Welttag des Stotterns / Betroffener erzählt von seinem Alltag: „Ich wurde oft ausgelacht“
Der 22. Oktober gilt als Welttag des Stotterns und wird international genutzt, um Aufmerksamkeit auf diese Störung des Redeflusses zu lenken. Das offenbar nicht ohne Grund, denn: Wie das Gespräch mit dem Betroffenen Harman Hoekstra aus Niederfeulen zeigt, würde es Menschen wie ihm vielleicht schon ein Stück leichter ergehen, wenn andere besser über das Stottern Bescheid wüssten.
„Verschiedene Buchstaben sind kein Problem. Andere – wie das ‚P’ oder das ‚S’ – wollen mir manchmal einfach nicht über die Lippen kommen“, erklärt Harman Hoekstra bei einem Gespräch in der zukünftigen Bibliothek des „Centre de logopédie“ (CL). Seit mehr als 20 Jahren arbeitet der 53-Jährige in dem Kompetenzzentrum, das sich um junge Menschen mit Hör- oder Sprachproblemen kümmert, und ist dort vor allem für das Binden und Drucken der Unterrichtsmaterialien für das Lehrpersonal zuständig. Zusätzlich sieht Harman Hoekstra bei der sich im Aufbau befindenden Fachbibliothek des Zentrums nach dem Rechten.
Bei seiner Arbeit trifft der aus dem Norden der Niederlande stammende und seit fast 35 Jahren in Luxemburg lebende Mann auf Verständnis. „Die Lehrkräfte hier sind es gewohnt, mit Kindern zu arbeiten, die Probleme beim Hören oder Sprechen haben. Anders als Menschen, die noch nie zuvor jemanden so haben reden hören wie mich, verstehen sie, dass ich stottere“, erklärt der Einwohner aus Niederfeulen. Denn von klein auf gerät Harman Hoekstra beim Sprechen ins Stocken – so wie seine beiden Brüder und sein Großvater. „Uns wurde gesagt, dass es wohl genetisch bedingt ist. Gott sei Dank haben meine beiden Kinder es nicht geerbt“, sagt der Familienvater.
Und fährt fort: „Als Kind war das grausam. Ich wurde viel ausgelacht.“ Damals haben er und seine Brüder während einiger Jahre eine Art Logopädin besucht. Er lernte, langsam zu reden und auf seine Atmung zu achten. „Aber allgemein hat man früher nicht viel dagegen gemacht“, erinnert er sich. Allmählich sei es mit dem Stottern weniger geworden: „Man wird älter, denkt anders.“ Eine Sprachtherapie, Übungen oder ähnliches absolviert Harman Hoekstra aktuell nicht. Muss er vielleicht auch nicht. Denn ja, manchmal dauert es einen Augenblick, bis ihm ein Buchstabe über die Lippen kommt – eine längere Unterhaltung ist dennoch problemlos möglich.
Geduld gefragt
„Dass die Leute sich Zeit nehmen und zuhören. Einen ausreden lassen“ – das wünscht sich der Mann mit den blauen Augen hinter der dunkel umrahmten Brille. Er ist überzeugt, dass viele stotternde Menschen dies ebenfalls so sehen. Harman Hoekstra ärgert es, wenn andere so tun, als hätten sie verstanden, was er sagt (obwohl dem nicht so ist), und ein Gespräch mit einem „Ja, ja, o.k.“ unterbrechen. „Ich merke das sofort, wenn jemand mich nicht verstanden hat. Manchmal liegt das ja auch daran, dass mein Luxemburgisch noch nicht perfekt ist“, erklärt er mit leicht niederländischem Akzent.
Dem freundlichen Mann wäre es lieber, wenn das Gegenüber in solchen Situationen einfach noch mal nachfragt. Ärgerlich findet er auch, wenn Fremde zu lachen beginnen, wenn er mit ihnen spricht. Vor allem bei Jüngeren, die vielleicht noch nie jemanden so haben reden hören, sei das oft der Fall. Mit der traurigen Folge: „Auf fremde Leute zugehen – das traue ich mich nicht. Vor allem in großen Gruppen. Ich bin nicht schüchtern, aber frage mich dann, ob die Menschen mich verstehen werden.“ Denn manchmal ist Harman Hoekstra das Stottern peinlich. Videos, bei denen er sich sprechen hört, sieht er sich nicht gerne an.
Unterstützung finden
Stottern wird laut einem Faltblatt vom Luxemburger „Service audiophonologique“ in Zusammenarbeit mit dem „Centre de logopédie“ (CL) und der „Association luxembourgeoise des orthophonistes“ (ALO) als chronische und dauerhafte Störung des Redeflusses definiert. Diese äußert sich durch Blockaden, das Dehnen von Lauten, aber auch durch Wiederholungen von Lauten oder Silben. Der Ursprung soll in der genetischen Veranlagung liegen, allerdings können äußere Faktoren die Entwicklung und Intensität des Stotterns beeinflussen. So können Angst und Stress dieses zum Beispiel verschlimmern. Bisher ist laut Gesundheitsministerium sowie dem CL nicht offiziell erfasst, wie viele Betroffene es im Großherzogtum gibt. In Luxemburg können stotternde Kinder je nach Alter laut Gesundheitsministerium beim „Service audiophonologique“ oder beim CL kostenlose Sprachbehandlungen erhalten. Ihre Eltern und ältere Betroffene können sich aber auch an freischaffende Spezialistinnen und Spezialisten aus dem Bereich der Orthophonie wenden. Eine entsprechende Liste gibt es auf der Webseite alo.lu.
Helfen würde es, wenn die Öffentlichkeit besser aufgeklärt sei – nicht nur in Bezug auf das Stottern, sondern zum Beispiel auch über Stummheit oder Taubheit, meint der Mitarbeiter des CL. Mit zunehmendem Alter hat er sich mit dem Stottern abgefunden, es akzeptiert. Er geht zur Arbeit, trainiert in seiner Freizeit die Damenmannschaft eines Fußballvereins und verbringt Zeit mit Familie oder Freunden. Dabei fühlt er sich wohl, denn er weiß: Diese Menschen wissen um seine Schwierigkeiten beim Reden, hören geduldig zu, lassen ihm Zeit und lachen ihn vor allem nicht aus.
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