/ „Autor zu sein, befreit mich“: Vom Journalisten zum Buchautor, von Jerusalem nach Luxemburg
Matt Rees (51) ist Weltenbummler, Expat und schreibt Kriminalromane. Der gebürtige Waliser hat in verschiedenen Teilen der Welt als Journalist gearbeitet, bevor er Autor wurde. Die Zeit im Nahen Osten lässt ihn nicht los. Sowohl die Fälle rund um Omar Yussef, den ersten palästinensischen Ermittler in der Kriminalliteratur, als auch jene um die neue Hauptfigur Dominic Verrazzano spielen in diesem Teil der Welt. Rees lebt seit vier Jahren in Luxemburg.
Tageblatt: Wales, New York, Jerusalem, jetzt Luxemburg: Sie sind lange vor dem Brexit ausgewandert …
Matt Rees: Stimmt. Bei allem, was ich tue, gibt es einen Bruch. Ich habe als Journalist in New York und im Nahen Osten gearbeitet, dann wurde aus dem Berufsstand eine sterbende Branche. Dann begann ich Bücher zu schreiben und es wurde hart für Autoren, Geld zu verdienen – wegen der Digitalisierung. Und jetzt arbeite ich hier in Luxemburg für die EU und wir haben den Brexit.
Was bleibt von Jerusalem nach einem Umzug nach Europa?
Ich habe viel gesehen, was mich aufgebracht hat. Es hat meinen Blick auf mich selbst verändert.
Inwiefern?
Immer, wenn ich dachte, ich kann das nicht mehr aushalten oder mitansehen, dachte ich gleichzeitig: Es ist doch nicht so schlimm. Das Leben in Jerusalem hat mir erlaubt, zu sehen, wie schlecht Dinge sein können. Und es hat mich dazu gebracht, meine eigenen Werte zu überdenken.
Trotzdem kehren Sie in Ihren Kriminalromanen immer in die Region zurück …
Das ist in der Tat das, was bleibt aus der Zeit. Die Erinnerungen. Wenn ich hier in Luxemburg in meinem Zimmer sitze und schreibe, bin ich wieder dort. Ich habe wieder die Gerüche in der Nase, die Geräusche in den Ohren und spüre das Land in meinem Gesicht. Meine Fälle, die ich schon hier geschrieben habe, spielen im Nahen Osten.
Warum haben Sie vom Journalismus in den Literaturbetrieb gewechselt?
Autor zu sein, befreit mich. Es befreit mich, weil ich sagen kann, was wirklich passiert. Journalisten arbeiten mit Fakten. Die sind nur bis zu einem bestimmten Punkt hilfreich. Wenn man etwas wirklich verstehen will, braucht es einen emotionalen Bezug.
Den kann der Autor leichter herstellen als der Journalist?
Als Journalist muss man sich an Vorgaben halten. Man befragt die eine Seite und holt sich die Angaben von der anderen. Aber man ist sehr beschränkt darin, zu schreiben, was man denkt. Das bin ich als Autor nicht. In New York beispielsweise habe ich über die Wall Street geschrieben. Da ging es immer nur um Zahlen. Ich hasste es irgendwann.
Braucht es die Fiktion, um zu zeigen, was wirklich passiert?
Ich denke, ja. Die meisten Thriller nehmen einen mit auf eine Achterbahnfahrt und am Ende wird der Böse bestraft. In meinen Büchern gibt es auch eine Achterbahnfahrt in der Handlung. Aber es gibt darin vor allem eine emotionale, innere Achterbahn der jeweiligen Hauptperson. Und Politik.
Warum haben Sie in Ihren ersten vier Krimis einen Palästinenser als Ermittler gewählt und nicht einen Israeli?
Ich habe versucht, einen israelischen Charakter zu schaffen. Aber er war nicht wirklich gut. Zu stereotyp. Ich hatte damals einen palästinensischen Freund, der mich oft verrückt machte. Meine Frau riet mir, ihn als Vorlage zu nehmen. Und siehe da, über ihn zu schreiben, war wie Therapie für die Freundschaft. Es hat sie gefestigt.
Es gibt eine reale Vorlage?
Ja, er war wie Omar Yussef Lehrer in einem palästinensischen Flüchtlingscamp in Bethlehem. Er ist vor sechs Jahren gestorben.
Das Ende der Omar-Yussef-Reihe?
Ich hatte die Serie schon vorher aufgegeben.
Warum?
Im Nahen Osten war ich sehr nahe an allem, was passiert. Mit diesen Krimis wollte ich einen tiefgründigen Blick auf das Geschehen werfen. Aber es wiederholte sich alles und ich wollte nicht immer wieder darüber schreiben. Nach Omar wollte ich mich mit größeren Zusammenhängen beschäftigen.
Und das wäre?
In meinem ersten Thriller „Damaskus Connection“ beleuchte ich den syrischen Bürgerkrieg. Nicht die offiziellen Nachrichten, sondern den Hintergrund – vor allem die amerikanische Politik. Meine Hauptfigur ist Dominic Verrazzano, Agent der amerikanischen Einwanderungsbehörde (ICE). Im ersten Fall ermittelt er unter Barack Obama. Im Folgethriller „China Strike“ (2019 erschienen, Anm. d. Red.) muss er umsetzen, was der neue Präsident will. Das Buch zeigt, wie Trump die Behörde im Sinne seiner Einwanderungspolitik manipuliert. Und wie es meiner Hauptfigur dabei geht.
Zurück zum Nahen Osten: Glauben Sie an Frieden in der Region?
Nicht wirklich. Ich sehe nicht, wie das passieren soll ohne riesige, fundamentale Veränderungen zu dem, was gerade geschieht.
Zur Person
Der Schriftsteller ist 1967 im walisischen Newport geboren. Er hat Englische Literatur an der University of Oxford und Journalismus an der University of Maryland, College Park, studiert. Nach fünf Jahren in New York ging er 1996 nach Jerusalem. Er schrieb zunächst für The Scotsman und Newsweek, bevor er im Jahr 2000 die Leitung des Büros des TimeMagazins in Israel übernahm. Danach konzentrierte er sich auf das Schreiben von Kriminalromanen.
Für den 2008 erschienenen Krimi „Der Verräter von Bethlehem“ um den palästinensischen Lehrer Omar Yussef erhielt er den „New Blood Dagger Award“, den die Crime Writers’ Association vergibt. Insgesamt gibt es vier Fälle, die sich rund um den Geschichtslehrer aus Bethlehem drehen.
Nach zwei historischen Romanen folgten ab 2016 die Fälle mit dem US- Agent Dominic Verrazzano, der für die „United States Immigration and Customs Enforcement“ (ICE) arbeitet. Auf Deutsch sind bisher „Damaskus Connection“ und „China Strike“ (2019) erschienen.
Rees ist mit einer New Yorkerin verheiratet und Vater von zwei Kindern.
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