Großbritannien / „Auf gute Ideen gibt es kein Monopol“: Premier Starmer stößt erste Reformprojekte an
Als eine seiner ersten Amtshandlungen ist der neue britische Premierminister Keir Starmer durchs britische Königreich getourt. Der Labour-Politiker hat sich eine bessere Zusammenarbeit mit den Regionen auf die Fahne geschrieben.
Bessere Zusammenarbeit mit den Regionen, eine umfassende Reform der Strafjustiz, das Ende des Ruanda-Asylplans – die neue Labour-Regierung Großbritanniens hat am Wochenende nach ihrem Erdrutschsieg bereits erste Pflöcke eingeschlagen. Premierminister Keir Starmer begab sich am Sonntag auf eine Rundreise durchs Vereinigte Königreich, von Schottland über Nordirland und Wales zurück nach London. Vor seiner Abreise zum NATO-Gipfel in Washington werde er am Dienstag die Bürgermeister und Regierungspräsidenten der englischen Regionen treffen, unabhängig von ihrer Parteizugehörigkeit. Er sei kein ideologisch festgelegter Politiker, sagte der Sozialdemokrat: „Auf gute Ideen gibt es kein Monopol.“
Bei der Pressekonferenz am Samstag unterschied sich wie schon in der Antrittsrede vor der Downing Street am Freitag Starmers Ton wohltuend von den bis zur Fälschung vereinfachenden Parolen seiner Tory-Vorgänger. „Wir können die Probleme nicht über Nacht beseitigen“, betonte der 61-Jährige, die Arbeit habe auf diversen Politikfeldern aber bereits begonnen. „Veränderung wird kommen, aber mit unterschiedlicher Geschwindigkeit.“
Notwendige Reformen
Ausdrücklich betonte Starmer die Notwendigkeit einer umfassenden Reform der Strafjustiz. Die Insel hat seit langem pro Kopf der Bevölkerung so viele Strafgefangene wie kein anderes Land Westeuropas. Auf Druck vergangener Regierungen beiderlei Couleur, angefeuert von den rabiaten Boulevardmedien, haben die Gerichte immer längere Freiheitsstrafen verhängt, ohne dass gleichzeitig die Kapazität der Gefängnisse entsprechend ausgebaut wurde. Dabei sei für den Bau neuer Knäste sogar Geld eingeplant gewesen, berichtete Starmer, aber: „Die Hälfte der Mittel wurde nicht eingesetzt.“
Verantwortlich dafür seien unter anderem Bestimmungen des Bau- und Planungsrechts, die Blockaden zur Folge haben, argumentierte Labour im Wahlkampf. Eine rasche Reform werde nicht nur den Bau hunderttausender neuer Wohnungen ermöglichen, sondern auch Investoren aus dem Ausland zum Engagement auf der Insel ermutigen. „Politische Stabilität und Planungssicherheit“ betonen Starmer und seine neue Finanzministerin Rachel Reeves bei jeder Gelegenheit als Anreize für Privatinvestitionen.
Intensivpatient NHS
Rasche, sichtbare Fortschritte braucht die neue Regierung vor allem im Gesundheitssystem NHS, wo 7,5 Millionen Patienten auf Termine bei Fachärzten, den Beginn ihrer Krebsbehandlung oder kleinere operative Eingriffe warten. Der neue Minister Wes Streeting ist für die kommende Woche mit den Vertretern der Krankenhausärzte verabredet, die seit mehr als einem Jahr durch ihre Streiks für mehr Geld die Situation zusätzlich verschlimmern. Dringende Gespräche muss auch Wirtschaftsminister Jonathan Reynolds mit dem indischen Stahl-Giganten Tata führen; dessen marodes Werk im walisischen Port Talbot dürfte ohne massive staatliche Finanzspritzen dem Untergang geweiht sein.
Bei der Regierungsbildung hat Premier Starmer auf Überraschungen verzichtet: Wer in der Opposition ein bestimmtes Ressort beschattete, hat nun dessen Führung übernommen. Am Kabinettstisch sitzen je elf stimmberechtigte Männer und Frauen; im Vergleich zur Tory-Führungsriege unter Rishi Sunak gibt es weniger Angehörige ethnischer Minderheiten. Lediglich zwei Ministerinnen haben eine Privatschul-Ausbildung erhalten, was im klassenbewussten Königreich als wichtiger Faktor für die deutlich größere Volksnähe der Regierung gewertet wird.
Mit zwei Berufungen auf Staatssekretärsebene hat Starmer ein deutliches Zeichen für seine Überparteilichkeit gesetzt. Im zuständigen Ressort soll der frühere unabhängige Wissenschaftsberater Patrick Vallance seine Expertise einbringen; den kühlen Pharmakologen, 64, kennen die Briten von den täglichen Pressekonferenzen während der Covid-Pandemie. In der Fachwelt für Begeisterung sorgte die Ernennung des Servicesektor-Managers James Timpson. Der 52-Jährige interessiert sich seit langem für den Umgang der Gesellschaft mit Gesetzesbrechern, deren Bestrafung und Rehabilitierung; sein gleichnamiges Unternehmen beschäftigt eine Vielzahl entlassener Strafgefangener. Timpsons Bruder war zuletzt konservativer Unterhaus-Abgeordneter, auch der Manager selbst galt als den Torys nahestehend.
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