Berlin / Besuch im Haus des Künstlerpaares: Wo Brecht und Weigel noch ganz lebendig sind
Bis zu seinem Tod am 14. August 1956 bewohnten Bertolt Brecht und Helene Weigel gemeinsam einen Seitenflügel in der Chausseestraße 125 in Berlin-Mitte. Heute beherbergt das Haus, das seit 1978 als öffentliches Museum besucht werden kann, auch Brechts Nachlassbibliothek von 4.000 Bänden.
Etwas versteckt liegt das ehemalige Wohnhaus der Schauspielerin Helene Weigel und des Dramatikers und Lyrikers Bertolt Brecht in der Berliner Chausseestraße. Das kleine Museum sowie das Brecht-Archiv werden heute von der Akademie der Künste verwaltet. Nur eine schlichte Plakette an der Fassade erinnert an die beiden Theatermacher. Wer durch die Einfahrt geht, kommt an zwei beleuchteten Fotografien der beiden vorbei in den Hinterhof, wo einen die Ruhe überrascht.
Ich möchte eine Kunst machen, die die tiefsten Dinge des Lebens behandelt, und diese nicht zu ernstDramatiker und Lyriker
„Seien Sie willkommen in seiner letzten Wohnung, in der er nur drei Jahre gelebt hat. Eine kurze Zeit, deswegen erzähle ich von der Vor- und Nachgeschichte … und davon, wieso das Ganze hier in den drei Lebensjahren ein Museum wurde“, begrüßt Doreen Kähler, Schauspielerin und Mitarbeiterin am Brecht-Weigel-Haus, feierlich. „Ich möchte eine Kunst machen, die die tiefsten Dinge des Lebens behandelt, und diese nicht zu ernst“, erklingt zudem eine Stimme zu Beginn des Rundgangs aus dem Off. Es ist ein Zitat von Brecht. In dessen kleinem Arbeitszimmer startet die Führung. Von hier kann man auf die Friedhöfe blicken. Brecht liebte die Aussicht. Gegenüber ist der Französische – so meinte er, er wäre Nachkomme der Hugenottengeneräle –, dahinter erstreckt sich der Dorotheenstädtische Friedhof, der Berliner Olymp, auf dem viele berühmte Persönlichkeiten aus Literatur und Philosophie ruhen.
Masken und Demaskierung der Verhältnisse
Bücher waren für Brecht zentral. Der Blick in den ersten Räumen fällt denn auch auf seine Bibliothek: Im rechten Regal steht eine komplette Werkausgabe Hegels, daneben Marx und Engels sowie zahlreiche Schriften von Kommunisten und Sozialisten. Es ist eine Bibliothek der 1950er-Jahre der DDR. Hier steht aber auch – getarnt – Trotzki. Dann gibt es unterschiedliche Bibel-Ausgaben und ganz oben auch Naziwerke, darunter sogar „Mein Kampf“.
„Das sollte man im Verhältnis zur Zeit sehen“, so Kähler. Ihn interessierte die Rhetorik der Nazis, auf welche Weise diese die Leute einwickelten. Sie hat er studiert und ja nicht zuletzt in „Der aufhaltsame Aufstieg des Arturo Ui“ festgehalten. Sodann Kunstbände wie Brueghel. Die Zeichnungen daraus hätten ihn zur „Mutter Courage“ ermuntert. An den Wänden hängen chinesische Masken. Auch fernöstliche Sagen und Konfuzius sowie Mao (es war noch vor der Kulturrevolution) haben ihn fasziniert und sind in sein Werk eingeflossen, etwa in „Der gute Mensch von Sezuan“.
Schließlich blickt man auf die Maske eines bösen Dämons. An den geschwollenen Stirnadern sehe man, dass es doch sehr anstrengend sei, böse zu sein, so die kundige Museumsmitarbeiterin. Sie dienten in seinem epischen Theater freilich nicht der Maskierung. Demaskierung der Rhetorik und der Verhältnisse, um die Menschen zum eigenständigen Denken zu animieren, das hatte Brecht im Sinn.
Knarzende Holzdielen führen durch die weitläufigen Wohnräume. In seinem großen Arbeitszimmer: ein kleiner Schreibtisch und ein runder Arbeitstisch mit Sofa für Besprechungen. Ein konspirativer Arbeitsbereich für dialektische Diskurse. Ein großer Aschenbecher kündet noch davon, wie diskutierend gequarzt wurde. Ganz oben einem Regal stehen reihenweise englische und amerikanische Krimis im Original – seine heimliche Leidenschaft. „Er inhalierte sie förmlich; es war so etwas wie geistige Schokolade für ihn“, schwärmt Kähler.
Auch dieser Raum bietet Einblicke in Brechts Weltanschauung: auf einem Rollbild Konfuzius (eine Modeerscheinung der Zeit, selbst Anna Seghers studierte Sinologie), Johannes und Maria und knapp einen Meter weiter Marx und Engels. „Das war Brecht! Nicht mehr und nicht weniger“, so Kähler. Ein grauer Sessel war sein selbsterklärter Lieblingsarbeitsplatz. Von hier aus konnte er auf das Grab Hegels hinabblicken. In seinem Nachlass hinterließ er die Anweisung, dass er so bestattet werden solle, dass er Hegel sehen kann.
Sein spärlich eingerichtetes Schlafzimmer wirkt wie eine Klosterzelle, hier starb er an einer Herzmuskelentzündung. An der Tür zum Badezimmer hängen noch arrangiert seine Kappe und der Stock – so, als könnte er jederzeit zur Tür reinspazieren. Dabei hallen seine Worte noch nach: „Dauerten wir unendlich, so ändert sich alles. Da wir aber endlich sind, bleibt vieles beim Alten!“ Auf dem Beistelltisch am Bett stößt man noch auf den guten Soldat Schwejk, Knut Hamsun, Goethe …
Und wie lebte Weigel?
Die Treppenstufen geht es hinunter zum Schlafzimmer der Weigel und den gemeinsamen Räumen, dem Wintergarten und der Küche. Dabei wird einem eingeschärft, ja nicht die Teppiche zu betreten – auf dass diese erhalten bleiben für die Nachgeborenen!
Die Exilerfahrung saß tief. Dass Krieg verrückt und sinnlos ist, sollte Brecht denn auch in der Folge in seine Stücke einflechten. Um die langjährigen Entbehrungen zu kompensieren, gab es diese Wohnung. Für Helene Weigel war es auch ein Stück weit Heimat. Ein schwarzes Becken an der Wand, Kellen, Töpfe und Porzellan in dem kleinen Küchenraum künden noch von ihrer Kochleidenschaft. Heimelig war das gemeinsame Wohnzimmer.
Im Schlafzimmer von Helene Weigel vermischen sich mondäne Lebensart, Organisationssinn und Reminiszenzen an Brecht: Hier befindet sich das Telefon direkt am Bett, das dominant mitten im Raum steht. Genau gegenüber ein Fernseher – dekadent für die 1960er-Jahre! Daneben ein Beistelltisch mit Manuskripten. Sie breitete die Papiere um sich aus und hielt dann Arbeitsbesprechungen ab.
„Er hat diskutiert, sie hat organisiert. Das war auch die Ergänzung zwischen den beiden“, so Kähler. Auch das Schlafzimmer zeugt davon, dass sie eine unkonventionelle Frau war.
Ein Bild an der Wand zeigt Helene Weigel: im Morgenmantel, Blumen pflückend. Stets schloss sie die Türen und kochte. Dies war für sie ein Ausgleich zur Arbeit am Theater. Er musste draußen bleiben. In einem Regal stehen noch Kochbücher als Anregungen. Sie, ursprünglich aus Österreich, bereitete vor allem wienerische Speisen zu: Gulasch, Wiener Schnitzel, Kaiserschmarrn …
Im Küchenschrank befand sich kein zusammenhängendes Service, sondern Sammelstücke aus unterschiedlichen Manufakturen, ob aus Böhmen, Preußen oder weiteren Orten. „Es ging um Freude und um Genuss – und nicht um den Status und darum, dass man sagte: Guck mal, was hast Du? Brecht war ein großer Fan der Küche seiner Frau“, erzählt Kähler. Das gesamte Haus ist bis heute genussvoll eingerichtet.
Brecht selbst hat auch über gutes Essen geschrieben. Man weiß, dass er gerne Paulaner trank und Virginia-Zigarren rauchte. Er liebte die Frauen, spielte Schach (welche Bedeutung es für ihn hatte, hat er Galilei in den Mund gelegt), ging leidenschaftlich gerne zu Boxwettkämpfen … und er liebte Autos und das Gefühl des Fahrens.
Episches Theater und Verfremdungseffekte
„Er hatte während des Exils nicht viel Geld, fand Sponsoren, die ihm Autos zur Verfügung stellten, und in die Bibel, die er mitnahm ins Exil, hat er vorne ein Bild einer fernöstlichen Gottheit eingeklebt, hinten auf den Seiten findet man ein Antikriegsgedicht in seiner Handschrift und das kleine Bild eines Rennwagens: Alles, was ihm heilig war, war vereint zwischen diesen Buchdeckeln“, so Kähler.
Berühmt wurde Brecht durch seine 1928 uraufgeführte „Dreigroschenoper“, in der er die bürgerlich-kapitalistische Welt der Weimarer Republik karikierte. Balladen wie das „Lied der Seeräuber-Jenny“ oder die „Moritat von Mackie Messer“ (Musik: Kurt Weil) zählen heute zu weltweit bekannten Kompositionen. Dass seine Lieder zu Gassenhauern werden sollten, die Dreigroschenoper amüsierte und unterhielt, was einem Missverständnis gleichkam, konnte der kritische Theatermacher nicht wissen. Ihm, der sich selbst als „Stückeschreiber“ bezeichnete, schwebte ein mündiges Publikum und ein neues Theater vor.
Das von ihm begründete Epische Theater ist auch heute noch Avantgarde. Vor hundert Jahren provozierte er mit seinen Verfremdungseffekten. Jener V-Effekt wurde zum wesentlichen Kennzeichen seines Theaters. Seine Geschichten vom Herrn Keuner, der „kein Rückgrat zum Zerschlagen“ habe, bleiben einem als Parabel im Gedächtnis, ebenso die Figur der Shen Te aus „Der gute Mensch von Sezuan“, an der er klarmachte, dass es unmöglich ist, „gut zu sein und doch zu leben“.
Auf viele wirkte der ungepflegte kleine Mann, der mal chinesische Arbeiteranzüge, mal speckige Lederjacken trug, abstoßend, aber wer ihm begegnete, konnte sich seinem Charme nicht entziehen, heißt es. Die zahllosen Liebschaften Brechts sind dabei kein Ruhmesblatt.
Flucht aus Nazi-Deutschland
Unmittelbar nach dem Reichstagsbrand floh Brecht aus Nazi-Deutschland. Seit Ende der 1920er-Jahre hatten die Nationalsozialisten es auf ihn abgesehen. Gemeinsam mit dem Komponisten Hanns Eisler und dem Sänger Ernst Busch engagierte er sich in Kneipen, Versammlungen und im Theater gegen sie und für die kommunistische Bewegung in den Kämpfen der Weimarer Republik. Ab 1930 störten die Nazis immer wieder seine Aufführungen.
1933 musste Brecht über Prag und die Schweiz zunächst nach Dänemark fliehen, um von dort aus über Finnland und Moskau 1941 die USA zu erreichen. Fragmente seiner Lyrik („Svendborger Gedichte“, 1939) wie auch sein Gedicht „Fragen eines lesenden Arbeiters“, das er 1935 im Exil in Dänemark schrieb, sind berühmt: „Wer baute das siebentorige Theben? In den Büchern stehen die Namen von Königen. Haben die Könige die Felsbrocken herbeigeschleppt?“ Unmissverständlich verweist er damit auf die Arbeiter:innen, die in der offiziellen Geschichtsschreibung unerwähnt bleiben. Doch obwohl die Dreigroschenoper seiner Zeit nicht ohne Brechts Assistentin Elisabeth Hauptmann entstanden wäre, wurde ihr Name auf dem Plakat der Uraufführung nicht genannt …
In der Führung im Brecht-Weigel-Haus wird eher an seinem Mythos gestrickt: „15 Jahre war er im Exil, kam 1948 zurück, um hier am Deutschen Theater die ‚Mutter Courage‘ zu inszenieren, mit seiner Frau Helene Weigel in der Hauptrolle. Das war ein voller Erfolg. Man wollte ihn halten und so finanzierte man ihm ein eigenes Theater, das Berliner Ensemble (BE). Sie wurde die Intendantin – das war der ausdrückliche Wunsch Brechts. Wie modern für die damalige Zeit!“, schwärmt Kähler.
Stricken am Mythos Brecht
Helene Weigel sollte das Berliner Ensemble bis zu ihrem Tod, 1971, leiten (und in der Rolle der Mutter Courage den Wagen ziehen). „Man kann Brecht viel vorwerfen. In dem Punkt, seine Frau zur Intendantin zu machen, war er seiner Zeit voraus“, so Kähler, die fast stündlich durch das Haus führt. Zunächst ohne eigene Spielstätte – und ab 1954 am Schiffbauerdamm war das BE von Anbeginn ein emblematischer Ort. Das Ausland blickte darauf mit Neid, denn von seinen Anfängen an leistete er es sich, fernab der Regeln des Marktes ohne Zeitdruck zu arbeiten.
Helene Weigel fand ein Haus in Weißensee. Da wohnten sie erst mal. Doch 1953 gab es einen so heftigen Krach zwischen den beiden Eheleuten, dass sie sagte: „Schluss.“ Sie nahm sich eine kleine Wohnung und ließ Brecht allein in Weißensee sitzen. Er wollte sie aber nicht verlieren und begab sich auf die Suche nach einer gemeinsamen Wohnung, zog dann 1953 in die Chausseestraße ein. Ihn hatten vor allem die Nähe zum Berliner Ensemble, zur Akademie und die historischen Friedhöfe nebenan bewogen, diese Wohnung mit „anständigen Maßen“ zu beziehen, wie er seinem Verleger Peter Suhrkamp mitteilte. Von hier aus schrieb er seiner Frau Briefe und Gedichte – er war sehr charmant und erreichte, dass sie einige Wochen später mit ihm hier einzog.
Doreen Kähler führt mit resolutem Schritt weiter durch das Museum. Ihre Leidenschaft für Brecht und sein Werk und ihre mit Anekdoten gespickten Erzählungen lassen die Geister des Künstlerpaares heraufbeschwören und das liebevoll eingerichtete Haus und seine prominenten Bewohner:innen (auf-)leben. Die Schauspielerin erzählt, dass die Räume in dem Haus klar voneinander getrennt waren. Ein respektvolles Nebeneinander. Weigel wohnte im ersten Stock, Brecht im zweiten – unten der gemeinsame Bereich. Dort war auch der Haupteingang, den nur enge Mitarbeiter:innen und Freund:innen nutzen durften, und es war sein Fluchtweg.
Im Alltag klopfte man an und ging nicht in den Bereich des anderen. Man verständigte sich über Zettel, schob sich Anfragen unter der Tür hindurch, etwa, ob sie nicht mit ihm Tee trinken wolle, erzählt Kähler.
Als er 1956 starb, war Weigel bewusst, dass man sein Werk für die Nachwelt erhalten musste, um weiterführen zu können, was Brecht vorhatte. Doch gab es zunächst kein Interesse von staatlicher Seite. Deshalb gründete sie auf eigene Faust das Brecht-Archiv, sammelte enge Mitarbeiter:innen um sich, die sich mit seinem Werk auskannten. Seine Bibliothek beließ sie unangetastet. So ist die Wohnung, wie sie Weigel und Brecht bewohnten, bis heute im Originalzustand erhalten.
Bei Brecht beobachtet das Publikum, es urteilt, nimmt eine Haltung ein. Die Bühne führt den Zusammenhang vor, das Gesellschaftliche, als dessen Teil sich niemand entziehen kann. Das Theater zeigt, dass Herr und Knecht eben nicht auch nur Menschen sind, sondern dass sie es beide noch nicht sind, hat es der Theaterkritiker Jakob Hayner auf den Punkt gebracht. Brecht trichterte seinem Publikum ein: „Denn die einen sind im Dunkeln/Und die andern sind im Licht. Und man siehet die im Lichte. Die im Dunkeln sieht man nicht.“ Ein Plädoyer, die Unsichtbaren wahrzunehmen; das Lumpenproletariat – jene Bedürftigen, denen hierzulande gar das Betteln untersagt werden soll(te).
Infos
Weitere Informationen über die Webseite adk.de.
Anmeldung zu Führungen per E-Mail an brechtweigelmuseum@adk.de
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