Gaza / Bettel führt Gespräche über die Situation im Nahost-Konflikt
Die jüngsten verheerenden Luftangriffe Israels auf Gaza könnten die Verhandlungen über Waffenruhe zurückwerfen – und zeigen umso mehr die Dringlichkeit einer Verhandlungslösung. Außenminister Xavier Bettel spielt dabei eine „kreative“ Rolle.
Der massive Luftangriff der israelischen Armee, der sogenannten Israel Defense Forces (IDF), auf die humanitäre Schutzzone al-Mawasi im Süden des Gazastreifens hat die Verhandlungen über eine Waffenruhe und über die Freilassung der israelischen Geiseln aus der Hand der palästinensischen Terrororganisation Hamas schwer belastet. Letztere erklärte, sich aus den derzeitigen Verhandlungen „aufgrund der mangelnden Ernsthaftigkeit“ Israels und der „Massaker an unbewaffneten Zivilisten“ vorerst zurückzuziehen. Der Niederländer Sven Koopmans, der Sonderbeauftragte der Europäischen Union für den Friedensprozess im Nahen Osten, war am Montag zu einem Arbeitsbesuch nach Luxemburg gekommen und hat sich mit Außenminister Xavier Bettel über eine mögliche Konfliktlösung unterhalten.
Bei dem Luftschlag der IDF auf das Flüchtlingslager in al-Mawasi westlich der Stadt starben nach verschiedenen Informationsquellen mindestens 90 Menschen, mehr als 300 weitere wurden verletzt. Die IDF hatte den etwa zwölf Kilometer langen Küstenstreifen bombardiert. Ihr eigentliches Ziel: Mohammed Deif, der Militärchef der Hamas, der sich dort aufgehalten haben soll. Ob Deif überlebt hat oder nicht, war am Sonntagnachmittag noch unklar. Zumindest meldete die IDF den Tod des Kommandanten der Hamas-Brigade von Chan Junis, Rafa Salama. Die IDF behauptete zwar, dass keines der Opfer Zivilist gewesen sei. Doch nach Angaben des von der Hamas kontrollierten Gesundheitsministeriums von Gaza waren etwa die Hälfte Frauen und Kinder. In der „humanitären“ Schutzzone al-Mawasi, eigentlich ein Dorf, leben Zehntausende Binnenflüchtlinge, obwohl die „humanitäre“ Lage dort katastrophal ist.
„Sehr ernste Lage“
Der EU-Sonderbeauftragte Koopmans sprach von einer „sehr ernsten Lage“. Fast 39.000 Menschen sind im Krieg um Gaza ums Leben gekommen, die meisten davon Zivilisten. Umso mehr seien nun starke Akteure bei der Lösung des Konflikts gefragt. Er lobte dabei die „aktive“ und „kreative“ Rolle von Xavier Bettel, um gemeinsame Positionen innerhalb der EU zu finden, zum Beispiel um weitere israelische Siedlungen auf palästinensischem Boden im Westjordanland zu verurteilen, wo die Lage auch „sehr ernst und instabil“ sei. „Die Besetzung“, so Koopmans, der von „Kolonisierung“ sprach, sei nicht zu akzeptieren. Luxemburgs Außenminister Bettel hatte jüngst einmal mehr Kontakt mit seinem israelischen Amtskollegen. Wenn Israel einen wichtigen Akteur der Terrororganisation Hamas töten wollte, würde er es verstehen, sagte Bettel. Aber es sei schwer zu erklären, warum dafür so viele Menschen sterben wie jetzt wieder.
Zu den Prioritäten der EU im Gazastreifen gehört nach Koopmans’ Worten neben einem Waffenstillstand sowie der Freilassung der israelischen Geiseln, dass eine Ausweitung des Konflikts auf die Region verhindert wird. Aber auch die Verhandlungen für einen endgültigen Frieden im Nahen Osten müssten jetzt beginnen. „Wenn wir es heute nicht tun, ist es schwer vorstellbar, dass wir es ein anderes Mal tun“, sagte der niederländische Diplomat und frühere Politiker der konservativ-liberalen VVD.
Der Handlungsspielraum der EU sei „ziemlich begrenzt“, gab Außenminister Xavier Bettel (DP) zu bedenken. Schließlich liege alles in den Händen der Politiker im Nahen Osten. Gemeint sind damit die israelische Regierung sowie die Palästinensische Befreiungsbewegung (PLO), erklärte Koopmans. Für die EU gebe es jedoch zwei „rote Tücher“: Diese sind zum einen die Hamas und zum anderen die Besetzung palästinensischer Gebiete durch Israelis.
Jordanien in der Zerreißprobe
Heute empfängt Bettel den jordanischen Außenminister Ayman Safadi, um über mögliche Lösungswege zu sprechen. Jordanien nimmt im Nahostkonflik seit jeher eine wichtige Rolle ein. Die Mehrheit der gut zehn Millionen Einwohner des Landes sind Palästinenser beziehungsweise stammen von palästinensischen Flüchtlingen ab. Das hat Jordanien in eine Zwickmühle gebracht. Als etwa die israelischen Angriffe auf Gaza begannen, kam es zu Demonstrationen vor Israels Botschaft. Unterdessen beteiligte sich Jordanien an der israelischen Abwehr von Drohnen und Raketen aus dem Iran. Zugleich warfen jordanische Soldaten Hilfsgüter über dem Gazastreifen ab.
Einerseits solidarisiert sich eine breite Mehrheit mit den Palästinensern und wirft den Israelis Kriegsverbrechen vor – so auch das jordanische Königshaus. Dieses befürwortete etwa Südafrikas Völkermord-Klage gegen Israel. Auf der anderen Seite hat Jordanien vor 30 Jahren als eines der wenigen arabischen Länder Frieden mit Israel geschlossen. Zudem ist es eng mit dem Westen verbündet. Das ressourcenarme Land, das auf die westliche Hilfe angewiesen ist, dient seit Jahrzehnten als Pufferzone und als Stabilitätsanker – und als Ziel vieler Flüchtlinge aus der Region. Die Devise von König Abdullah II. lautet: Jordanien darf kein Schlachtfeld werden. Zu Beginn der Angriffe auf Gaza verhängte er eine Staatstrauer und sagte ein geplantes Gipfeltreffen mit US-Präsident Joe Biden ab. Jordanien bewegt sich im Schatten des Krieges.
Am kommenden Montag werden die 27 EU-Außenminister in Brüssel über die Lage im Nahen Osten beraten. Es sei nicht einfach, dabei eine einheitliche Position zu finden, weiß Bettel. Unter anderem habe die EU der Agentur der Vereinten Nationen für Palästina-Flüchtlinge im Nahen Osten (UNRWA) mehr Ressourcen zugesichert. Gleichzeitig müsse jedoch die Neutralität der Agentur gestärkt werden. „Die Leute in Gaza haben nichts zu essen, die Kinder haben keine Schule, keine Gesundheitsversorgung …“, betont Bettel eindringlich. „Wenn die UNRWA weg ist, haben die Leute gar nichts mehr.“
Bettel plant darüber hinaus einen weiteren Besuch im Nahen Osten. Wichtig seien nicht zuletzt arabische Partner. Er habe auch versucht, sie an den Verhandlungstisch zu bringen. Eine friedliche Lösung sei im Interesse von allen. „Dem einen sein Frieden“, so Bettel, „ist die Garantie von Sicherheit für den anderen.“ Anfang Juni hatte US-Präsident Joe Biden einen Plan für eine dauerhafte Waffenruhe in Gaza präsentiert, der von Katar und Ägypten unterstützt wurde. Die Hamas zeigte sich aufgeschlossen. Doch während Tausende Israelis für eine Annahme des Plans demonstrierten, drohten zwei rechtsextreme Minister der israelischen Regierung mit einem Koalitionsbruch. Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell warb für eine Annahme des Plans. Nun, nach den jüngsten verheerenden Luftangriffen der IDF, scheint die Uhr wieder zurückgedreht worden zu sein. Oder doch nicht?
- Teufelspakt: EVP einig mit Rechtsextremen - 19. November 2024.
- Der schlafende Riese – Zwischen Aufbruch und neuen Abhängigkeiten - 18. November 2024.
- Unter Strom: Höchstspannungsleitung an deutsch-luxemburgischer Grenze nimmt Konturen an - 12. November 2024.
Sie müssen angemeldet sein um kommentieren zu können.
Melden sie sich an
Registrieren Sie sich kostenlos