EU-Parlament / Bevor die neue EU-Kommission ihre Arbeit aufnimmt, werden ihre Mitglieder gründlich kontrolliert
Vergangene Woche hat EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen ihre neue Kommission vorgestellt. Diese braucht nun noch die Zustimmung des Europäischen Parlaments (EP). Zuvor werden die 26 künftigen Mitglieder der Kommission jedoch noch verschiedenen Überprüfungen unterworfen.
Die EU-Kommission ist quasi die Regierung der Europäischen Union. Sie wacht darüber, dass die Mitgliedstaaten die EU-Verträge einhalten und hat als einzige das Initiativrecht für Gesetzesvorschläge; anders als in den Nationalstaaten hat das Europäische Parlament kein Initiativrecht. Demgemäß spielen die EU-Kommissare in der EU eine überragende Rolle. Da die Kommissionsmitglieder lediglich von den Regierungen ernannt werden und nicht per Wahl oder ein sonstiges Auswahlverfahren an ihr Amt kommen, wurde über die Jahre hinweg ein Prüfverfahren eingeführt, dem sich die angehenden Kommissare im EU-Parlament stellen müssen. Im Mittelpunkt stehen dabei die Anhörungen der Kommissarskandidaten vor den Fachausschüssen im EP.
Wann diese Anhörungen stattfinden werden, steht bislang noch nicht fest, sagte uns der Leiter des Verbindungsbüros des EP in Luxemburg, Christophe Schroeder. Die Konferenz der Ausschuss-Vorsitzenden im EP würde erst am 1. Oktober einen entsprechenden Zeitplan vorschlagen. Demnach haben die angehenden Kommissare, unter ihnen auch der luxemburgische EVP-Politiker Christophe Hansen, dem die Ressorts Landwirtschaft und Ernährung zugewiesen wurden, noch Zeit, sich auf ihre Anhörung vorzubereiten.
Es wird das sechste Mal sein, dass die EP-Abgeordneten solche Anhörungen durchführen. Zuvor erhielt lediglich der Kommissionspräsident die Zustimmung der EP-Abgeordneten. Und das auch erst seit 1985, als am 15. Januar das EU-Parlament erstmals eine Vertrauensabstimmung für die erste Kommission von Jacques Delors abhielt. 1981 verabschiedete das EP lediglich eine Resolution, in der sie der Ernennung des Luxemburgers Gaston Thorn zum Kommissionspräsidenten ihre Zustimmung gaben. Erst mit dem Maastrichter Vertrag (1993) erhielt das EU-Parlament mehr Gewicht, indem es der neuen Kommission als Ganzes ihre Zustimmung geben musste, damit diese ihre Arbeit aufnehmen konnte. Das EP überarbeitete daraufhin seine Geschäftsordnung und führte die Anhörungen für die einzelnen Kommissare ein. Die Kommissare des luxemburgischen Kommissionspräsidenten Jacques Santer mussten sich als Erste 1995 dem neuen Verfahren stellen. Mit dem Vertrag von Amsterdam (1999) wurde zudem die separate Abstimmung über den Kommissionspräsidenten eingeführt.
Bevor die neuen Kommissare zu den Anhörungen eingeladen werden, prüft der Rechtsausschuss des EP allerdings noch, ob eventuelle Interessenskonflikte hinsichtlich des Portfolios vorliegen, die den Kommissaren zugeteilt wurden. „Das ist eine Vorbedingung für das Abhalten der Anhörungen“, erklärte der Vorsitzende des Rechtsausschusses, Ilhan Kyuchyuk, vergangene Woche in Straßburg. Diese Überprüfung basiert sich auf den schriftlichen Erklärungen, die die Kandidaten im Vorfeld der EU-Kommission vorgelegt haben, wobei finanzielle und nicht-finanzielle Aspekte berücksichtigt würden, so der bulgarische Liberalen-Politiker weiter. Würden Interessenkonflikte in Bezug auf das jeweilige Ressort des Kommissars identifiziert, werde nach einer Lösung gesucht, etwa indem der Kandidat eingeladen werde, um sich zu erklären. Der Rechtsausschuss kann aber auch „die Entscheidungen aussprechen, dass der Kandidat nicht imstande ist, die Funktion auszuüben“, so der Vorsitzende.
Finanzielle Interessen offenlegen
Die Überprüfung der Interessenskonflikte sei ein vertraulicher Prozess, der unter Ausschluss der Öffentlichkeit erfolge, erklärt Kyuchyuk weiter. Das Ergebnis des Bewertungsprozesses hingegen wird ebenso offengelegt wie die Interessenserklärung aller Kandidaten. Diese findet man auf der Internetseite der EU-Kommission. Sie enthalten nicht nur Angaben über die Kommissionsmitglieder, wie etwa die beruflichen Aktivitäten der vergangenen Jahre, ob sie Aktien, Beteiligungen halten, oder Angaben über sonstige finanzielle Interessen, die zu einem Interessenskonflikt führen könnten. Auch die finanziellen Interessen des Ehe- oder Lebenspartners sowie die der Kinder, sofern sie minderjährig sind, müssen offengelegt werden.
Bei diesen Überprüfungen wurden 2019 erstmals gleich zwei Kandidaten abgewiesen: Zum einen die Rumänin Rovana Plumb, die als Kommissarin für Transport vorgesehen war. Zum anderen der Ungar Laszlo Trocsanyi, der das Ressort Nachbarschaft und Erweiterung übernehmen sollte. Nachdem in beiden Fällen auch durch ein persönliches Erscheinen vor dem Rechtsausschuss die finanziellen Interessen der beiden nicht hinreichend geklärt werden konnten, wurden sie nicht zu den Anhörungen zugelassen und mussten durch neue Kandidaten ersetzt werden.
Die Anhörung der angehenden Kommissare dauern drei bis vier Stunden und finden in den jeweiligen Fachausschüssen des EP statt. Sollte es bei der Zusammensetzung des Portfolios eines Kommissars zu Ressort-übergreifenden Überschneidungen kommen, können auch Vertreter aus mehreren Ausschüssen an der Anhörungen teilnehmen. Die Anhörungen sind öffentlich und werden im Netz übertragen. Vor den Anhörungen müssen die Kandidaten noch schriftlich auf eine Reihe von Fragen antworten, die den EP-Abgeordneten als Grundlage für ihre Fragen dient. Dabei geht es um ihre allgemeinen Kompetenzen, ihr europäisches Engagement und ihre persönliche Unabhängigkeit. Zudem werden Fragen dazu gestellt, wie die Kommissare ihre Arbeit angehen wollen, wie sie mit dem Parlament zusammenarbeiten wollen und welches ihre legislativen und politischen Prioritäten sind. Auch diese Antworten werden veröffentlicht.
Mangelnde Fachkenntnis
Die angehenden Kommissare haben ein Interesse daran, sich gründlich auf die Anhörungen vorzubereiten. Denn in der Vergangenheit kam es schon mal vor, dass Kandidaten wegen mangelnder Fachkenntnis, wenn nicht ganz ausschieden, so doch ein anderes Portfolio zugeteilt werden musste. So konnte 2014 die Slowenin Alenka Bratusek, die als Vizepräsidentin für die Energie-Union zuständig werden sollte, fachlich nicht überzeugen. Zudem wurde ihre Ernennung durch die slowenische Regierung beanstandet – sie war selbst Regierungschefin. 2004 musste die italienische Regierung ihren Kandidaten Rocco Buttiglione zurückziehen, da dieser sich abschätzig über Frauen und Homosexuelle geäußert hatte. 2009 wiederum wurden die Kompetenzen der Bulgarin Rumiana Jeleva bemängelt, woraufhin sie durch Kristalina Georgieva ersetzt wurde.
Erst wenn alle künftigen Mitglieder der EU-Kommission die Anhörungen erfolgreich durchlaufen haben, kann das EP dem Kollegium seine Zustimmung erteilen. Für die Kommissare mag dies wie ein Spießrutenlaufen anmuten, doch wird ihre Position durch diesen Prozess gestärkt. Immerhin ist das Verfahren strenger als in den meisten Nationalstaaten. Denn Regierungsmitglieder, auch in Luxemburg, brauchen sich keinen Wahlen zu stellen und können ohne den Nachweis jedweder Qualifikationen in Amt und Würden kommen.
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