EU-Institutionen / Außenministerium redet in Sachen Chafea endlich Klartext
Was sich wie eine Rechtfertigung anhört, gibt tiefe Einblicke in die Funktion und Denke der EU-Bürokratie in Brüssel. Seit Monaten rangeln Luxemburg und Brüssel um die Auflösung der Exekutivagentur für Verbraucher, Gesundheit, Landwirtschaft und Lebensmittel (Chafea). Am Donnerstag äußert sich das Außenministerium unverhofft detailliert auf eine parlamentarische Anfrage zum Thema.
Bislang hat sich das Außenministerium zum Thema Chafea eher diplomatisch-nebulös geäußert (das Tageblatt berichtete). Ist noch nicht beschlossen, Gespräche laufen, man sei in Verhandlungen, hieß es aus der rue du Palais de Justice in der Hauptstadt. Das ist jetzt anders, denn der Abzug der Exekutivagentur ist beschlossene Sache.
Das geht aus der Antwort des Außenministeriums auf die parlamentarische Anfrage des DP-Abgeordneten Gusty Graas hervor. Er wollte wissen, was denn nun bei den Verhandlungen herausgekommen ist. Und fragt nach dem Sinn und der Wirtschaftlichkeit des Abzugs der Chafea.
Die Antwort aus dem Außenministerium verdeutlicht die teilweise Ohnmacht des Landes gegenüber Brüssel. Luxemburg könne nicht alleine gegen die Reorganisation der EU-Exekutivagenturen opponieren, stellt Außenminister Jean Asselborn (LSAP) in seiner am Donnerstag veröffentlichten Antwort klar.
Die Reorganisation der Institutionen unterstehe der alleinigen Verantwortung der EU-Kommission. Das ist über Verordnungen geregelt. Die EU-Kommission wiederum doktert offensichtlich schon länger an einem anderen Organigramm für ihre Exekutivagenturen herum. Darauf deutet ein Entwurf aus Brüssel hin, der nach Angaben des Außenministeriums bereits im Dezember 2020 an die Mitgliedstaaten verschickt wurde. Sie sollen sich dazu äußern.
Den Weg dafür frei gemacht hat der neue Finanzplan 2021-2027. Unter dem Eindruck der Pandemie wurden die Mittel für Gesundheit innerhalb der EU einerseits erheblich aufgestockt. Andererseits soll die Reorganisation der Exekutivagenturen Einsparungen im europäischen Budget bringen, wie das Außenministerium schreibt.
Opfer zugunsten anderer EU-Agenturen
„Wirtschaftliche Gründe“ sind schon von Anfang an die Argumente für die Verlegung der Chafea nach Brüssel gewesen. Aber nicht für die Agentur im Konzert mit den anderen, sondern in puncto Lohnkosten der Mitarbeiter. So wurde es lange kommuniziert. Das ist jetzt Schnee von gestern.
Begrenzte Größe und das fragmentierte Portfolio der Chafea sind die Brüsseler Hauptgründe für deren Schließung in Luxemburg, um diese Aufgaben auf andere Exekutivagenturen zu übertragen, schreibt das Außenministerium. Bei der Chafea waren bis 2020 rund 85 Mitarbeiter am Standort Luxemburg beschäftigt.
Die Antwort erhärtet die schon länger geäußerten Vermutungen, die Chafea werde zugunsten anderer Exekutivagenturen geopfert. Die EU darf nur fünf Exekutivagenturen haben. Wird eine aufgelöst, kann eine neue aufgemacht werden. Das ist offensichtlich der Fall. Die Kommission gedenke bis 2027 rund 500 Stellen in einer neuen Exekutivagentur zu schaffen, schreibt das Außenministerium.
Asselborn nimmt die Antwort zum Anlass, einen zweiten, immer wieder ausgesprochenen Vorwurf zu entkräften: Luxemburg habe nicht genug dagegen getan. Immerhin war er es, der zuletzt 2015 in der nach ihm und der früheren Vize-EU-Kommissionspräsidentin Kristalina Georgiewa benannten Vereinbarung noch eine personelle Stärkung der Exekutivagentur vereinbart hat.
In Sitzungen des Ausschusses der Exekutivagenturen, die Ende Dezember 2020 und Januar 2021 stattgefunden haben, hat er sich für die Erhaltung der Chafea eingesetzt. „Im Einklang mit dem von der Abgeordnetenkammer am 11. Juni 2020 angenommenen Antrag hat Luxemburg die Position vertreten, dass eine Stärkung der Chafea im Großherzogtum (…) weitaus sinnvoller wäre als eine Übertragung ihrer Aktivitäten auf andere Exekutivagenturen mit Sitz in Brüssel“, heißt es in der Antwort.
Dieser Ausschuss muss eine Stellungnahme abgeben, bevor das Kollegium der Kommissionsmitglieder endgültig über ein Aus oder ein Weitermachen entscheidet. Das in Brüssel vorgetragene Hauptargument des Außenministeriums ist, dass eine (personelle) Stärkung der Chafea ihre Funktionsweise optimieren würde.
Mittel seien durch die erweiterten Etats für Gesundheit da, Synergien in Luxemburg sowieso gegeben. Und wenn etwas gut funktioniert, ist es auch wirtschaftlich, wie von der EU-Kommission gefordert. Die schriftlichen Konsultationen unter den Mitgliedern des Ausschusses der Exekutivagenturen sind seit 1. Februar zu Ende.
Luxemburg hat den Entwurf über die Neuorganisation der verschiedenen Exekutivagenturen rundweg abgelehnt. Das schreibt das Außenministerium weiter in seiner Antwort. Sechs weitere EU-Staaten haben für den Entwurf gestimmt und 20 Staaten haben sich überhaupt nicht dazu geäußert.
Das wurde in Brüssel als stillschweigende Zustimmung gewertet, weswegen das Papier „nun zur endgültigen Annahme an das Kollegium geschickt worden“ sei, heißt es in der Antwort weiter. Daneben verteidigt Asselborn die Bemühungen der Regierung, sich für eine Präsenz der europäischen Institutionen und Agenturen im Großherzogtum einzusetzen. Asselborn verweist konkret auf die angedachte „Health Emergency Response Authority“ (HERA).
Zulage offen angesprochen
Ein entsprechendes Schreiben des Premiers an die Präsidentin der Europäischen Kommission, Ursula von der Leyen (CDU), sei unterwegs, heißt es in der Antwort weiter. Erstmalig kommt darin auch die Zulage für EU-Mitarbeiter in Luxemburg wegen hoher Lebenshaltungskosten offen zur Sprache.
Das heißt, es gibt da ein Problem. Eine von der EU-Kommission in Auftrag gegebene Vergleichsstudie hat bereits 2019 ergeben, dass die Lebenshaltungskosten in Luxemburg 10,5 Prozent höher sind als in Brüssel. Das geht ebenfalls aus der Antwort auf die Anfrage hervor.
Bei einem Treffen mit dem Europäischen Kommissar für Haushalt und Verwaltung, dem österreichischen ÖVP-Politiker Johannes Hahn, haben Außenminister Asselborn und Premier Xavier Bettel diese Zulage am 27. Oktober 2020 ins Spiel gebracht, heißt es in der Antwort weiter.
Der Berichtigungskoeffizient oder finanzielle Gehaltsausgleich für EU-Mitarbeiter ist in anderen EU-Ländern, die dasselbe Problem haben, schon lange Praxis. Die Kommission sei jetzt aufgefordert, über mögliche Lösungen nachzudenken, schreibt das Außenministerium. Die Frage nach einer Kompensation für den Abzug der Chafea, der nun beschlossene Sache ist, lässt die Antwort allerdings offen.
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