Antisemitismus / Beate und Serge Klarsfeld jagen seit mehr als einem halben Jahrhundert Naziverbrecher
Beate und Serge Klarsfeld stehen für die lückenlose Aufdeckung von NS-Verbrechen, für die unermüdliche Suche nach den Tätern und für den Kampf um Aufklärung im Dienst der Gerechtigkeit. Diese Woche war das berühmte Ehepaar zu Besuch in Luxemburg.
Es schien denkbar einfach. Der Name des Mannes, den Beate und Serge Klarsfeld jahrelang gesucht hatten, stand mit Rufnummer und Adresse im Kölner Telefonbuch. Kurt Lischka arbeitete als leitender Angestellter eines Getreidegroßhändlers in der Domstadt. Als Serge Klarsfeld dies erzählt, wirkt es fast beiläufig und einfach, was er zusammen mit seiner Frau Beate jahrelang unternommen hat und für was er berühmt geworden ist: die Jagd auf die alten Schergen des Nazi-Regimes. So lebte etwa Kurt Lischka jahrelang unbehelligt in der alten Bundesrepublik. Im Dritten Reich hatte der Jurist als Gestapo-Referatsleiter für Judenangelegenheiten und als hochrangiger Gestapo-Beamter in Paris die Deportation Zehntausender Juden in Vernichtungslager wie Auschwitz organisiert. Als die Klarsfelds ihn 1971 aufspürten, war er schon 62 Jahre alt, 1975 ging er in Rente.
Im Gespräch mit dem luxemburgischen Historiker Vincent Artuso in der Abtei Neumünster haben Beate und Serge Klarsfeld davon erzählt, was ihre Lebensaufgabe geworden war. Schon in ihrer gemeinsamen Biografie „Erinnerungen“ hat das berühmte Ehepaar beschrieben, wie sie bis heute ein Zeichen setzten für das Erinnern an die Menschenrechtsverbrechen der Nationalsozialisten und gegen die Straflosigkeit der Täter. „Viele lebten ruhig und friedlich, ohne dass sie für ihre Taten zur Verantwortung gezogen wurden“, sagt Beate Klarsfeld. „Sie genossen Straflosigkeit.“ Unruhig und voller Leidenschaft setzten die Klarsfelds dagegen ihr Leben ein, um die Täter ausfindig zu machen. Sie bereisten dafür zahlreiche Länder auf mehreren Kontinenten und ließen nicht locker. Sie machten sich damit bei vielen Menschen, denen sie unbequem geworden waren und die dafür waren, einen Mantel des Schweigens über die NS-Verbrechen zu legen, unbeliebt und handelten sich deren Unmut und Hass ein. Und nicht selten wurde es gefährlich für das mutige Paar: Sie erhielten Morddrohungen und eine Zeit lang Personenschutz, 1972 explodierte ihr Auto, und einmal kam ein Paket mit 500 Gramm Dynamit und Nägeln frei Haus.
Doch wie war es dazu gekommen, dass der 1935 in Bukarest geborene, aus einer jüdischen Familie stammende französische Rechtsanwalt und Historiker und die 1939 in Berlin unter dem Familiennamen Künzel geborene nicht-jüdische Journalistin die berühmtesten Nazijäger wurden? Serge Klarsfeld war mit seinen Eltern im Juni 1940 in den unbesetzten Teil Frankreichs geflohen und wäre bei einer der großen Razzien des SS-Hauptsturmführers Alois Brunner in Nizza Ende September 1943 fast deportiert worden, wenn er sich nicht zusammen mit seiner Familie hinter der doppelten Wand eines Wandschranks versteckt hätte. Sein Vater hingegen wurde festgenommen und in Auschwitz ermordet.
Nach dem Krieg studierte Serge Klarsfeld in Paris Politikwissenschaft, später schloss er ein Jurastudium ab und wurde Rechtsanwalt. Seine spätere Frau lernte er 1960 kennen, als sie in der französischen Hauptstadt Au-pair-Mädchen war und sich zunächst wenig für Politik und Geschichte interessierte. Ihr Mann konfrontierte sie schließlich mit den Folgen des Holocausts. Durch ihn wurde sie „eine Deutsche mit Gewissen und Bewusstsein“. Die beiden heirateten 1963.
Berühmt durch Ohrfeige
Beate Klarsfeld erlangte Berühmtheit vor allem durch die Ohrfeige, die sie 1968 dem damaligen deutschen Bundeskanzler Kurt Georg Kiesinger verabreichte. Dem CDU-Politiker hatte sie bereits mehrfach seine nationalsozialistische Vergangenheit vorgeworfen, denn Kiesinger war nicht nur NSDAP-Mitglied gewesen, sondern war im Außenministerium des Dritten Reichs seit 1940 unter anderem Hauptverantwortlicher für die Inhalte des deutschen Auslandsrundfunks für antisemitische Hetze und Kriegspropaganda. Ein Alt-Nazi als deutscher Regierungschef!
Im Deutschen Bundestag in Bonn rief Beate Klarsfeld am 2. April 1968 dem Regierungschef von der Besuchertribüne aus entgegen: „Nazi, tritt zurück!“ Kiesinger hatte stets behauptet, von der Verfolgung und Ermordung der Juden nichts gewusst zu haben. Beate Klarsfeld bestieg schließlich beim CDU-Parteitag in Berlin am 7. November 1968 das Podium der Berliner Kongresshalle, ohrfeigte Kiesinger und rief: „Nazi, Nazi, Nazi!“ Beate Klarsfeld wurde noch am selben Tag in einem Schnellverfahren zu einem Jahr Gefängnis verurteilt, musste die Strafe jedoch, weil sie mittlerweile die französische Staatsangehörigkeit besaß, nicht antreten. Sie setzte daraufhin ihre Aktionen gegen Kiesinger fort, weil er sich geweigert habe, seine Vergangenheit einzugestehen. Sie rechtfertigt auch heute noch die Ohrfeige als probates Mittel, das sie gewählt hatte, „weil sonst niemand sich darüber aufgeregt hätte“.
Vincent Artuso weist auf die große Bedeutung der wohl berühmtesten Ohrfeige der Geschichte hin und auf den zunehmenden Bekanntheitsgrad, der den Klarsfelds zugutekam. Das Ehepaar intensivierte seine Recherchen über die nach dem Zweiten Weltkrieg untergetauchten NS-Verbrecher wie Klaus Barbie, Kurt Lischka, Ernst Heinrichsohn und Herbert M. Hagen sowie französische Kollaborateure wie René Bousquet, Jean Leguay und Maurice Papon. Als der frühere UN-Generalsekretär Kurt Waldheim 1985 als österreichischer Bundespräsident kandidierte, protestierten Beate und Serge Klarsfeld dagegen, indem sie darauf hinwiesen, dass Waldheim einst als Wehrmachtsoffizier an Kriegsverbrechen beteiligt war. Serge Klarsfeld konnte sogar seinen ehemaligen Verfolger Alois Brunner, dem er als Kind in Nizza knapp entkommen war, ausfindig machen. Dem Stellvertreter von Eichmann wurde die Ermordung von 130.000 Juden zur Last gelegt. Die Klarsfelds wiesen außerdem auf die Verstrickungen des FDP-Politikers Ernst Achenbach in die Deportationen der Juden aus Frankreich hin und bereisten auf der Suche nach Nazi-Verbrechern Südamerika.
Verspätetes Schuldeingeständnis
Der wohl bekannteste Fall war wohl der von Klaus Barbie, der unter falschem Namen in Bolivien lebte. Auf die Initiative der Klarsfelds hin wurde er 1987 gefasst. Der SS-Kriegsverbrecher war als „Schlächter von Lyon“ bekannt geworden. Barbie wurde schuldig gesprochen und zu einer lebenslangen Gefängnishaft verurteilt. Alois Brunner hingegen entging einer Strafe. Er lebte in Syrien, wurde zwar im Jahr 2001 von einem französischen Gericht in Abwesenheit zu lebenslanger Haft verurteilt, doch nie ausgeliefert, und starb im hohen Alter und in Freiheit in Damaskus. Mit dem Prozess gegen Barbie aber begann auch die Aufarbeitung der französischen Kollaboration – bis zum historischen Schuldeingeständnis von Präsident Jacques Chirac. Dieser sprach im Juli 1995 in einer Rede zum ersten Mal von der französischen Mitverantwortung für die Deportation der im Land lebenden Juden. Chirac sprach von einer „gemeinsamen“ und „unauslöschlichen Schuld“ seines Landes.
Erinnert sei dabei auch an die Recherchen einer neuen Generation von luxemburgischen Forschern, die sich der Judenverfolgung in Luxemburg während der deutschen Besatzungszeit widmen. Das luxemburgische Parlament entschuldigte sich, ebenso wie die Regierung unter Premierminister Xavier Bettel, im Jahr 2015 bei der jüdischen Gemeinde. Diese Entwicklung in der Erinnerungsarbeit und diese Form der Auseinandersetzung mit der eigenen Vergangenheit sind nicht zuletzt den Menschen in der Folge von Beate und Serge Klarsfeld zu verdanken. Letztere haben ihr Leben der Aufklärung der Verbrechen gegen die Menschlichkeit gewidmet und sich gegen die rechte Gefahr erhoben, die heute wieder so groß wie schon lange nicht mehr ist. Eine rechtsextremistische und antisemitische Partei dürfe nicht wieder an die Macht kommen, weder in Frankreich noch sonst irgendwo in Europa, wissen die Klarsfelds. Diese Botschaft ist heute von großer Bedeutung. Sie bereuen es nicht, sagen die beiden im Gespräch mit Vincent Artuso. Ihnen ging es nicht um Rache, sondern um Gerechtigkeit. Die Generation der Täter stirbt allmählich aus, wie auch die der Zeitzeugen des Holocausts. Die Generation der Klarsfelds, „Kinder der Shoah“, wie Serge Klarsfeld am Montagabend im vollbesetzten Saal Robert Krieps sagte, ist ebenso im fortgeschrittenen Alter. Neue Generationen müssen nachkommen, um das „Nie wieder“ aufrechtzuerhalten. Kurt Lischka, dessen Entführung Beate und Serge Klarsfeld einst planten, wurde übrigens 1980 in einem Prozess zu zehn Jahren Haft verurteilt. Die Suche nach ihm hatte sich also gelohnt.
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Sie sin a bleiwen ob éiweg meng grouss Helden, déi eenzeg Menschen déi ech wirklech als Vierbiller ka gesinn, fir dat wat se sin an dat wat se gemach hun a machen.
RESPEKT
Du respect, certainement.
Il n’empêche : un léger pincement au cœur malgré tout en lisant Clément Guillou à la page 10 du Monde, le jeudi 12 octobre 2023.
“Il n’empêche: depuis un an, le RN (le Rassemblement National) a franchi (en France) quelques caps symboliques, en voyant certains de ses représentants invités sur l’antenne communautaire Radio J, ou les époux Serge et Beate Klarsfeld accepter une décoration des mains du maire RN de Perpignan Louis Aliot.”