Verteidigung / Auftakt des NATO-Gipfels in Washington im Zeichen der Ukraine
Ein greiser US-Präsident und ein Beitrittsaspirant im Krieg. Die NATO feiert in dieser Woche beim Gipfel der Staats- und Regierungschefs ihre Gründung vor 75 Jahren unter ganz besonderen Vorzeichen. Das transatlantische Bündnis ist mit dem Ukraine-Krieg gefordert wie lange nicht und verfolgt dabei auch ein eigenes Ziel: Die NATO will nicht Kriegspartei werden.
Jens Stoltenberg ist dreimal gefragt worden. Der NATO-Generalsekretär hat dreimal an der Frage vorbei geantwortet. Welchen Eindruck er von Joe Biden habe, ob der 81 Jahre alte US-Präsident noch den Strapazen des Amtes gewachsen sei? Ab Dienstag trifft sich das mächtigste Verteidigungsbündnis der Welt in Washington zu seinem historischen Gipfel, um erstens die eigene Gründung vor 75 Jahren zu feiern und zweitens die weitere militärische Unterstützung für die Ukraine in deren Abwehrkampf gegen Russland zu organisieren. Alles kann die NATO dazu gebrauchen, aber keinen US-Präsidenten, der angezählt ist. Schon jetzt die bange Frage: Packt Biden einen solchen Gipfel mit langen Tagen noch? Stoltenberg lässt an Biden, an dessen Fitness und Gesundheitszustand nach dem ersten TV-Duell mit Herausforderer Donald Trump massiv Zweifel aufgekommen waren, selbstredend kein schlechtes Haar. Der Norweger muss als Generalsekretär der nordatlantischen Allianz vor dem Gipfel zum 75. Geburtstag des Bündnisses in dieser Woche alle Fäden zusammenhalten, erst recht zur NATO-Führungsmacht USA. Er sei Biden dankbar für „sein Engagement und seine Führung“ – für die NATO und seit dem russischen Angriff auch für die Ukraine. „Ich kann Präsident Biden für sein starkes persönliches Engagement nur danken“, sagt Stoltenberg vor seinem eigenen letzten NATO-Gipfel, bevor er den wichtigsten politischen Posten der Allianz an den Niederländer Mark Rutte übergeben wird. Er habe mit Biden „viele gute Treffen“ gehabt, auch schon zu einer Zeit, als dieser noch nicht US-Präsident war. Zur Fitness von Biden sagt Stoltenberg kein Wort. Schon wird spekuliert, ob Biden zum Gipfel womöglich US-Vizepräsidentin Kamala Harris mitbringt – sicher ist sicher.
Stoltenberg will die Staats- und Regierungschefs der Allianz auf ein Mindestziel verpflichten. Demnach sollen die 32 NATO-Staaten während ihrer Gipfeltage in Washington fest verabreden, dass sie jedes Jahr gemeinsam 40 Milliarden Euro für die militärische Hilfe der Ukraine sammeln und geben – wohlgemerkt als „Untergrenze“. „Die Ukraine muss siegen und sie braucht unsere anhaltende Unterstützung“, gibt der Generalsekretär nun auch als Losung an die Verbündeten aus. Konkret will die Nato künftig Waffenhilfe und Ausbildung für die ukrainischen Streitkräfte aus dem Bündnis heraus organisieren. Bisher haben dies Einzelstaaten individuell und die US-geführte Ramstein-Koalition gemacht. Nun sollen aus einem neuen geplanten Nato-Kommando in Wiesbaden 700 Militärs die militärische Unterstützung der Nato für die Ukraine sichern. Die rote Linie: Die Allianz will dabei weiter darauf achten, nicht selbst zur Kriegspartei zu werden.
Waffen für die Ukraine
Die Ukraine solle jedenfalls die Waffen bekommen, die die Truppe braucht. „Wir wollen sicherstellen, dass die Verbündeten liefern – auf faire Weise.“ Sprich: in fairer Arbeitsteilung. Es gehe vor allem um Luftverteidigung und Munition. Alle sollen sich daran beteiligen. Alle bedeutet dann allerdings: Auch Ungarn, das traditionell enge Verbindung nach Russland pflegt. Zuletzt hatte Ministerpräsident Viktor Orban mit seiner Reise zu Kreml-Herrscher Wladimir Putin nach Moskau Kopfschütteln im Bündnis ausgelöst. In Washington kursiert derweil bereits das Gerücht, Orban könnte sich in der Zeit um den Gipfel auch mit Donald Trump treffen. Trump, Putin, Orban – ein Trio mit Spreng- und Symbolkraft.
Stoltenberg sagt mit Blick auf den bevorstehenden Gipfel: „Ich erwarte, dass wir uns als NATO einig sind und mit einer Sprache sprechen.“ Als gutes Zeichen wertet er, dass mittlerweile 23 von 32 NATO-Staaten das verabredete Ziel erfüllen, mindestens zwei Prozent ihrer nationalen Wirtschaftsleistung für Verteidigung auszugeben. Deutschland hat laut Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) sichergestellt, dass die Bundesregierung auch nach 2027, wenn das 100 Milliarden Euro umfassende Sondervermögen Bundeswehr aufgebraucht ist, jedes Jahr 80 Milliarden Euro im regulären Verteidigungshaushalt bereitstellt. Damit würde das Zwei-Prozent-Ziel erfüllt.
Stoltenberg kann der Ukraine bei diesem Jubiläumsgipfel, zu dem auch Präsident Wolodymyr Selenskyj erwartet wird, keinen konkreten Beitrittstermin nennen. Denn: Ein Land im Krieg mit ungeklärten Grenzfragen kann die NATO nicht aufnehmen. Doch unstrittig sei: „Die Ukraine nähert sich dem Bündnis an.“ Stoltenberg nannte in einem Interview mit der Deutschen Presse-Agentur die Jahre bis 2034 als möglichen Beitrittszeitraum der Ukraine. Vor allem: „Wir brauchen Sicherheit für die Ukraine, wenn der Krieg vorbei ist.“ Für das Selbstverständnis im Bündnis zitiert Stoltenberg dann noch einmal Artikel 5 des Nordatlantik-Vertrages: Ein Angriff auf eines der Mitglieder komme einem Angriff auf alle gleich. Oder auch: Alle für einen, einer für alle.
Die Luxemburger Delegation
Gleich vier Politiker sind aus dem Großherzogtum nach Washington gereist, um dort am NATO-Gipfel teilzunehmen. Die Regierungsdelegation wird angeführt von Premierminister Luc Frieden. Mit dabei ist auch Vizepremier und Außenminister Xavier Bettel. Beide werden vom 9. bis 11. Juli 2024 in Washington sein. Verteidigungsministerin Yuriko Backes, die eigentlich auch an der Reise teilnehmen sollte, wird aufgrund eines Schienbeinbruchs, den sie sich am 30. Juni 2024 zugezogen hat, nicht mit in die USA reisen. Das Luxemburger Parlament wird von Präsident Claude Wiseler und Nancy Arendt, Leiterin der luxemburgischen Delegation bei der NATO, vertreten. Geplant ist unter anderem, dass Claude Wiseler eine Rede halten wird. Weiterhin soll am Rande des Gipfels ein Meinungsaustausch zwischen Claude Wiseler und Nancy Pelosi, der emeritierten Präsidentin des US-Repräsentantenhauses, sowie der US-Abgeordneten Ann Wagner, der ehemaligen Botschafterin in Luxemburg, stattfinden. Auf dem Programm stehen außerdem ein Besuch des Nationalfriedhofs in Arlington sowie ein Austausch mit Experten zum Thema künstliche Intelligenz.
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