EU-Parlament / Bauernproteste wirken: Debatte über die Lage der Landwirte
Im Europäischen Parlament (EP) wurde gestern unter dem Eindruck der Bauernproteste über die Lage der Landwirte in der EU debattiert. Dabei wurde deutlich, dass es keine einfachen und keine schnellen Antworten für den Berufsstand geben wird.
Überregulierung, hohe Kosten, niedrige Erträge: die Klagen der protestierenden Bauern dürften sich in allen EU-Staaten gleichen. Immerhin zeigen die Bauernproteste Wirkung, wie die Debatte am Mittwoch im EP über die Lage der Landwirte zeigt. Schnelle Lösungen wird es jedoch keine geben, da die verschiedenen politischen Lager unterschiedliche und zum Teil widerstreitende Gründe für die Misere des Bauernstandes ausmachen.
Die Probleme seien komplex, einigen diene das System der gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) gut, andere blieben auf der Strecke, meinte der EU-Vizekommissionspräsident Maros Sefcovic, der ebenfalls für den sogenannten „Green Deal“ zuständig ist. Dabei ist das gegenwärtige System erst am 1. Januar 2023 in Kraft getreten und wurde von Juni 2018 bis Juni 2021 zwischen Rat und EP ausgehandelt. Diese Regeln müssten nun wieder auf den Prüfstand, meinte die EU-Ratsvorsitzende und belgische Außenministerin Hadja Lahbib während der Debatte. Sie seien den gegenwärtigen Realitäten nicht mehr angepasst und vor dem Ukraine-Krieg erlassen worden.
Andere, vor allem im rechten und konservativen Lager, haben einen anderen Grund für die Sorgen der Bauern ausgemacht. „Agrarpolitik ist keine Unterabteilung der Umweltpolitik.“ Mit diesem Satz legte der Vorsitzende der EVP-Fraktion Manfred Weber die Richtung fest, an der sich ein Teil des Plenums während der Debatte orientierte. Viel wurde in der Folge über den „Green Deal“ und den einstigen EU-Kommissar Frans Timmermans geschimpft. Der mittlerweile abgetretene Niederländer hat das politische Kernstück der jetzigen Kommission zu verantworten, ein Bündel an Maßnahmen in Bereichen wie der Klima-, Umwelt-, Agrar-, Energie- und Industriepolitik, mit dem die EU nachhaltiger und grüner gemacht werden soll.
Dazu zählte auch das am Vortag von der EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen zurückgezogene Vorhaben, den Einsatz von giftigen Pestiziden in der Landwirtschaft auf Dauer zu halbieren. Das sei „ein falscher Ansatz“ gewesen, urteilte der EVP-Fraktionsvorsitzende gestern, der die Rücknahme des Gesetzesvorschlags begrüßte. Diese Initiative sei „in die falsche Richtung“ gegangen, sagte Manfred Weber.
Andere, wie die Vorsitzende der sozialdemokratischen S&D-Fraktion, Iraxte Garcia Perez, wandten sich dagegen, die Agrarpolitik gegen die Umweltpolitik auszuspielen. „Landwirtschaft und Umweltschutz müssen Hand in Hand gehen“, sagte die spanische S&D-Politikerin und warnte, dass eine „Renationalisierung der Landwirtschaft“, wie es die extreme Rechte fordere, „fatal“ wäre. Zwar müsste der Verwaltungsaufwand für die Landwirte reduziert werden, doch könnten die Vorschriften nicht völlig entfallen. Vielmehr sollten die europäischen Bauern vor unlauteren Handelspraktiken geschützt werden.
Gangbare Lösungen statt Papierkram
Eine Forderung, die auch die Vorsitzende der Linken-Fraktion erhob, indem sie gegen Freihandelsabkommen wetterte, wie sie die EU jüngst noch mit Neuseeland abgeschlossen hat. Für die Landwirte würden diese eine deloyale Konkurrenz bedeuten, so die französische EP-Abgeordnete Manon Aubry. In die gleiche Kerbe haute die luxemburgische Grünen-Abgeordnete Tilly Metz. Sie forderte einen Stopp des „unfairen Wettbewerbs“ durch den Import von Lebensmitteln im Rahmen von bestehenden Freihandelsabkommen. Den Landwirten sollten gangbare Lösungen angeboten werden, die die Natur schützen, ohne die Bauern in Papierarbeit zu begraben, sagte Tilly Metz.
Nicht der Green Deal und die „woken Ökos“ seien die Schuldigen. Vielmehr würden die Bauern von Großgrundbesitzern und Agrochemie-Riesen einerseits und dem Großhandel und dem Agrobusiness andererseits in die Zange genommen, meinte Philippe Lamberts. Die „wirklichen Landwirte“ würden nur 20 Prozent der GAP-Gelder bekommen, 80 Prozent gingen an die industriellen Landwirte, die diesen Namen nicht verdienten, aber dennoch für den Sektor sprächen, ärgerte sich der Grünen-Vorsitzende: „Das ist als würde Ikea die handwerklichen Möbelbauer vertreten.“
Während Iraxte Garcia Perez darauf verwies, dass die letzte Reform der gemeinsamen Agrarpolitik von allen Regierungen mitgetragen wurde, hielten andere vor allem der EVP vor, dass sie für Flächensubventionen gestimmt hätte, die vor allem kleine Landwirte in eine unfaire Wettbewerbssituation brächten und große industrielle Agrarbetriebe förderten.
Als konkrete Maßnahme und Antwort auf die Bauernproteste kündigte Maros Sefcovic gestern vorerst nur einen „strategischen Dialog“ über die Zukunft der Landwirtschaft an, an dem „alle Akteure“ beteiligt werden und „alle Fragen angehen“ sollen. Ob dabei auch die Landwirte in den Traktoren auf der Straße dabei sind?
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