Krise der Demokratie / Autokraten greifen „das System“ von innen an
Rechte und ultrarechte Bewegungen eifern einander nicht nur nach und bilden internationale Bündnisse. Einmal an der Macht, setzen sie auf die Aushöhlung der liberalen Demokratien.
Der Ort erfreut sich zweifelhafter Berühmtheit. Wahrscheinlich würden nur wenige Menschen Predappio kennen, wenn in dem Dorf in der Emilia-Romagna am 29. Juli 1883 nicht Benito Mussolini zur Welt gekommen wäre. Das Geburtshaus des faschistischen Diktators ist ein Anziehungspunkt nicht nur für Alt- und Neofaschisten aus der ganzen Welt. Sie kommen zur Villa Mussolini, besuchen dort sein Arbeitszimmer, oder den steinernen Sarg in der Familienkrypta, wo stets frische Blumen liegen sollen.
Auch die Anhänger von Giorgia Melonis Partei, der postfaschistischen Fratelli d’Italia, pilgern nach Predappio. Italiens Ministerpräsidentin begann ihre Karriere als Fan von Mussolini und nannte den „Duce“ einen „guten Politiker“. Heute distanziert sie sich eher vom Faschismus. Doch ihre Abgrenzung ist diffus, so wie die Fratelli d’Italia den früheren Diktator verharmlosen bis verherrlichen. Generell fand in Italien nur selten eine Auseinandersetzung mit der faschistischen Vergangenheit des Landes statt.
Meloni wurde im Oktober 2022, also fast genau hundert Jahre nach Mussolinis Marsch auf Rom, italienische Regierungschefin. Seither ist ihre Amtsführung eher unspektakulär. Früher sei Mussolini ihr Vorbild gewesen, heute Viktor Orbán und Donald Trump. Meloni bekam nach der Wahl besonders von Gleichgesinnten aus ganz Europa Glückwünsche und Zuspruch: Längst hat sich eine „Internationale der Nationalisten“ gebildet, von der deutschen AfD über die jüngst abgewählte polnische PiS und die niederländische, kürzlich siegreiche PVV von Geert Wilders bis hin zu Marine Le Pens Rassemblement National (RN) in Frankreich und der spanischen Vox, bei der Meloni bereits auftrat.
Demokratie unter Druck
Auch auf internationaler Ebene sind die Rechtspopulisten und -extremisten, die europäischen „Patrioten“, vor den in wenigen Monaten stattfindenden Europawahlen auf dem Vormarsch: „In Brüssel soll ein ‚großes Zelt‘ die gesamte Rechte beheimaten“, schrieb die taz. Oder wie es Viktor Orbán 2017 formulierte: „Vor 20 Jahren dachten wir, Europa ist unsere Zukunft. Heute wissen wir, dass wir Europas Zukunft sind.“ Die Demokratie ist in vielen Ländern „unter Druck“, wie auch der luxemburgische Parlamentspräsident Claude Wiseler beim Neujahrsempfang der Chamber sagte. Insbesondere die liberale sowie repräsentative Demokratie.
Nun strebt Meloni die „Mutter aller Reformen“ an, den „premierato“, eine Verfassungsänderung, die das politische System Italiens grundlegend verändern würde. Ihr Ziel ist es, das Amt der Regierungschefin massiv zu stärken, zulasten des Staatspräsidenten, vor allem aber zulasten des Parlaments, also zweier wichtiger demokratischer Institutionen – und damit letztlich auf Kosten der Gewaltenteilung.
Autoritäre Vorbilder
Das Kabinett hat ihren Plänen bereits zugestimmt, das Parlament soll noch vor den Europawahlen entscheiden. Allerdings stößt dort das Vorhaben auf Widerspruch. Oppositionsführerin Elly Schlein vom Partito Democratico warnt zu Recht, diese Reform werde „den Parlamentarismus aushöhlen“. Dies wäre die Strategie, die Meloni von ihrem Vorbild Orbán gelernt hat. Als dieser nach seinem Wahlsieg 2010 sein Amt als Ministerpräsident antrat, schränkte er die Zuständigkeit des Verfassungsgerichts ein und leitete eine Verfassungsreform ein. Der Einfluss von Plebisziten wurde eingeschränkt, ebenso die Rechte und Freiheiten von Oppositionsabgeordneten im Parlament sowie die Macht von Berufsverbänden und Gewerkschaften beschnitten. Unter Orbán wurden zudem zahlreiche Änderungen des Wahlrechts zugunsten seiner Partei Fidesz vorgenommen.
Als Argumente für ihre Verfassungsreform nennt Meloni zwei Merkmale der italienischen Nachkriegsdemokratie: die häufigen Regierungswechsel und vor allem in jüngster Zeit die Einsetzung nicht gewählter Technokraten-Kabinette. Die Postfaschistin greift folglich eine Kritik an Fehlentwicklungen der italienischen Demokratie auf, wendet sie aber in ihrem Sinne gegen die Demokratie und gegen die „Checks and Balances“, dass Parlament und Präsident die Macht der Ministerpräsidentin respektive Ministerpräsidenten begrenzen sollen.
Ihre Reform sieht vor, dass sie künftig als Ministerpräsidentin direkt vom Volk gewählt werden kann. Bisher wurden die Regierungschefs vom Parlament vorgeschlagen und vom Präsidenten ernannt. Nach der geplanten Reform würde die stärkste Partei zudem automatische 55 Prozent der Sitze erhalten. Damit könnte eine Partei wie die Fratelli, die mit 26 Prozent im September 2022 die Wahl gewann, mit einer relativen Mehrheit im Parlament regieren. Kritiker befürchten die „Diktatur einer Minderheit“.
„Die Kaste“ des Establishments
Die Reform muss vermutlich in einem Referendum bestätigt werden, denn die nötige Zweidrittelmehrheit im Parlament fehlt ihr. Das Volk wird also dazu ermuntert, die verhasste „casta“ zu entmachten. Das erinnert nicht zuletzt an den Diskurs des neuen argentinischen Präsidenten, des selbsternannten „Anarchokapitalisten“ Javier Milei, der im Wahlkampf vom politischen Establishment seines Landes als „Kaste“, die es zu beseitigen gilt, sprach. Ähnliche Stoßrichtungen sind auch bei anderen Rechtspopulisten und Rechtsextremisten festzustellen, von der deutschen AfD bis hin zu Donald Trump.
In mehreren Ländern sind Prozesse der sogenannten demokratischen Erosion zu beobachten, in deren Anfangsphase noch nicht abzusehen ist, wie widerstandsfähig die demokratischen Institutionen sind. Staffan Lindberg und Martin Lundstedt von der Universität Göteborg bestätigen in einer Studie, dass die Zahl der Demokratisierungen weltweit auf 13 (2021) gesunken ist, während sich im selben Jahr 33 Länder in „Autokratisierungsprozessen“ befanden. Die beiden schwedischen Politologen konstatieren: „Während sich die Autokratisierung in der Vergangenheit meist innerhalb kurzer Zeit in Form von Putschversuchen oder ausländischen Übergriffen vollzog, ist sie heute in der Regel ein schrittweiser Prozess, bei dem demokratisch gewählte Entscheidungsträger die demokratischen Institutionen nach und nach von innen heraus aushöhlen und abbauen.“ Ähnliches hatten schon die US-Politologen Steven Levitsky und Daniel Ziblatt beobachtet. In ihrem 2018 erschienenen Buch „Wie Demokratien sterben“ schreiben die beiden Harvard-Forscher: „Demokratien sterben heutzutage nicht mehr mit einem großen Knall, einem Putsch oder einer Revolution. Sie siechen so leise vor sich hin, dass wir ihr Ableben kaum bemerken.“
Kagans Warnruf: „Kollektive Feigheit“
Besonderes Aufsehen erregt hat der Beitrag von Robert Kagan in der Washington Post am 30. November 2023. Unter dem Titel „A Trump dictatorship is increasingly inevitable. We should stop pretending“ warnt er darin vor dem Ende der US-Demokratie. Der Autor, unter Ronald Reagan Berater im US-Außenministerium, wurde um die Jahrtausendwende als Vordenker der Neokonservativen bekannt, später zu einem scharfen, liberalkonservativen Trump-Kritiker. Er plädierte für die Abkehr von der „America-First“-Politik, die ihre Entsprechung in Trump-Nachahmern wie dem Brasilianer Jair Bolsonaro fand.
Zurück ist hingegen Donald Trump, der gute Chancen hat, dieses Jahr das Rennen um die US-Präsidentschaft zu machen. „Seit vielen Monaten leben wir nun in einer Welt der Selbsttäuschung, voller imaginierter Möglichkeiten“, schreibt Robert Kagan. „Vielleicht werden die unzähligen Anklagen gegen Trump ihm bei republikanischen Vorstadtbewohnern zum Verhängnis. Diese hoffnungsvollen Spekulationen haben uns erlaubt, passiv durchs Leben zu gleiten. (…) Wir sind wie Menschen auf einem Flussschiff, die seit langem wissen, dass vor ihnen ein Wasserfall liegt, aber annehmen, dass sie es irgendwie ans Ufer schaffen werden, bevor sie über die Klippe stürzen. Aber nun wirken die Manöver, die uns ans Ufer bringen könnten, immer schwieriger, wenn nicht gar völlig unmöglich.“
„Wenn kein Wunder geschieht, wird Trump bald der republikanische Präsidentschaftskandidat sein“, so Kagan weiter. „Wenn dies eintritt, wird es zu einer schnellen und dramatischen Verschiebung der Machtdynamik kommen, zu seinen Gunsten. Die meisten Kandidaten, die gegen ihn antreten, werden schnell zu ihm überlaufen und sich um seine Gunsten streiten.“ Kagan zeichnet das Bild einer Trump-Diktatur, das beängstigend realistisch ist. Mit seiner Verachtung des politischen Systems bedrohe Trump die US-Demokratie in ihren Grundfesten und nutze eine weitere Amtszeit zum Aufbau eines autoritären Staates. Meloni, Orbán, Milei oder Trump – vier Beispiele von „Systemsprengern“, wie sie der deutsche Journalist Thomas Assheuer nannte, und die es angesichts einer weit verbreiteten „kollektiven Feigheit“ schaffen können, so Robert Kagan, die liberale Demokratie zum Einsturz zu bringen, indem sie das „System“ von innen angreifen. „Nicht mit einem Knall“ – Robert Kagan zitiert hier den Dichter T.S. Eliot –, sondern „mit Gewimmer“.
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Mir mussen matt alle Mëttelen den Trump zu Fall bréngen. Daat ass hieren geeschtegen Leader. wann hien gestierzt ass, dann faalen déi aaner Autokraten och (ob mannst déi an Europa).