Editorial / Bettel demonstriert Glaubwürdigkeit – was die EU nicht hat
Außenminister Xavier Bettel hat sich mit seinem kurzen Arbeitsbesuch einen Eindruck verschafft, was die Auswirkungen des Gaza-Kriegs und eine Eskalation des Nahostkonflikts auf Anrainerstaaten wie Jordanien haben kann. Das Land ist bisher von jedem Krieg in der Region betroffen gewesen – oder sogar involviert. In diesem aktuellen, der nach der Terrorattacke der Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023 ausgebrochen ist, hat das Land einmal mehr eine Flüchtlingswelle aus den Palästinensergebieten zu erwarten. Dabei ist Jordanien längst am Limit seiner Kapazitäten angelangt.
Wenn man davon spricht, muss man zwangsläufig auch davon sprechen, wie prozentual ungleich größer die Leistung Jordaniens für die Flüchtlinge aus den Nachbarstaaten ist im Vergleich zu der Asylpolitik, mit der sich Europa mehr und mehr von seinen eigenen humanistischen Grundsätzen entfernt. Die Europäische Union würde gerne einen größeren Part im weltpolitischen Konzert spielen. Doch in Sachen Asyl und Einwanderung ist die EU weder Löwe oder Elefant noch Maus noch sonst etwas aus dieser Kategorie der Fabelwesen. Bestenfalls ist sie als Tiger gesprungen und als Bettvorleger gelandet. Um im musikalisch-klanglichen Jargon zu bleiben: Die Union ist über den „Stimmbruch“ nicht hinausgekommen.
Zwar haben der Nahostkonflikt und der russische Angriffskrieg auf die Ukraine kaum etwas miteinander zu tun. Aber, wie unlängst die Süddeutsche Zeitung kommentierte, zumindest stellten beide eine tödliche Gefahr für das westliche Lebensmodell dar. Aus zwei Kriegen werde eine Niederlage, heißt es weiter. Während die USA angesichts der bevorstehenden Schicksalswahl und eines nun doch zur „Lame Duck“ werdenden scheidenden Präsidenten mit seiner Großmachtbedeutung sparsam haushalten und mit Benjamin Netanjahus israelischer Regierung hadern, zeigt sich die EU derart mausgrau angesichts der Tatsache, dass sie zum Beispiel mit dem iranischen Mullah-Regime lange Zeit viel zu unentschlossen war. Und nun wurde die Union vor gar nicht langer Zeit, besser gesagt mit dem Gaza-Krieg, einmal mehr auf dem falschen Fuß erwischt. Zuerst garantierte EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen Israel ihre uneingeschränkte Solidarität, danach kritisierte der Außenbeauftragte Josep Borrell die Bombardierungen Gazas durch die israelische Armee.
Einigkeit sieht anders aus, wissen erfahrene Politiker wie Xavier Bettel. Indem er sich einmal mehr für das Hilfswerk der Vereinten Nationen für Palästina-Flüchtlinge im Nahen Osten (UNRWA) ins Zeug legte, zeigte er mutig das, was die EU insgesamt weiter zu verlieren droht: Glaubwürdigkeit. Und was sie in letzter Zeit selten hatte: Mut. Denn ihr wird zu Recht vorgeworfen, bei Israel selektiv vorzugehen, was die Verteidigung des Völkerrechts angeht. Dies gilt für das israelische Bombardement des Gazastreifens und galt schon vorher in Bezug auf die illegale Besetzung und Besiedlung des Westjordanlandes durch jüdische Siedler. Daniel Levy wird in den Medien folgendermaßen zitiert: „Wenn es um Gaza geht, hat die EU auf sehr offensichtliche und dramatische Weise versagt“, so der ehemalige israelische Verhandlungsführer. Im sogenannten globalen Süden ist Europa so gut wie unten durch damit. Und es ist kaum verwunderlich, wenn sich diese Länder verstärkt jenen Autokraten zuwenden, die gegenüber Menschen- und Völkerrechten bekanntermaßen gleichgültig sind.
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