Europawahl / Authentisch-nordisch: LSAP-Spitzenkandidatin Danielle Filbig im Portrait
Danielle Filbig ist Spitzenkandidatin der LSAP bei den Europawahlen – dabei ist die 26-Jährige gerade einmal ein Jahr Mitglied bei den Sozialisten. Ein Treffen mit einer politischen Senkrechtstarterin, die sich nicht verbiegen will, um bekannt zu werden.
Die Sache mit der Bekanntheit, sie sieht sie ja selbst so. „Marc oder Mars“, das seien zwei politische Urgesteine – im besten Sinne. Bekannt im ganzen Land. „Die Chance habe ich noch nicht, weil mich keine Sau kennt.“ Es sind Pfingstferien, keine zwei Wochen bis zum Europawahltag am 9. Juni. Danielle Filbig sitzt auf der Terrasse eines Lokals in Mersch. In einer Stunde wird sie weiter müssen, Wahlversammlung in Dommeldingen, Auftritt mit ihrem Co-Spitzenkandidaten Marc Angel und der ganzen LSAP-Bande. Eine Stunde zum Kennenlernen der Frau, die gerade auf allen roten Plakaten im ganzen Land zu sehen ist, die aber nach eigener Einschätzung „keine Sau kennt“.
Angel und Filbig. Der erfahrene EU-Parlamentarier und die Newcomerin, das ist das Spitzenduo, mit dem die LSAP diesen Europawahlkampf führt. „Wenn Marc dabei ist, erkennen mich die Leute“, sagt Filbig. Doch allein während einer Stunde Gespräch in Mersch kommen zwei Leute auf Filbig zu, zwei weitere begrüßt sie aus der Ferne. Dabei sind wir nicht in ihrer Heimatgemeinde Rambruch. Und nicht einmal im Norden.
Der Norden, das ist das politische Terrain von Danielle Filbig. Hier fühlt sie sich wohl. Hier ist sie aufgewachsen, im Dorf Hostert in der Gemeinde Rambruch, Kanton Redingen. Hier sitzt sie für die LSAP seit der vergangenen Kommunalwahl im Gemeinderat. Filbig gehört zu den jungen weiblichen Shootingstars der LSAP. Liz Braz im Süden, Michaela Morrisova und Claire Delcourt im Zentrum – und eben Filbig im Norden. Bei ihrer ersten Wahl im Juni 2023 holte sie auf Anhieb die meisten Stimmen für die LSAP. Auch bei der Chamberwahl im Oktober desselben Jahres legte sie ein beachtliches Ergebnis vor – und landete auf Platz vier der Parteiliste im Norden, nur 400 Stimmen hinter Ko-Spitzenkandidatin Flore Schank. Und nun ab nach Brüssel?
Keine Politikerphrasen, sondern Menschensätze
„Schwierig“, sagt Filbig über ihre persönlichen Chancen. Huh. Klare Ansage. Man muss an dieser Stelle kurz innehalten und über Authentizität nachdenken. Authentizität ist ein wolkiges Konzept. Als Währung in der Politik begehrt wie kaum etwas anderes, und doch müssen viele sie konstruieren. Filbig ist unverstellt. Wenn sie spricht, sagt sie keine Politikerphrasen, sondern Menschensätze. Zum Beispiel: Der zweite Sitz für die LSAP, das sei natürlich das Ziel. Aber sie glaubt, dass ihre Partei wie bei den Chamberwahlen im Norden den Sitz „knapp verfehlen“ wird. „Was natürlich mega schade wär.“
Nicht dass Filbig nicht wollen würde: „Das EU-Parlament würde mich sehr reizen“. Sie kennt Brüssel. Hier hat sie Politikwissenschaft und internationale Beziehungen studiert und während ihres Studiums als freie Mitarbeiterin für RTL gearbeitet. „Die politische Neutralität als Journalistin war für mich auch der Grund, warum ich mich nicht bei den Jusos engagiert habe“, sagt Filbig. Die heute 26-Jährige ist kein Parteigewächs, sie hat sich erst spät für die Politik entschieden. Umso erstaunlicher ist ihr Werdegang.
Ein Jahr, drei Wahlen: Gemeinde, Parlament, jetzt Europa. Dabei ist sie erst seit etwas mehr als einem Jahr Mitglied in der LSAP. Bei der Wahl der Partei gab es keine Alternative. „Für mich war immer klar: LSAP“. Das liegt auch am Umfeld, in dem sie sozialisiert wurde. Die Mutter Erzieherin, der Vater Berufsfeuerwehrmann, aber eigentlich Handwerker, wie ihr Großvater. Eine Arbeiterfamilie. Filbig selbst arbeitet als Lehrbeauftragte für Wirtschaftswissenschaften an der katholischen Privatschule Sainte-Anne in Ettelbrück.
Zwei Stunden später steht Filbig auf der Bühne des Drescherhauses in Dommeldingen, im Norden von Luxemburg-Stadt. Fremdes Territorium. „Ich bin aus einer anderen Ecke“, erklärt sie dem Publikum gleich zu Beginn – und bezeichnet sich selbst als „junge Politikerin, die noch in den Startlöchern steckt“. Im Drescherhaus braucht Filbig an diesem Abend ein bisschen, um warm zu werden. Sie wirkt zurückhaltend, ergreift selten das Wort – ganz anders als im direkten Gespräch. Marc Angel, die sozialistische Solidarität im Blut, verlässt irgendwann seinen Platz neben Franz Fayot, stellt sich an den Tisch neben seine Co-Spitzenkandidatin.
Auch in diesem Wahlkampf sei sie Vorurteilen begegnet, sagt Filbig zuvor im Interview, Zweifeln an ihrer Kompetenz. Sie sei ja nur ein „Blumenstrauß“, um auf dem Plakat schön auszusehen. Sätze, die oft von Männern kommen. „Ich hab mir in meinen drei Wahlkämpfen schon ein dickes Fell aufgebaut“, sagt Filbig. „Das ist eben in der Politik so.“ Und bei einigen Leuten spreche einfach nur der Neid. „Als junge Politikerin musst du dich anders beweisen, vielleicht musst du dich sogar mehr beweisen.“
Filbig ist engagiert. Sie hat nach vielen gescheiterten Versuchen ihrer Vorgänger eine JSL-Sektion im Norden aufgebaut. Außerdem ist sie seit März Präsidentin der LSAP-Sektion im Kanton Redingen. Filbig ist vernetzt und verwurzelt im Norden, aber verbiegen möchte sie sich nicht. „Ich tue mich schwer damit, überall hinzulaufen.“ Sie will keine Politikerin sein, von der man fünf Jahre nichts hört, die dann im Wahlkampf aber auf jedem Fest auftaucht.
Zwei Spitzenkandidaten, zwei Meinungen
Wie wenig sich Filbig verbiegen möchte, sieht man am Migrationspakt. Würde sie im EU-Parlament sitzen, sagte Filbig kürzlich öffentlich in einem Interview, hätte sie den Pakt nicht mitgestimmt. Anders als ihr Co-Spitzenkandidat Marc Angel. Wie geht man in der LSAP mit so einer Meinungsverschiedenheit um? „Der Marc war mega lieb“, sagt Filbig. „Er meinte: Du bist ja eine ganz andere Generation, warum sollt ihr Jungen nicht eine andere Meinung haben?“
Noch bleibt Zeit, ein bisschen über Wahlkampfthemen und Europa zu sprechen. Zum Beispiel über den drohenden Rechtsruck. Der ist ein Europaproblem. Er ist aber auch ein Problem des ländlichen Raums. Man sieht es an der Stärke des Rassemblement National im französischen Grand Est. Oder an den Hochburgen der AfD in den strukturschwachen Landstrichen des deutschen Ostens. Bei den Parlamentswahlen 2023 in Luxemburg hat die ADR ihren fünften Sitz zwar im Osten gewonnen. Am stärksten zugelegt hat die Partei jedoch im ländlichen Norden.
ADR-Themen wie das Kippen des Verbrennungsmotorverbots kämen bei den Leuten im Norden gut an, sagt Filbig. Das habe sie in ihren Wahlkämpfen gemerkt. „Als LSAP ecken wir hingegen mit Themen wie der 38-Stunden-Woche bei Unternehmern an.“ Im Allgemeinen aber sei Parteizugehörigkeit im Norden ihrer Erfahrung nach gar nicht unbedingt wahlentscheidend. „Die Leute wählen nicht nach Partei, sondern nach Köpfen.“
Umso wichtiger ist es, mit den Leuten ins Gespräch zu kommen. Das gilt auch für die Arbeit als Gemeinderätin. Rambruch ist eine „CSV-Hochburg“, sagt Filbig. Die Christsozialen regieren in der Gemeinde mit absoluter Mehrheit. „Früher gab es viel Streit zwischen LSAP und CSV.“ Seit den vergangenen Wahlen habe sich das Klima gebessert. Die jungen Leute im Gemeinderat verständigen sich über Parteigrenzen hinweg. „Auf die ganze Zeit Köpfe einschlagen“ habe sie keine Lust. „Ich brauche das Soziale“, sagt Filbig. Sie mag Europa, sie mag die Stadt, die Vielfalt. Und sie kommt gerne zurück aufs Land. Dort, wo jeder jeden kennt.
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