/ Bettel trifft Merkel: Des Premiers Pirouetten in Berlin
Ur-Europäer versus Souveränitätsverfechter: Premier Bettel muss in Steuerfragen häufig Pirouetten drehen. Seine finanzpolitischen Tanzeinlagen haben Bundeskanzlerin Merkel am Mittwoch nur mäßig begeistert.
Von Tageblatt-Chefredakteur Dhiraj Sabharwal, zz. in Berlin
Jean-Claude Juncker blockiert jahrelang die EU-Steuerpolitik. Als Premierminister. Seinen Nachfolger Xavier Bettel verwandelt er in einen Märtyrer. Als EU-Kommissionspräsident. Unfreiwillig, auf Druck aus Berlin. Juncker wird nicht müde, Luxemburg an Junckersche Versäumnisse der EU-Finanzpolitik zu erinnern – ohne dabei den eigenen Namen in den Mund zu nehmen. Seit seinem unfreiwilligen Abgang nach Brüssel hat auch er so manche Pirouette gedreht: um im Amt zu bleiben, um seine Vergangenheit als Premier- und Finanzminister abzuschütteln. Und um es sich nicht mit Angela Merkel zu verscherzen.
Bettel geht es als amtierendem Regierungschef ähnlich. Mal muss er Tränen für die europäische Solidarität vergießen, mal ungerührt Luxemburgs Steuersouveränität verteidigen. Das „Lëtzebuerger“ Modell ist ein Konstrukt der Widersprüche. Jüngstes Beispiel dieses Balance-Akts: Junckers Vorschlag, das Einstimmigkeitsprinzip in Steuerfragen EU-weit abzuschaffen.
Sich mit Brüssel und Berlin anlegen
Die europäische Steuerpolitik wird regelmäßig blockiert. Der Grund: Jeder Mitgliedstaat kann sein Veto gegen prinzipielle Vorschläge einlegen. Als Premier hätte sich Juncker vermutlich mit Händen und Füßen gegen die Abschaffung des Vetorechts gewehrt. Als Kommissionspräsident schaut er seinem Nachfolger dabei zu, wie er die Pläne torpediert: Luxemburg und weitere Staaten lehnen Junckers Vorschlag ab. Deutschland, Frankreich und Spanien stehen hingegen hinter ihm. Die Situation könnte für Bettel kaum delikater sein: Die nationale Souveränität zu verteidigen, bleibt entgegen allen Sonntagsreden Luxemburgs Hauptziel. Sich zeitgleich mit Brüssel und Berlin anlegen, gleicht wiederum politischem Selbstmord. Es ist kein Zufall, dass Bettel am Mittwoch nach Berlin reist.
Offiziell geht es bei seiner Arbeitsvisite im Kanzleramt um den Brexit und weitere Themen, die PR-Leute pro forma auf die Tagesordnungen setzen. Bei der gemeinsamen Pressekonferenz mit Merkel kommt es ohne große Überraschung zu dem öffentlichen Schulterschluss: In Sachen Brexit wird ein geregelter, redlicher Austritt Großbritanniens gefordert. Merkel hat in rund zwei Minuten alles gesagt, Bettel kommt auf drei. Die Hausherrin wirkt müde, hört aber zu. Hier ein Kopfnicken, da ein Griff zu den Akten. Ihr Blick wandert zu ihrem Pressesprecher Steffen Seibert. Fragen sind jetzt zugelassen. Was sie denn von Luxemburgs Position halte, die nationale Souveränität zu schützen und EU-weite Entscheidungsprozesse in Steuerfragen zu erschweren?
Merkel bleibt ruhig. Sie antwortet gegenüber dem Tageblatt: „Naja, wir haben das Prinzip, dass wir grundsätzlich in der EU politische Entscheidungen einstimmig treffen. Ansonsten haben sich in vielen Bereichen die Mehrheitsentscheide bewährt.“ Die Botschaft ist deutlich: Für Berlin gehört das Einstimmigkeitsprinzip der Vergangenheit an. Wer auf die Globalisierung die richtigen Antworten finden wolle, müsse das Risiko in Kauf nehmen, gelegentlich auch von anderen Ländern überstimmt zu werden. „Das ist bitter. Diese Erfahrung haben auch wir schon machen müssen. Das stärkt aber dann auch die Kompromissfähigkeit“, so Merkel. Gemäß ihrer Logik stärkt Luxemburg nicht die Kompromissfähigkeit in Steuerfragen. Ohne direkt anzugreifen, kritisiert sie: „Man kann nicht einfach in allgemeinen Fragen blockieren“. Dies gelte sowohl für die Finanz- als auch für die Außenpolitik.
Eine Frage der Souveränität
Bettel wird später vor der Tür herumwitzeln: „Wenn das Tageblatt nicht gefragt hätte, würde hier niemand über Steuern reden.“ In Merkels Anwesenheit klingt das wenige Minuten vorher während der Pressekonferenz noch ein wenig angespannter. „Sie kennen unsere Haltung. Wir haben diese Öffnung in der Außenpolitik gemacht. (…) Bei Steuerfragen sind wir aber der Meinung, dass sehr viel erreicht wurde die letzten Jahre. Wir haben bewiesen, dass viele Texte auf europäischer Ebene trotz des Einstimmigkeitsprinzips erfolgreich sind. Es ist der Beweis, dass es auch so weitergeht.“
Außerhalb des Kanzleramts vollführt Bettel im Gespräch dennoch die wildesten Drehungen. Luxemburg blockiere doch nicht die EU-Besteuerungspolitik. Mehrheitsentscheidungen würden in Luxemburgs EU-Außenpolitik angestrebt. Dass die Regierung aber das Gleiche in Steuerfragen verhindern wolle, habe einen einzigen Grund: „Das ist eine Frage der Souveränität.“ Das Großherzogtum habe teilweise gar eine soziale Besteuerungspolitik, wenn man zum Beispiel die Mehrwertsteuer in verschiedenen Bereichen betrachte. „Ich habe keine Lust, morgen den Luxemburgern erklären zu müssen, dass ich die TVA 10 oder 15 Prozent erhöhe, weil andere Staaten wollen, dass die Steuerharmonisierung überall die gleiche sein muss.“
Fragt man Bettel, ob es der Regierung vor allem um die Besteuerung von digitalen Riesen wie Amazon gehe und nicht um die Luxemburger Bürger, entfaltet sich das Polit-Ballett erneut. „Wir suchen internationale und nicht nur europäische Lösungen. Allein weil morgen der Brexit vor der Tür steht. Und wenn er kommt, will ich keine Gesetzestexte mitausarbeiten, wegen denen 27 Länder bestraft werden. Dann können wir auch direkt sagen: ‚Geht nach London, die sind nicht weit weg, die müssen sich nicht mehr an diese Regeln halten.’“ Was er denn von der absolut verwässerten Finanztransaktionssteuer halte, die der deutsche Finanzminister Olaf Scholz vorschlägt? „Ich will kein deutsches Modell, kein französisches Modell, kein spanisches Modell, kein österreichisches Modell, sondern ein internationales Modell. Ich will auch kein europäisches Modell. Ich hätte gerne ein internationales Modell, weil die USA auch noch da sind.“ Bettel macht eine kurze Pause und denkt nach. Er hat sich selbst ertappt: „Ich denke jetzt nicht national, ich denke wirklich auch an die europäische Wirtschaft.“
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Was ist falsch daran, dass Bettel unsere Souveränität verteitigt? Sieht das TB das anders?