Sonderfall JIF? / Auf der Suche nach den Demonstrationsbestimmungen im Behördendschungel
Für wen gelten welche Demonstrationsbedingungen in Luxemburg-Stadt? Entscheidet das Ministerium für Innere Sicherheit oder liegt die Entscheidungskompetenz doch bei der Bürgermeisterin? Das Tageblatt hat nachgeforscht – und bei den Recherchen mehrere Widersprüche aufgedeckt.
Die Organisationsplattform für den Frauenstreik „Journée internationale des femmes“ (JIF) hat sich am 8. März auf einer Pressekonferenz darüber beschwert, dass ihre Demo in den „Schwurbelperimeter“ verbannt wurde, wie Michelle Cloos vom OGBL die ausgewiesene Demo-Zone zwischen Glacis und place de l’Europe nannte. „Ich befürchte, dass die Stadt mit der Demo-Zone eine Büchse der Pandora geöffnet hat, um alle Demonstrationen von der Innenstadt fernzuhalten“, sagt auch Maxime Miltgen, Präsidentin der Femmes socialistes. Miltgen bezeichnete die Verlegung der Demo auf der Pressekonferenz am Montag als Eingriff in die Grundrechte. Cloos sieht die Sache ähnlich: „Die Politik muss jetzt klare Kante zeigen“, sagt sie und fordert ein Eingreifen der Regierung. „Die Regierung darf sich nicht hinter den Gemeinden verstecken.“
„déi Lénk“ wollte in einer parlamentarischen Anfrage wissen, ob die Demo wirklich in den „Schwurbelperimeter“ verlegt werden müsse. Die Anfrage jedoch wurde als unzulässig erklärt – „weil mit der expliziten Nennung der Stadt Luxemburg in drei der vier Fragen die Gemeindeautonomie Vorrang hat“, erklärt Parlamentspräsident Fernand Etgen auf Tageblatt-Anfrage. „Bei einigen Punkten können wir uns einfach nicht einmischen.“ Die Gemeindeautonomie sei eines dieser Themenkomplexe. „Sonst bekommen wir zu jeder kleinen Gemeinde im Ösling parlamentarische Anfragen“, schmunzelt der DP-Politiker. Dabei habe man mit der Anzahl der Anfragen sowieso schon genug zu tun.
„Wir werden keine Ruhe geben und die parlamentarische Anfrage dann umformulieren“, meinen die beiden Linken-Abgeordneten Nathalie Oberweis und Myriam Cecchetti gegenüber dem Tageblatt. „Mir ginn eis net“, stellt Cecchetti klar. Nathalie Oberweis hingegen findet den Demonstrationsperimeter grundsätzlich problematisch. „Menschen auf einer Demonstration wollen gehört werden – da ist der Weg über die ‚roud Bréck’ vielleicht nicht der richtige Ort.“ Dass der Frauenstreik einer Bewegung, die seit Jahren friedlich demonstriere, eingeschränkt werden soll, findet die Linken-Abgeordnete ein absolutes No-Go. „Ich habe das Gefühl, dass von der bestehenden Regelung profitiert wird, um alle dorthin zu verbannen.“ Ob die Linken, um diesen Missverständnissen vorzubeugen, ein Demonstrationsgesetz bevorzugen würden? „Wir sind einem Demonstrationsgesetz gegenüber doch sehr kritisch eingestellt, da das mit einer repressiven Note daherkommt“, sagt Oberweis.
Allgemeine Verwirrung
Ein Anruf bei Luxemburgs Bürgermeisterin sollte also für Klarheit sorgen, wenn es sich um einen Fall der strikten Gemeindeautonomie handelt, oder? „Wir hatten gestern eine gute Aussprache mit den Organisatorinnen des Frauenstreiks am 8. März, sowie mit der Polizei“, sagt Lydie Polfer gegenüber dem Tageblatt. Den Organisatorinnen habe man noch keine schriftliche Absage oder Zusage zum Demonstrationsort zukommen lassen. Lediglich eine erste Einschätzung aus dem Generalsekretariat der Gemeinde, dass der Demo-Perimeter für jeden gelte, sei an die JIF gegangen. „Der Demo-Perimeter ist eine provisorische Maßnahme, nach den Ferien werden wir uns bei einem weiteren Treffen noch einmal austauschen.“ Bis dahin werde man die Sachlage noch einmal analysieren.
Die Entscheidung für oder gegen den Perimeter sei nach den Ausschreitungen im Dezember getroffen worden – jetzt müsse man überdenken, wie lange diese Maßnahme noch nötig sei. „Diese Entscheidung treffe nicht ich“, meint die DP-Bürgermeisterin mit Verweis auf das Ministerium für Innere Sicherheit. „Das fällt in den Zuständigkeitsbereich der Polizei und des Ministeriums.“
Milena Steinmetzer, Mitorganisatorin des Frauenstreiks, bestätigt gegenüber dem Tageblatt die Aussprache zwischen der JIF, der Stadt Luxemburg und den Polizeibehörden. „Lydie Polfer hat uns gegenüber erwähnt, dass sie es uns derzeit nicht erlauben können, außerhalb des Perimeters zu streiken, da sonst auch die Schwurbler wieder ‚raus‘ dürfen“, sagt Steinmetzer. „Der Demonstrationsperimeter müsse für jeden gelten.“
Tatsächlich widerspricht das der ursprünglichen Argumentation des Polizeiministers Henri Kox („déi gréng“) auf der Pressekonferenz vom 9. Dezember 2021 (LINK zur Pressekonferenz bei RTL), auf der die Demo-Zone erstmals angekündigt wurde. „In seiner Rede im Parlament hat Premierminister Xavier Bettel auf das Demonstrationsrecht und die Meinungsfreiheit hingewiesen – eine Demonstration dürfe aber nicht dazu benutzt werden, Angst zu verbreiten“, sagte Kox am 9. Dezember 2021. „Deswegen hat er vorgeschlagen, dass wir einen Demonstrationsperimeter festlegen.“ Die Regierung, die Stadt Luxemburg und die Polizei seien zusammengekommen, um eine solche Zone zu definieren, sagte Kox damals in seiner Begründung. Bürgermeisterin Lydie Polfer, die auf der Pressekonferenz ebenfalls zugegen war, bestätigte die Argumentationsweise von Henri Kox. „Das ist eine außergewöhnliche Maßnahme“, sagte Polfer. „Aber es sind Maßnahmen als Antwort auf außergewöhnliche Umstände und auf das, was letzten Samstag (4. Dezember, Anm. der Red.) passiert ist.“
JIF will sich wehren
Ein Widerspruch, den auch die Streikbewegung des JIF erkannt hat und nun dagegen vorgehen will. „Wir haben ein juristisches Gutachten angefordert“, sagt Steinmetzer. Ein zusätzliches Problem stelle aber auch der Umstand dar, dass keiner für diese Entscheidung verantwortlich sein will. „Die Bürgermeisterin hat den Ball weiter an Polizei und das Ministerium für Innere Sicherheit weitergegeben, mit dem Argument, dass der Demonstrationsperimeter nicht in ihre Entscheidungskompetenz falle.“ Für den 22. Februar habe man sich auf einen neuen Termin verständigt, sagt Steinmetzer. „Die Behörden wissen, dass die derzeitige Lage ein Problem darstellt.“ Nicht nur für die JIF, die langsam unter Zeitdruck gerate, sondern auch für alle weiteren Demonstrationen, wie die der Gewerkschaften am 1. Mai.
Das Demonstrationsrecht ist in Luxemburg durch Artikel 25 der Verfassung geschützt. Darin steht, dass das Recht, sich zu versammeln, ausschließlich durch Gesetze und Polizeireglemente eingeschränkt werden kann.
Art. 25. La Constitution garantit le droit de s’assembler paisiblement et sans armes, dans le respect des lois qui règlent l’exercice de ce droit, sans pouvoir le soumettre à une autorisation préalable. Cette disposition ne s’applique pas aux rassemblements en plein air, politiques, religieux ou autres; ces rassemblements restent entièrement soumis aux lois et règlements de police.Article 25
Eine Anfrage des Tageblatt an das Justizministerium wurde von der zuständigen Pressestelle folgendermaßen beantwortet: „Wir waren nicht Teil dieser Abmachung und würden Sie an das Ministerium für Innere Sicherheit weiterleiten.“ Ähnlich auch die Antwort auf Anfrage an die Pressestelle der Polizei: „Wir bitten Sie, sich diesbezüglich an das Ministerium für Innere Sicherheit zu wenden.“
Ministerium oder Gemeinde?
Die Antwort aus dem Ministerium für Innere Sicherheit stellt klar, dass die Demo-Zone derzeit für jede Demonstration auf dem Gebiet der Stadt Luxemburg gilt. Die Entscheidung basiere auf einer Risikoanalyse der Polizei, bei der unter anderem analysiert wird, ob eine „Infiltrationsmöglichkeit unter den Demonstranten“ besteht. „Momentan wurde aber noch keine Entscheidung für den Streik der JIF getroffen“, schreibt eine Pressesprecherin des Ministeriums für Innere Sicherheit. „Polizeiminister Henri Kox hat vollstes Vertrauen, dass die betroffenen Personen zu gegebener Zeit eine Entscheidung treffen werden, die für die Demonstranten, die zugeteilten Polizeibeamten und unbeteiligte Dritte am besten ist.“ Sollte die Demo-Zone aber aufgehoben werden, werde dies aufgrund des „Gleichheits- und Neutralitätsprinzips“ für sämtliche Demonstrationen der Fall sein.
Auf Nachfrage, wo die genauen Bestimmungen hinsichtlich des Demo-Perimeters denn schriftlich festgehalten worden sind, verweist das Ministerium für Innere Sicherheit auf die Gemeinde Luxemburg: „Es handelt sich hierbei um ein Gemeindereglement.“
„Nein, ein solches Reglement gibt es nicht“, sagt Polfer auf erneute Anfrage. „Unser Reglement sieht lediglich vor, dass die Demonstration acht Tage im Voraus angemeldet wird.“ Dann werde in Anbetracht der gemeinsamen Vereinbarung mit dem Ministerium und der Polizei über die Rahmenbedingungen der Demo Rücksprache gehalten. „Anschließend werden die genauen Umstände in einem Brief des Bürgermeisters an die Organisatoren aufgelistet“, stellt Polfer klar.
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