Landwirtschaft / Ausgezeichnete Speiseöle aus dem „Wilden Westen“ – Aus einem Nebenprodukt wurde ein neuer Geschäftszweig
Charles „Charly“ Goedert (64) ist in Ospern ein Original. Vor seiner Kreativität und Fantasie ist (fast) nichts sicher. Diesen Eigenschaften verdankt das Land ausgezeichnete und hochgelobte Öle. Für die Produkte gibt es 2009 gerade mal ein Jahr nach dem Start den „Bio-Agrarpreis“. „T’Charlys oil“ ist mittlerweile eine Hausnummer bei gesundheitsbewussten Menschen und angesichts kleiner Mengen ein begehrtes Gut.
Der Satz „in Supermärkten wollen wir nicht verkaufen, wir sind im kleinen Einzelhandel besser aufgehoben“ passt zu dem schlaksigen Mann, der in dritter Generation den elterlichen Hof betrieben hat und nicht gerne über Zahlen spricht. „Bio“ ist für ihn keine Frage, sondern eine Selbstverständlichkeit. Genauso wie der Schalk, der ihm im Nacken sitzt und der auf dem Hof überall zu sehen und zu spüren ist.
Als die „Vereenegung fir Biolandwirtschaft Lëtzebuerg“ gegründet wird, ist er noch zu jung, aber schon von der Idee infiziert. Wenig später stellt er 1998 mit seinen Eltern den Hof um und ist neuerdings Genosse bei „Gringgo“. Aber dazu später mehr. Er gehört zu den Touristenattraktionen im „Wilden Westen“. Vor Corona kamen ganze Busse vorgefahren, um das Mariendistel- und Leindotteröl aus der Ölmühle in Ospern zu kosten.
Die Coronazeit haben er und sein Sohn Tom, der mittlerweile die Geschäfte übernommen hat, genutzt, um den Raum in der Ölmühle neu herzurichten. Schweinestall, Pferdestall und jetzt Empfangsraum, das Gebäude, in dem zukünftig verkostet wird, hat schon einiges gesehen. Und was immer man betrachtet, zeugt vom Sinn für Originalität des Initiators.
Neues Standbein zwischen Schweine- und Rinderhaltung
Von den Fenstern hinter der Theke fällt der Blick auf die Schweinchen, die sich neben den Müttern kreuz und quer im Stall direkt nebenan tummeln. Ihnen hat Charly an der Außenwand des Stalls einen geräumigen Ausgang ins Freie gebaut. Charly outet sich als Elvis-Fan, dessen Konterfei groß an der Außenwand des Stalls verewigt ist.
Gringgo und die Regionalwert AG
„Gringgo” orientiert sich an der Idee der Bürgeraktiengesellschaft „Regionalwert AG“ in Freiburg (D). Genau wie in Luxemburg bietet sie Bürgern „die praktische Gelegenheit, Verantwortung für eine nachhaltige und resiliente Land- und Ernährungswirtschaft zu übernehmen“, wie es auf der Homepage heißt.
Der Kauf von Regionalwert-Aktien und -Genussrechten unterstützt kleine und mittlere Bio-Betriebe in der Region. Das Geld wird in Gesellschafterkapital, Boden, Gebäude und Einrichtungen von Regionalwert-Partnerbetrieben entlang der gesamten Wertschöpfungskette investiert.
Die Partner erhalten damit eine Finanzierung, die die Rendite anhand ökologisch, sozial und regionalökonomisch geschaffener Werte bemisst und ihnen den Ausstieg aus dem anonymen Wettbewerb ermöglicht. „Ziel ist es, eine regionale Ernährungssouveränität auf Basis eines Gesellschaftsvertrages zwischen Erzeuger und Verbraucher herzustellen“, heißt es dort.
Die Schweinchen gehen durch die Beine des legendären Rock’n’Rollers ins Freie. Im Innenraum empfangen Traktoren und Fahrräder als Sitz- und Tischgelegenheiten, im Hintergrund stehen die Maschinen zur Ölgewinnung. Das Leindotteröl entsteht als Zufallsprodukt beim Anbau von Futtermitteln für die Schweine und gelingt so gut, dass Goedert eine professionelle Produktion damit aufbaut.
„Wir wollen die Schweinehaltung zurückfahren“, sagt er. Seine Angus-Rinder sollen bleiben. Auf rund sieben Hektar der rund 63 Hektar des Hofes baut er seitdem Leindotter, Mariendistel und Senfpflanzen an. Der Geschmack des Leindotteröls ist würzig und in der Vinaigrette für den Salat eine „Wucht“, schwärmt Ehefrau Mireille. Mariendistelöl ist in ernährungswissenschaftlichen Kreisen wegen seiner Wirkung bekannt.
Das Zufallsprodukt ist sehr gesund
Es schützt die menschlichen Zellen und neutralisiert freie Radikale, die das Krebsrisiko erhöhen, und reinigt die Leber. Präventiv eingenommen, dient es der Gesunderhaltung. Die jährliche Produktionsmenge der Produkte schwankt – so wie das Wetter. Einen richtigen Hofladen gibt es nicht, die Vermarktung läuft größtenteils über „Gringgo“. Die Kooperative gibt es seit 2016 und sie ist im Aufbau. Das neue Logo ist gerade erst fertig.
Das alte stand mit seinem Sheriffstern neben dem Schriftzug sinnbildlich für das Lebensgefühl im „Wilden Westen“. Ein bisschen abseits der großen Routen durchs Land gelegen, vielleicht ein bisschen rauer als anderswo und irgendwie vielleicht nicht so ganz zugehörig zum Rest. So wie Mitteleuropäer, denen „Gringo“, wenn sie sich nach Lateinamerika verirren, nachgerufen wird.
Und in noch einer Sache unterscheidet sich der Westen vom Rest des Landes. Andere als nachhaltige Projekte werden hier erst gar nicht diskutiert, und davon gibt es einige. „Es sind kleine Strukturen und Produktionen“, sagt Paul Kauten (58), Elektroningenieur und „Administrateur délégué” bei Gringgo. „Wir wollen diese Initiativen sichtbarer machen.“
Vermarktung über die Kooperative „Gringgo“
Erste Erfolge zeigen sich schon. Die Nachfrage nach den Produkten der mittlerweile 20 produzierenden oder nur investierenden Genossen steigt. In Ospern heißt es: „Wir bekommen durch den Onlineshop der Kooperative neue Kunden.“ Die Angebote der als Plattform funktionierenden Genossenschaft reichen von Lebensmitteln über Kleider bis zu Baustoffen. Sie zeigen den Pioniergeist der Region, die sich damit darstellen will.
Weitere Projekte sind in Planung. Dazu gehört der Kauf eines Kühlwagens, der die Konsumenten in der Region mit den in der Region produzierten Lebensmitteln beliefern soll. Das Ziel der Kooperative ist nicht mehr und nicht weniger als ein nachhaltiger Wirtschaftsraum im Kanton Redingen über die Partizipation der Menschen, die dort leben. Die Idee dahinter ist einfach.
„Ich als Konsument kann über die Beteiligung an solchen Projekten helfen, die Region weiter auszubauen“, erklärt Kauten das Prinzip. Nachhaltig natürlich. In Ospern schaut „Charly“ derweil zufrieden auf den neuen Empfangsraum. Wenn Corona mal vorbei ist, kann es richtig losgehen. Er lebt und handelt nach dem Motto „Ohne Bauernwohl kein Tierwohl“. Der Schriftzug hängt gleich neben der Ölmühle. Ihm, dem Landwirt durch und durch, geht es mit dem neuen Geschäftszweig richtig gut.
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