LuxFilmFest / „Bad Luck Banging or Loony Porn“ von Radu Jude und „Quo Vadis, Aida?“ von Jasmila Zbanic
Es ist verflixt: Gerade in dem Jahr, in dem eine luxemburgische Co-Produktion den Goldenen Bären in Berlin absahnt, fällt das Festival rein digital aus. Feiern möchte man am Ende dieses skurrilen, schrägen Films aber eh nicht: Radu Judes „Bad Luck Banging or Loony Porn“ wirft einen anthropologischen Blick auf eine zutiefst konservative, aggressive rumänische Gesellschaft im späten Kapitalismus. Noch desillusionierender ist „Quo Vadis, Aida?“: Im Laufe dieser fast unerträglichen historischen Fiktion wird der Genozid in Srebrenica aus der Sicht einer Übersetzerin geschildert.
Wer „Bad Luck Banging or Loony Porn“ zu Hause auf dem Rechner streamt, wird zumindest die ersten paar Minuten des Films in einem realistischeren Rezeptionsrahmen als im Kino erleben: Während der ersten paar Minuten wird der Zuschauer einem sehr expliziten Amateur-Porno ausgesetzt, ein Blowjob, Perücken, eine Peitsche und Hündchenstellung werden von den üblich abgedroschenen Phrasen wie „Ich bin deine Hure“ oder „Fester!“ begleitet, während Folklore-Musik die Stimmung für den bevorstehenden Spielfilm stellt.
Im ersten Kapitel des dreiteiligen Films folgt die Kamera der rumänischen Lehrerin Emilia Cilibiu (Katia Pascariu) in ihrem Post-Sex-Tape-Alltag in Zeiten von Corona – sehr schnell findet der Zuschauer heraus, dass jemand das Video online gestellt hat. Emilia (kurz: Emi) besucht die Schulleiterin, der sie auftischt, die mit der Reparatur ihres Rechners beauftragten Informatiker hätten das Tape mutmaßlich ins Netz gesetzt („IT people are notorious wankers“, kommentiert die Kollegin trocken), telefoniert in einer Arkade-Halle mit ihrem Ehemann Eugen, weil das mittlerweile herabgesetzte Video erneut im World Wide Web kursiert und versucht vergebens, eine unbarmherzige Apothekerin davon zu überzeugen, ihr ein rezeptpflichtiges Beruhigungsmittel unter der Hand zu verkaufen.
Oberflächlich passiert in diesem „A sketch for a popular film“ betitelten Kapitel kaum etwas, die Weitwinkelkamera fängt nüchtern ein, was ihr der Pandemie-Alltag unter die Linse hält: Werbetafeln, Marken, Alltagsgespräch an der Theke über das moralische Verkommen des Menschen, aber vor allem unglaublich aggressive Menschen. Als Emi einen parkenden Autofahrer darauf hinweist, dass er eine Einfahrt blockiert, rastet dieser aus: „Was wirst du tun, wenn ich deine Mutter ficke?“, fährt er aus der Haut, bevor er ihr androht, in ihre „Denunziantenfresse zu spucken“.
„Vom Nachteil, geboren zu sein“
Das zweite Kapitel („A short dictionary of anecdotes, signs, and words“) ist die filmische Version von Flauberts „Dictionnaire des idées reçues“ und erinnert in seiner aphoristischen Kraft sowie seiner verbitterten Darstellung der Menschheit mitunter auch an Landesmann Emil Cioran: Während in den Untertiteln Anekdoten, Aphorismen oder lakonische Wörterbuchdefinitionen zu alphabetisch aufgelisteten Begriffen wie „Kinder“ („Kinder sind die politischen Gefangenen ihrer Eltern“, „Blowjob“ (das am meisten nachgeschlagene Wort im rumänischen Online-Wörterbuch – direkt vor „Empathie“) oder dem nationalen Vorzeigepoet Mihail Eminescu defilieren, sieht der Zuschauer Amateur-Videos und Archivbilder. Im Gegensatz zu den schriftstellerischen Vorbildern wird hier oft mit dem Kontrast zwischen Text, Ton und Bild gearbeitet, das Resultat ist ein zynisches Panorama einer Spezies, die so dämlich ist, dass sie aus darwinistischer Sicht eigentlich gar nicht mehr existieren dürfte.
Im dritten und letzten Kapitel „Praxis & innuendos (sitcom)“ versammelt die Schulleiterin die Elternvereinigung, die über das zukünftige Schicksal von Emilia urteilen soll. Wegen Social Distancing findet dieses Tribunal im Schulhof statt, zu Beginn zeigt eine aufgebrachte Mutter den Anwesenden das Video noch mal – während Emi an ihrem Pult Platz nimmt, verfolgen teils empörte, teils lüsterne Eltern das Geschehen auf dem Schirm. Die elterliche Geschworenenbank allegorisiert die zeitgenössische rumänische Gesellschaft: Ein Pfarrer trägt eine Maske mit dem Schriftzug „I can’t breathe“, ein Offizier zeigt sich empört, weil die „Pornolehrerin“ „schmutzige jüdische Propaganda“ über den Holocaust praktiziere, ein Intellektueller erklärt, wie prekär menschliches Wissen ist und zitiert dabei Thomas Kuhn. Die letzten vierzig Minuten sind so überspannt und hyperbolisch wie gutes Theater: Während eine Lehrerin verurteilt wird, findet zeitgleich der Prozess an einer misogynen, konservativen, antisemitischen und xenophoben Gesellschaft statt.
Wie in der Komödie „Toni Erdmann“ wird auch hier implizit das Verhältnis zwischen Rumänien und dem „reichen“ Zentraleuropa thematisiert: Während rumänische Sexarbeiterinnen in Zentraleuropa gang und gäbe sind, zeigt sich die Bevölkerung vor Ort über einen harmlosen Amateurporno empört. Radu Jude legt nahe, wie die Verwischung der Grenzen zwischen privat und öffentlich Hand in Hand mit einem neuen Konservatismus geht, der hier ganz deutlich auf die unverarbeitete Geschichte des Landes zurückführt/geht. Während Lehrerin Emi versucht, den Schülern bei der Gedächtnisarbeit zu helfen und ihnen die nationalsozialistischen Gräueltaten des eigenen Landes vor Augen führt, fragt der Offizier empört: „Sind sie Jude?“, bevor der vehemente Holocaust-Leugner sich einem antisemitischen Exkurs hingibt. Bei so viel Dummheit wird einem erst mal schlecht: Radu Jude dekonstruiert geschickt die gängigen Klischees, Vorurteile und Hassdiskurse und legt offen, wie das gesellschaftlich-digitale Malaise der Pandemie diese noch mal zugespitzt hat.
Wie zuvor bei „Ar Condicionado“ ist auch „Bad Luck Banging or Loony Porn“ bis zum Bersten mit skurrilen Einfällen und Ideen gefüllt, der Spielfilm ist streckenweise ähnlich verkopft wie Charlie Kaufmanns „I’m thinking of ending Things“, im Gegensatz zu Kaufmann wird dieser Hang zur Theorie aber persifliert und durch die gleichzeitige Darstellung größtmöglicher Vulgarität („Karel Gott? Karel Butt!“ kichert jemand ständig im Hintergrund) aufgehoben. Wenn Radu Jude im letzten der drei hier vorgeschlagenen Filmenden das kathartisch-absurde Szenario ans Ende setzt, zeigt er: Im Endeffekt triumphieren Kunst und Fiktion immer noch über die Dummheit.
Geschichten der Gewalt
„Im Gegensatz zur Fiktion und dem Geschichtenerzählen, die oftmals eine gewisse Joie de vivre ausstrahlen, verleitet uns die Menschheitsgeschichte, wenn nicht zur Verachtung der Menschheit, dann immerhin zu einer sehr dunklen Weltansicht.“ Dieser Aphorismus ist einer von vielen klugen Sprüchen, die das zweite Kapitel von „Bad Luck Banging or Loony Porn“ ausmachen, er könnte aber auch als warnendes Zitat zu Beginn von „Quo Vadis, Aida?“ stehen.
Der fünfte Spielfilm der bosnischen Regisseurin Jasmila Zbanic erzählt die tragischen Ereignisse, die sich im Juli 1995 in Srebrenica nach der Machtübernahme der serbischen Armee zugetragen haben und die mit dem Massaker von 8.000 bosnischen Muslimen endeten.
Nachdem tausende von Bosniern Refugium in dem im Nachbarort Potocari liegenden UN-Lager gesucht haben, schließen die völlig überforderten Vereinten Nationen das Tor und lassen Tausende mehr vor den Pforten warten, während die Blauhelme versuchen, mit General Mladic zu verhandeln. Der Film wird aus der Sicht der Übersetzerin und ehemaligen Schullehrerin Aida (wahrscheinlich die beste schauspielerische Leistung des Festivals: Jasna Duricic) erzählt, der es zwar gelingt, ihre beiden Söhne und Tochter ins UN-Lager hineinzuschmuggeln, deren Sprachverständnis und analytische Fähigkeiten ihr jedoch schnell zu verstehen geben, dass sie im vermeintlich sicheren Gelände – einer ehemaligen Batteriefabrik – in der Falle sitzen.
Während die holländischen Blauhelme mit Mladic verhandeln und dieser ihnen eine dreiste Fiktion des Verzeihens auftischt und vorschlägt, die bosnische Bevölkerung mithilfe von Bussen in Sicherheit zu bringen, sieht Aida die Wirklichkeit in und vor dem Lager, schnappt Sprachfetzen auf und erkennt rasch den wahren Plan der serbischen Armee, den die holländischen Autoritäten vor Ort selbst dann nicht wahrnehmen wollen, als die Nachricht erster ermordeter Bosnier sie erreicht – sei es aus Feigheit, Überforderung oder Selbstbetrug.
Der Ablauf dürfte bekannt sein, die Fähigkeit der Fiktion liegt darin, den historischen Fakten die indirekt durchlebte Erfahrung hinzuzufügen. Geschichtsschreibung erlaubt es, festzustellen, was, wo, wie, wann und wieso passiert ist – Fiktion allein aber kann erläutern, wie es sich angefühlt haben muss, diese Ereignisse zu durchleben. Und was man hier via die Hauptfigur Aida indirekt miterlebt, geht so dermaßen durch Mark und Bein, dass einem nach dem Film ein Gefühl der Übelkeit erfasst – was auch an dem starken Schauspiel von Jasna Duricic liegen dürfte.
In der letzten Sequenz des Films sieht man, wie Aida, die in ihr altes Zuhause einzieht und dort wieder als Lehrerin unter den alten/einstigen Henkern arbeitet, eine Choreografie mit ihren Schulkindern aufführt. In einer von Freuds „Weg-Da“-Spiel inspirierten Gestik halten sich die Kinder die Augen zu, decken sie wieder auf – und skizzieren somit einen möglichen Umgang mit einer traumatischen Vergangenheit. Eine Gesellschaft, die immer nur zurückblickt, wird den Zyklus der Gewalt und Vergeltung nicht unterbrechen. Aber eine Gesellschaft, die sich stets die Augen zuhält, wird sich – wie Radu Judes es in „Bad Luck Banging or Loony Porn“ darstellt – in Lügen und Selbstbetrug verzetteln und die vergangenen Taten wiederholen.
Info
Bad Luck Banging or Loony Porn
Made in/with Luxembourg
Bewertung: 4/5
Läuft:
Online: Ab Donnerstag, 10.00 Uhr
Mittwoch um 19.00 Uhr im Kinepolis Kirchberg (ausverkauft)
Quo Vadis, Aida?
Im Wettbewerb
Bewertung: 4/5
Läuft:
Online: Noch bis Dienstag, 10.00 Uhr
Mittwoch um 16.30 Uhr im Ciné Utopia
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