Gemeindepolitik / Auf dem Weg zum Proporz: Leudelingen wächst und klagt
In Leudelingen stehen die Zeichen auf Wachstum und Proporz. Ein neuer Teilbebauungsplan ist verabschiedet und fünf weitere stehen in den Startlöchern. In diesem Kontext ist das Anliegen der neuen Gemeindeführung umso wichtiger: Bürgermeister Lou Linster will mit allen Mitteln vermeiden, dass die Südgemeinde im Speckgürtel der Hauptstadt zur Wohn- und Schlafstätte verkommt und finanziell vernachlässigt wird.
Richtig eingerichtet hat der neue Bürgermeister der Gemeinde Leudelingen, Lou Linster (31), sich noch nicht in seinem geräumigen Büro. Die übliche Büroausstattung ist geblieben, aber die Wände zieren noch Bilder seiner Vorgängerin. Das einzige Persönliche, das er bislang beigesteuert hat, ist ein bedruckter Teller aus der Ukraine. Es ist ein Dankeschön der Bürger von Vasylkiv für den 100. Lkw mit Hilfsgütern aus Leudelingen.
Seit 1999 unterstützt die Initiative „Hëllef fir ukrainesch Kanner“ Schulkinder in dieser Region. Mit an Bord waren im August 2023 Schulbänke und Spielsachen. Gerade mal zwei Monate im Amt, hat Linster den Hilfstransport begleitet und den Teller als Andenken mitgebracht. Ein Neuling ist das DP-Mitglied allerdings nicht in der Politik. 2017 kandidiert er zum ersten Mal für den Gemeinderat und schafft den Einzug.
2023 geht er als Spitzenkandidat mit der Bürgerliste „Zesumme fir Leideleng“ in die Wahlen und bringt alle neun Kandidaten der Liste in den Gemeinderat. Der Zeitpunkt ist perfekt. Das alte Team um Bürgermeisterin Diane Feipel-Bisenius zog sich vor den Wahlen geschlossen aus der Politik zurück. Um Mehrheiten braucht er also für seine Ideen nicht zu kämpfen, obwohl der Abschluss bereits begonnener Projekte momentan Vorrang hat.
Mit dem neuen Dorfkern soll Lebendigkeit einziehen
Leudelingen ist auf Wachstumskurs und eine neue Grundschule samt „Maison relais“ für rund 250 Kinder entsteht. Wie überall im Land gibt es auch hier Verspätungen wegen Corona und des Ukraine-Kriegs. Das sind Altlasten genauso wie der letzte verabschiedete Teilbebauungsplan. Leudelingen wächst. Umso wichtiger ist Linster und seinem Team die Erfüllung ihres Wahlkampfmottos, das „lieweg Gemeng fir jiddereen“ hieß.
Lebendig ist es dann, wenn die soziale Komponente stimmt. Und da gibt es einiges zu tun. Es gibt kein Geschäft in der etwas mehr als 2.700 Einwohner zählenden Gemeinde – ganz zu schweigen von einem Bistro oder einem Platz, wo sich die Einwohner treffen könnten. Das soll sich ändern. Die place de Lavoir ist dafür auserkoren und soll im Shared-Space-Verfahren fußgängerfreundlich umgestaltet werden. Und sie wird bebaut.
Zwei neue Gebäude sollen Platz für ein Bistro sowie eine Nahversorgung mit Lebensmitteln und 25 bezahlbare Wohneinheiten schaffen. Wenn neben der üblichen jährlichen Fluktuation von 10 Prozent bei den Einwohnerzahlen viele weitere hinzukommen und der Übergang von Majorz zu Proporz ansteht, gewinnen Ansinnen wie diese noch mehr an Gewicht als jetzt schon. Infrastrukturell ist die Gemeinde, wenn die Schulgebäude stehen, gewappnet.
Viele Arbeitsplätze, aber keine Gewerbesteuern
Das Kultur- und Vereinshaus ist ebenfalls auf 5.000 Einwohner ausgelegt. Ein Dorn im Auge der neuen Mehrheit ist, dass dessen Brasserie seit geraumer Zeit leer steht. Auch das soll sich ändern. Zwischen all dem fällt jedoch auf, dass Leudelingen mit krassen Gegensätzen lebt. Einerseits gibt es noch viel Grün, das mancherorts direkt an die Bauten der Neubürger reicht wie im „Eelchesgewan 1“, einem neu entstandenen Viertel der Gemeinde.
Andererseits zeugen alte Bauernhäuser und noch sage und schreibe sechs aktive Bauern von dem ländlich gebliebenen Charakter der Gemeinde, obwohl sie direkt an einen Ballungsraum grenzt. Zahlen belegen den Eindruck. 1.300 Hektar groß ist Leudelingen insgesamt und nur rund 120 Hektar sind besiedelt. Auf weiteren 90 Hektar haben sich Firmen in Gewerbezonen angesiedelt. Land und Platz gibt es also genug. Außerdem hat die Vorgängermehrheit Gelände aufgekauft, was Linster ihr zugute hält.
Die Aktivitäten in den Gewerbezonen sind rege und zeigen eine weitere Besonderheit. Auf jeden Einwohner kommen vier Arbeitsplätze, was die stolze Zahl von 12.000 ergibt. Transport-, Versicherungs- oder Glücksspielunternehmen wie die Loterie Nationale und Lebensmittelgrossisten wie La Provençale schätzen die Nähe zur Hauptstadt. Ob sich allerdings der Traum der Gemeindeverantwortlichen erfüllt, dass die Leudelinger in den umliegenden Firmen arbeiten, ist ungewiss.
Starker Verkehr plagt die Gemeinde. Schön wäre es, denn sanfte Mobilität ist ebenfalls einer der Schwerpunkte. „Wir werden voraussichtlich nicht auf zwei Stellplätze für Pkws pro Wohnung pochen“, sagt Linster zu den geplanten Neubauten. Ein Argument, auf das Auto zu verzichten, dürfte sein, dass die schnelle Tram ab 2028 in der Gewerbezone „Poudrerie“ halten soll. Ein geplanter Busbahnhof soll die gute öffentliche Anbindung abrunden.
Mit Arbeitsplätzen in dieser Größenordnung müsste Leudelingen über die Gewerbesteuer eigentlich im Geld schwimmen. Tut die Gemeinde aber nicht. Im Gegenteil: Das weitaus meiste dieser Einnahmen geht in den staatlichen „Fonds de dotation globale des communes“ (FDGC) und wird an andere Gemeinden verteilt. „Ungerecht“, argumentieren die Gemeindeverantwortlichen. Eine Klage auf höchstrichterlichem Niveau läuft.
Grund zur Klage: Der Finanzausgleich
Nicht nur Leudelingen ist der Meinung, dass die Gemeindefinanzreform von 2016 ungerecht ist. Niederanven hat ebenfalls geklagt. Eine der größten Änderungen der Reform ist die Tatsache, dass die Gemeinden nur noch einen Teil der Gewerbesteuereinnahmen behalten dürfen, der Rest fließt in den großen Topf namens FDGC. Diese staatlichen Zuwendungen werden anschließend nach einem komplizierten Schlüssel unter den Gemeinden verteilt, der die Bevölkerungsdichte und die Bedeutung der Gemeinde („Centre de développement et d’attraction“) berücksichtigt. Im Falle des (noch) dünn besiedelten Leudelingens heißt das konkret: Im Jahr 2022 hatte die Gemeinde ein Gewerbesteueraufkommen von 23,3 Millionen, durfte aber nur 1,4 Mio. Euro behalten. Durch die Tatsache, dass gleichzeitig 1,4 Millionen Euro als kommunaler Anteil in den „Fonds pour l’emploi“ geflossen sind, gerät das Ganze auf Einnahmenseite zum Nullsummenspiel. Die Zahlen stammen von einer Tabelle aus dem Innenministerium, die der Antwort auf die parlamentarische Anfrage Nr. 7429 angehängt war. Daraus geht auch hervor, dass Leudelingen bei 23,3 Mio. erwirtschafteten Euro 2022 Gewerbesteuern von gerade mal 10,3 Mio. Euro aus dem FDGC erhalten hat. Und die Tabelle zeigt, dass Esch/Alzette, die Hauptstadt oder Diekirch und Mersch keine Beiträge zur Arbeitslosenversicherung einzahlen. Eine Entscheidung der Gerichte wird für 2024 erwartet.
Budget 2024
Ordentlicher Haushalt:
Einnahmen: 19,7 Mio. Euro
Ausgaben: 17,8 Mio. Euro
Außerordentlicher Haushalt:
Einnahmen: 14,7 Mio. Euro
Ausgaben: 24,5 Mio. Euro
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