Forschung / Auf der sicheren Seite: Die Wahrscheinlichkeit schwerer Beben ist in Luxemburg sehr gering
In Luxemburg bildet das „Europäische Zentrum für Geodynamik und Seismologie“ (ECGS) den hiesigen Knotenpunkt für internationale Netzwerke, mit denen man Erdbewegungen beobachtet und auswertet. Im Gespräch erklärt der wissenschaftliche Direktor, Dr. Adrien Oth, was man mit den Daten anfangen kann, was nicht und wie fern Luxemburg von einem Beben ist, wie es kürzlich die Türkei und andere Länder getroffen hat.
Tageblatt: Dr. Oth, Sie arbeiten als Seismologe in Luxemburg. Das liegt aber doch eher weit entfernt von den klassischen Erdbebengebieten, oder?
Dr. Adrien Oth: Richtig, wir haben wenig seismische Aktivität, aber natürlich würde es keinen Sinn machen, wenn Luxemburg ein weißer Fleck auf der Karte der Messstationen wäre. Wir wollen ja auch wissen, was es an Mikro-Seismizität, also an kleinster Aktivität, gibt – auch, um zu wissen, welche Bodenbewegungen wir erwarten müssen.
Das Beben in der Türkei und Syrien haben Sie ja hier auch feststellen können …
Sehr deutlich. Wenn ein Erdbeben stattfindet, werden ja verschiedene Wellentypen freigesetzt, die sich mit einer gewissen Geschwindigkeit in der Erde fortbewegen.
Wie lange dauerte es, bis die Wellen hier waren?
Das liegt so in der Größenordnung von etwa einer Minute. Nach einem Erdbeben in Neuseeland kommen die ersten „P-Wellen“ hier nach etwa 20 Minuten an. Und dann kommt langsam, aber sicher das gesamte Wellenfeld hinterher.
Das ECGS
Das „Europäischen Zentrum für Geodynamik und Seismologie“ mit Hauptsitz und Labor in Walferdingen wurde 1988 begründet. Bereits 1963 wurden in Luxemburg erste gravimetrische Messungen zur Erdschwere in den Kasematten gemacht.
Mit der Ausweitung der Stadt Luxemburg wurde der Standort aber unattraktiv. Man bezog dann eine alte Gipsmine in Walferdingen, die später zum unterirdischen Labor ausgebaut wurde.
Die Breitbandstation dort ist unter anderem ans weltweite Netzwerk des Geoforschungszentrums in Potsdam angebunden. Sechs Wissenschaftler und Ingenieure plus eine Sekretärin sorgen aktuell dafür, dass auch Luxemburg seinen internationalen Beitrag zum Verständnis von Erdbewegungen leistet.
Was können Sie zu dem aktuellen Beben sagen?
Grundsätzlich war das nicht überraschend, wobei die Stärke von 7,8 schon sehr, sehr stark war, aber im Rahmen dessen, was man im dortigen tektonischen Kontext erwarten kann. Die Ostanatolische Verwerfung war jetzt lange relativ ruhig, es ist aber klar, dass sie eine große Rolle im tektonischen Geschehen spielt – und dass dort auch starke Beben im Bereich von über sieben auf der Magnituden-Skala stattgefunden haben.
Wobei es ja mehrere Beben waren …
Ja, es gab ein zweites starkes Beben mit 6,7 zehn Minuten nach dem ersten und dann, Stunden später, ein zweites Beben mit Magnitude 7,5. Auch das war nicht überraschend, aber natürlich sehr unglücklich. Man muss sich immer sehr lange auf starke Nachbeben einstellen. Das ist ein bekannter Aspekt, der auch die Rettungsarbeiten stark erschwert.
Die Gegend dort ist offenkundig sehr anfällig für starke Beben.
Ja, es ist auch kein Geheimnis, dass man schon lange ein starkes Beben im Bereich des Marmarameeres und vor der Haustür Istanbuls erwartet. Darauf „wartet“ man im Prinzip. Wie stark es wird, fällt in den Bereich einer Vorhersage, die so nicht möglich ist – man kann aber wohl von einem Beben jenseits der 7er-Grenze ausgehen.
Welche Art von Vorhersagen kann man überhaupt treffen und wie viel Zeit hat man dann noch?
Eine Vorhersage ist nach aktuellem Wissenstand gar nicht möglich. Ob es physikalisch überhaupt möglich ist, ein Beben jemals vorherzusagen, da gehen die Meinungen durchaus auseinander.
Wir bleiben der Erde ausgeliefert. Entschuldigung, aber wozu gibt es Ihre Disziplin überhaupt?
Natürlich ist die Idee einer genauen Vorhersage eine reizvolle Vorstellung. Aber die Fokussierung in der breiten Öffentlichkeit darauf ist manchmal etwas irreführend, wenn darüber die Fortschritte unserer recht jungen Wissenschaft übersehen werden.
Die da wären?
Wir bekommen immer bessere Modelle, auch von der Physik der Erdbebenherde und können besser abschätzen, welche Bodenbewegung man bei einem Beben erwarten muss. Nach Gefährdungsabschätzungen erstellen wir dann entsprechende Karten. Das hilft schon sehr, wenn man weiß, an welchen Orten man besser erdbebensicher bauen sollte.
Wie groß ist also die allgemeine Gefahr, dass in Luxemburg etwas passiert? Was sind denkbare Magnituden?
Also: Wir reden sowieso nur von sehr, sehr kleinen Wahrscheinlichkeiten. Mit unserem Netzwerk hier messen wir sehr selten mal kleinere Beben, in der Größenordnung Magnitude anderthalb bis zwei: Das kann man eigentlich gar nicht spüren. Luxemburg liegt ja recht zentral auf der europäisch-asiatischen Platte. Wir haben also nicht das Problem der Plattengrenzen-Seismizität, wie wir das jetzt in der Türkei gesehen haben. „Intra-Plattenbeben“ gibt es zwar auch, aber die haben allgemein viel längere Wiederkehrzeiten als Beben an den Plattenrändern. Und wir haben auch historisch keine bemerkenswerte Aktivität: Wenn man sich Quellen über Erdbeben der letzten 1.000 Jahre ansieht, dann ist Luxemburg im Prinzip ein weißer Fleck. Es ist also sehr unwahrscheinlich, dass Sie oder ich je in unserem Leben ein schweres Beben hierzulande erleben werden.
Was natürlich von uns nicht allzu weit weg ist, ist die niederrheinische Bucht, der Oberrheingraben und dann natürlich die Ardennen, das Brabant-Massiv, das sind so die Regionen in unserer Nähe, die seismisch aktiv sind. 1692 gab es das Verviers-Erdbeben in den belgischen Ardennen, rund 100 Kilometer vor unserer Haustür: das stärkste historisch bekannte Erdbeben in Westeuropa mit einer geschätzten Magnitude von 6,2. Solche Events sind also möglich, aber eben sehr, sehr selten.
Und wenn es dann doch passiert?
Solch ein Beben wäre für Luxemburg nicht so katastrophal wie das, was jetzt in der Türkei und Syrien passiert ist. Wir würden sicher, vor allem im Norden des Landes, einige Schäden haben und ansonsten den Impakt eines solchen Erdbebens ökonomisch-sozial spüren. Es würde jedenfalls nicht unbemerkt an uns vorbeigehen.
Aber wäre es nicht besser, es gäbe ab und zu ein kleines Beben, damit sich die Spannung nicht aufstaut?
Das kann man so nicht sagen, weil es nicht dem Stand der Wissenschaft entspricht. Die Energie, die bei einem Beben freigesetzt wird, folgt ja auch einem logarithmischen Gesetz. Wenn ich zum Beispiel ganz viele Beben mit der Magnitude zwei oder drei habe, da kann ich ganz viele von haben – die setzen aber sowieso nur einen ganz winzigen Bruchteil frei von der Energie eines Bebens der Magnitude sieben oder, wie jetzt, fast acht.
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