einen Ausschluss von Fidesz, dem Ungarns Premier vor drei Jahren mit dem Austritt seiner Partei zuvorgekommen war. Gerade die Konservativen pflegten seit dem Fall des Eisernen Vorhangs die alten Bande der k.u.k.-Monarchie. So ist es jetzt auch ÖVP-Bundeskanzler Karl Nehammer, der beim Boykott der ungarischen EU-Ratspräsidentschaft durch die EU-Kommission nicht mitmachen will. Man müsse Orban mit seiner unabgestimmten Vorgangsweise bei den Reisen zu Wladimir Putin, Xi Jinping und Donald Trump konfrontieren, dürfe aber nicht die Ratspräsidentschaft boykottieren. „Innerhalb der EU nicht mehr miteinander zu reden, ist die schlechteste aller Lösungen“, so der ÖVP-Chef.
Die Haltung der ÖVP ist auch genährt von der eigenen Boykott-Erfahrung des Jahres 2000, als ihre damalige Koalition mit der FPÖ von den EU-Partnern monatelang geschnitten worden war. Keinesfalls ist sie aber Ausdruck blinder Liebe. Denn Orban hat auch die früher tatsächlich sehr emotionale Beziehung zu Österreich massiv beschädigt. Der Konflikt spielt sich auf der wirtschaftlichen Ebene ab. Auch dort zieht der ungarische Rechtspopulist sein „Ausländer raus“-Prinzip durch, für das er bei der ÖVP nur in Bezug auf Flüchtlinge Verständnis hatte. Diese Gesinnung trifft aber nicht nur über den Balkan heranströmende Afghanen, Afrikaner oder Araber, sondern auch und besonders Österreicher.
Vertreibungssteuer
Waren es vor zehn Jahren österreichische Bauern, die in Ungarn Äcker gekauft hatten und mit einem neuen Bodengesetz vertrieben werden sollten, so sind es nun ausländische Investoren, die in den vergangenen drei Jahrzehnten Ungarns Aufschwung möglich gemacht haben und jetzt vertrieben werden sollen, um die zurückgelassenen Werte in der Orban-Clique verteilen zu können.
Viele von Schikanen betroffene Unternehmen reden nicht laut darüber, weil sie hoffen, die Ära Orban durchtauchen zu können. Der Handelskonzern Spar aber hat den von Orban hingeworfenen Fehdehandschuh aufgegriffen und führt seinen Kampf gegen existenzbedrohende Sondersteuern in aller Öffentlichkeit. 4,5 Prozent vom Jahresumsatz muss Ungarns zweitgrößter Lebensmittelhändler heuer zahlen, 2023 waren es 4,1 Prozent gewesen. Angesichts einstelliger Gewinnmargen im Einzelhandel geht das an die Substanz: Spar Ungarn verzeichnete im vergangenen Jahr einen Verlust von 48 Millionen Euro, weil allein die Steuer 90 Millionen Euro kostete.
Diskriminierung
Ungarns Regierung behauptet, dass die Sondersteuer für alle gelte und keine Diskriminierung ausländischer Konzerne darstelle. Tatsächlich ist sie jedoch so gestaltet, dass sie ungarische Unternehmen nur 0,15 bis maximal ein Prozent kostet. Denn ungarische Lebensmittelhändler sind auf Franchisebasis organisiert, deren einzelne Mitglieder niemals die für den Höchststeuersatz relevante Schwelle von 250 Millionen Euro erreichen. Die Umsätze der 600 Spar-Filialen mit ihren 16.000 Mitarbeitern werden dagegen addiert. 2023 waren das 2,3 Milliarden Euro.
Der naheliegende Ausweg, die Unternehmensstruktur den ungarischen Wettbewerbern anzugleichen, ist jedoch versperrt. Eine Umstrukturierung etwa auf Franchise hat die Regierung verboten.
Was es bedeutet, sich mit Orban anzulegen, bekam Spar vor ein paar Wochen zu spüren. Unmittelbar nachdem sich der Konzern im März bei EU-Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager über die Sondersteuer beschwert und die Einleitung eines Vertragsverletzungsverfahrens gefordert hatte, „sind wir von Hunderten Kontrolleuren überschwemmt worden und auf Herz und Nieren überprüft worden und natürlich auch bestraft worden für das eine oder andere“, berichtete Spar-Sprecherin Nicole Berkmann diese Woche. Offen spricht sie aus, worum es der Budapester Regierung wirklich geht: „Sie wollen uns loswerden!“
Greift Brüssel ein?
Spar denkt freilich nicht an Kapitulation. Spar will bleiben und die Nummer eins, den von der Steuer ebenso betroffenen deutschen Lidl-Konzern, überholen. Die österreichische Regierung steht Spar im Kampf gegen Orbans Schröpfsteuer bei. Außenminister Alexander Schallenberg (ÖVP) hat bereits bei EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen die Einleitung eines Vertragsverletzungsverfahrens gegen Ungarn gefordert. Die ungarischen Steuergesetze seien „einfach europarechtswidrig und diskriminierend, weil sie übermäßig auf ausländischen Unternehmen, insbesondere auf österreichische Unternehmen, lasten“, so Schallenberg.
Spar-Vorstandschef Hans K. Reisch wurde kürzlich von Vestager empfangen. Laut Sprecherin Berkmann habe man „positive Signale“ vonseiten der Kommissarin vernommen. Orban könnte also bald das nächste Problem mit Brüssel bekommen.
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