Das Corona-Tagebuch (5) / Donnerstag, 19. März: Back from England
Das Coronavirus beherrscht das Leben in Luxemburg. Die Lage ist ernst, aber nicht hoffnungslos. Eigentlich genau der richtige Zeitpunkt, um seine Gedanken mal wieder in einem Tagebuch niederzuschreiben. Was fällt uns auf, was empfinden wir und was erwarten wir? Das Corona-Tagebuch des Tageblatt gibt Einblick in diese Gedankenwelt.
Liebes Tagebuch. Hier und heute auch von mir einige Beobachtungen zum Coronavirus, das uns seit dem Wochenende in Atem hält. Weil ich nicht mehr direkt ins aktuelle journalistische Tagesgeschehen eingebunden bin, hatte ich eigentlich gedacht, die ganze Sache locker aus der Distanz zu beobachten. Aber dann kam es anders als gedacht.
Ich war nämlich in England, als die ersten Hiobsbotschaften auf Luxemburg niederprasselten und die ersten Einschränkungen erfolgten. Einer der allerletzten regulären Flüge hat mich wieder nach Luxemburg gebracht. Was mich hier erwartete, war ein echter Kulturschock. „Sie sind heute mein erster Kunde”, stellte der Taxifahrer am frühen Abend mit einer gewissen Resignation fest und brachte mich durch weitgehend menschen- und autofreie Straßen nach Hause.
Ich hatte zwar das ganze Wochenende über auf meinem iPhone die Entwicklung in Luxemburg verfolgt, während um mich herum eine „völlig normale“ britische Welt pulsierte, in der die Pubs geöffnet und am Wochenende bis auf den letzten Stuhl besetzt und entsprechend laut beschallt waren. Einen Tisch im Restaurant zu reservieren war kein Problem, genauso wenig wie der gewohnte Besuch im britischen Bücherladen. Erst am Donnerstag erfolgten erste Einschränkungen.
Bis dahin waren sie minimal. So hieß es bei der Bestellung eines Taxis, man müsse sich gedulden, die Leute würden heute lieber Taxi fahren als Bus. Knapp war an diesem Wochenbeginn lediglich die Milchversorgung. In den Supermärkten waren die Regale leer und der Lieferservice konnte die in einem kinderreichen Haushalt benötigte UHT-Milch nicht vollständig und nur mit Verzögerung liefern. Am Flughafen hatte das Coronavirus jedoch schon eingeschlagen, es war weitaus weniger Betrieb als sonst. Dafür war die Abfertigung ungewöhnlich schnell und unkompliziert. So als wollten die Briten uns Corona-verdächtigen Ausländer – die wenigsten trugen übrigens Masken – auf schnellstem Weg loswerden.
Angesichts der Hiobsbotschaften aus Luxemburg stellte sich daraufhin die Frage, ob London davon ausging, dass das Virus im Sinne von Brexit die britische Insel umfliegen würde, ob Premierminister Boris Johnson bewusst die alarmierenden Nachrichten aus der ganzen Welt ignorierte oder das Ganze erst einmal auf sich zukommen lassen wollte. So wie es die Briten angesichts der drohenden Gefahr des Zweiten Weltkriegs bereits getan haben, als sie trotz aller Drohungen und Kriegsakten auf Appeasement setzten, frei nach Churchills „keep calm and carry on“.
Allerdings wurde hinter vorgehaltener Hand der Verdacht geäußert, dass das britische Gesundheitssystem die Gesundheitsversorgung in einer Notsituation, wie sie aktuell in Frankreich, Italien oder Spanien herrscht, gar nicht meistern könnte und deshalb so lange mit gezogener Handbremse fuhr. Früher Alarm oder späte Reaktion: Wir werden – hoffentlich bald – sehen können, wer recht hatte. So long, liebes Tagebuch.
Das Tageblatt-Tagebuch
Das Leben ist, wie es ist. Corona hin oder her. Klar, die Situation ist ernst. Aber vielleicht sollte man versuchen, ein wenig Normalität in diesem Ausnahmezustand zu wahren. Deshalb veröffentlicht das Tageblatt seit Montag (s)ein Corona-Tagebuch. Geschildert werden darin persönliche Einschätzungen, Enttäuschungen und Erwartungen verschiedener Journalisten.
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