Editorial / Bewegungsförderung: Aktionspläne, Konzepte und ihre begrenzte Wirkung
In der Nacht von Freitag auf Samstag ist Robert Marchand gestorben. Der Franzose wurde 109 Jahre alt, hat zwei Weltkriege und zwei Pandemien miterlebt. Bekannt wurde er durch seine Weltrekorde im hohen Alter. Den letzten stellte der Radsportler erst vor vier Jahren auf, als er im Velodrom von Saint-Quentin-en-Yvelines in 60 Minuten 22,547 Kilometer zurücklegte. Der Internationale Radsportverband musste seinetwegen eine neue Alterskategorie 105+ einführen. Marchands Erfolgsrezept? „Viel Obst und Gemüse, wenig Kaffee, keine Zigaretten und sehr wenig Alkohol.“ Für seine Ärztin war er der Beweis, wie wichtig Bewegung auch noch im Rentenalter ist. Marchand war sein ganzes Leben lang körperlich aktiv, er lebte das LTAD-Konzept lange, bevor es den Begriff „Long-Term Athlete Development“ überhaupt gab. Das LTAD-Konzept ist dabei, seinen Platz in Luxemburg zu finden. Es geht nicht darum, aus jedem Bürger einen Sportler zu machen, sondern eine aktivere und somit gesündere Gesellschaft zu fördern – körperliche Betätigung als Präventivmedizin. Das LTAD-Konzept steckt in Luxemburg zwar noch in den Kinderschuhen, aber es hat definitiv Potenzial. In Kanada hat man über die vergangenen Jahre jedenfalls positive Erfahrungen damit gemacht.
Es gibt allerdings zwei Probleme bei solchen Plänen. Zum einen werden konkrete Ergebnisse erst nach Jahren sichtbar, was ein Anpassen des Konzeptes erschwert. Zum anderen haben solche Konzepte für sich nur eine begrenzte Wirkung. Das zeigt das Beispiel einer anderen tollen Abkürzung: GIMB. Der nationale Aktionsplan „Gesond iessen, méi bewegen“ wurde 2006 eingeführt. Laut der HBSC-Studie („Health Behaviour in School-aged Children“) essen Schüler in Luxemburg seitdem zwar mehr Obst und trinken weniger süße Getränke, dafür ist die Zahl der übergewichtigen Kinder und Jugendlichen im gleichen Zeitraum, also von 2006 bis 2018, von 14 auf 19 Prozent gestiegen. Die Zahl der Schüler, die sich mindestens viermal pro Woche körperlich betätigten, ist von 39,6 auf 35,2 Prozent gesunken.
Solche Aktionspläne reichen offensichtlich nicht mehr aus, um gegen den antrainierten Bewegungsmangel vorzugehen, denn eigentlich steckt der Bewegungsdrang in jedem Menschen drin, wie man unschwer schon bei Babys feststellen kann. Da gibt es mit dem „Handbuch zur Bewegungsförderung bei Kindern von 0 bis 12 Jahren“, das es auf der Homepage des Sportministeriums wie in der LTAD-App herunterzuladen gibt, eine weitere sehr hilfreiche Initiative. Das Handbuch ist sowohl an Lehrer wie Erzieher und Eltern gerichtet, allerdings ist es in der breiten Öffentlichkeit recht unbekannt und demnach ebenfalls von begrenzter Effizienz. Die Bemühungen der Regierung in allen Ehren, aber die Fakten aus der HBSC-Studie lassen sich nicht leugnen. Umso unverständlicher, dass die Regierung sich immer noch weigert, an der effizientesten Stellschraube zu drehen: dem Schulsport. Dort würde man jeden erreichen, um gegen den antrainierten Bewegungsmangel vorzugehen. Robert Marchand hat gezeigt, dass es sich lohnt, ein Leben lang aktiv zu sein.
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Entweder man hat Spass am Sport, Freude an der Bewegung oder nicht. Schwer zu vermitteln ist dies allemal und aus Büchern lernt man’s wohl kaum. Durch seinen Sport allein wäre Robert Marchand keine 109 Jahre alt geworden, dazu bedurfte es viel Disziplin, einer gesunden Lebensführung, entsprechender Genen und viel Glück. Er hätte beispielsweise beim Ausüben seines Lieblingssportes zu Tode stürzen oder von einem Auto überfahren werden können. Wer körperlich aktiv ist, lebt gesund und hat mehr vom Leben.