Editorial / Aus dem Tiefschlaf aufgewacht – Die EU-Kommission will plötzlich Risiko-Kriterien
Zur Erinnerung: Es war im April, als das inzwischen berühmt-berüchtigte ECDC die Tageblatt-Redakteure das erste Mal überraschte. Während unserer Recherchen zu den Infektionszahlen in der Großregion erklärte uns ein Sprecher der mit 58 Millionen Euro Jahresbudget ausgestatteten obersten EU-Seuchenbehörde, dass die offizielle EU-Corona-Statistik im Prinzip von ein paar im Netz surfenden Mitarbeitern zusammengeklickt wird.
Daran scheint sich auch in Monat sieben der Pandemie nichts geändert zu haben. Trotz vorhandener digitaler und behördlich anerkannter Datenaustauschsysteme, die so klangvolle Namen wie „Tessy“ oder EWRS haben, ergoogelten sich die ECDCler stur die Grenzgänger von der „Santé“-Webseite und addierten deren Infektionszahlen zur offiziell gemeldeten Luxemburger Statistik. Menschen, die im Ausland wohnen und qua Definition genauso wenig zum Infektionsgeschehen Luxemburgs hinzugezählt werden sollten wie ein Mainzer Pendler zu dem von Frankfurt am Main.
Die oft wiederholte Begründung für diese Hartnäckigkeit? Ausgerechnet die oft beschworene europaweite „Konsistenz“ der Daten. Tja, und dann kam, was eigentlich kommen musste: Wie das Tageblatt am Freitag aufdeckte, zählte das ECDC die infizierten Grenzgänger doppelt – einmal in Luxemburg und einmal in ihren Heimatländern, denen die Luxemburger Regierung den positiven Test natürlich meldete. So viel zur „Konsistenz“.
Ende August setzte die Luxemburger „Santé“ dem Ganzen ein Ende – und ließ die Grenzgänger kommentarlos von ihrer Webseite verschwinden. Nein, nicht nur von der Webseite, auch rückwirkend wurden sämtliche Statistiken geändert, als habe es nie einen positiv getesteten Grenzgänger gegeben. Selbst auf Nachfrage wird auch dem Tageblatt – einem Luxemburger Medium – die Zahl von getesteten und positiv getesteten Nichtansässigen nicht mitgeteilt. „Wie viele Grenzgänger wurden nach dem 27. August positiv getestet?“, fragten wir am vergangenen Donnerstag. „Hierzu kann das Gesundheitsministerium keine Aussage machen“, lautete die Antwort.
Das Ganze zeugt auf beiden Seiten von einer großen Müdigkeit im Umgang mit der Pandemie. Ein anderer Player scheint dafür aus seinem monatelangen Tiefschlaf aufgewacht zu sein. Der guten alten EU-Kommission ist nach Wochen voller Einreise-Quarantäne-Quälereien, Risikogebiets-Verkündungen und Reiserückkehr-Tests – und sinnigerweise auch nach der Urlaubssaison – doch tatsächlich die Idee gekommen, dass gemeinsame Kriterien und Schwellenwerte für die Ausweisung von Risikogebieten sinnvoll sein könnten.
Gesundheitskommissarin Stella Kyriakides erklärte am vergangenen Freitag – also 224 Tage, nachdem der erste Corona-Fall in der Union registriert wurde, 176 Tage, nachdem deutsche Polizisten Posten an der Grenze zu Luxemburg bezogen hatten, und 52 Tage, nachdem Luxemburg von Deutschland zum Risikogebiet erklärt wurde: „Wir schlagen heute unseren Mitgliedstaaten eine gut koordinierte, vorhersehbare und transparente Vorgehensweise für erforderliche Reisebeschränkungen vor. Nach so vielen Monaten, die die Bürger mit Covid-19 leben mussten, erwarten sie das von uns.“
Gerade der letzte Satz trieft derart von Naivität, dass man ihn kommentarlos am Ende dieses Leitartikels stehen lassen könnte. Aber nein, leider hat diese Geschichte eine Pointe, die noch viel trauriger ist. So vermutet unser Brüssel-Korrespondent, dass der „Vorstoß“ der Kommission nicht nur in einer „koordinierten und transparenten“ Vorgehensweise begründet ist. Sondern vielleicht auch darin, dass es einigen Europa-Politikern gerade auffällt, wie unpraktisch so ein Risikogebiets-Status eigentlich ist, wenn man selbst davon betroffen ist.
Denn die Region Brüssel – und damit auch die politischen Stätten Europas – findet sich seit 21. August ausgerechnet auf der Risikoliste jenes Landes, das gerade die EU-Ratspräsidentschaft übernommen hat. Den Luxemburgern ist diese Liste mit Sicherheit ein Begriff: Es ist die Risikoliste des deutschen Robert-Koch-Instituts.
- Tornado oder nicht? Jetzt reagiert Meteolux - 2. November 2024.
- Deutschland weist 32 Menschen zurück – aber nur zwei kommen in Luxemburg an - 31. Oktober 2024.
- So bereitet die Polizei Luxemburger Schulen auf den Amok-Notfall vor - 26. Oktober 2024.
Gett et da keng aaner Themen, Haer Senzig?
Die EU ist nicht erwacht, die EU ist nicht zuständig, weil die Mitgliedsländer dachten sie könnten das besser.
Ein Irrtum, wie es sich herausgestellt hat.
Gesundheitspolitik fällt nicht in die Zuständigkeit der EU. Leider oder? Dennoch immer wieder nett, dass man diese für alles Negative verantwortlich machen kann …
An erem Europa blablabla.
Ach,an deem Europa sin villzevill déer ,,Jean-Baptiste-de-Klaxon,, ,op gudd lëtzeburgesch ,,Tuutebatti’en,, um Wiërk!
Unsere lieben EU-Basher haben zwar keine Ahnung, aber darum aber sehr viel davon.