/ Beworben wie ein Bio-Joghurt: Bei den Oscars herrschen Konsensfilme und ästhetische Feigheit vor
Mit „Green Book“ geht der Oscar für den besten Streifen dieses Jahr an einen Konsensfilm, der, wie einer der Produzenten es während der Verleihung sagte, mit „Liebe, Zärtlichkeit und Respekt“ gemacht wurde. Eine solche Aussage klingt mehr nach einer Werbung für handwerklich hergestellte Möbel oder Biojoghurt, als dass sie für eine Beschreibung eines wirklich guten Films herhalten kann. Es ist eine Aussage, die in ein Zeitalter der Herrschaft der politischen Korrektheit wie die sprichwörtliche Faust aufs Auge passt (ein Ausdruck, den man eventuell auch streichen könnte – er ist politisch äußerst unkorrekt).
Stellten die Oscar-Preisverleihungen in den letzten Jahren oftmals eine gute Gelegenheit dar, um im Rahmen einer gutbürgerlichen – sprich harmlosen – Zeremonie amerikanische Selbstkritik zu üben (eine der wenigen Schnittstellen zwischen den ultraliberalen Amerikanern und dem kommunistischen Regime) und die eigene Landesgeschichte (die Sklaverei) und soziale Bewegungen (#MeToo) unter die Lupe zu nehmen – mit dem schon fast expliziten Ziel, das schlechte Gewissen des Westens zu beruhigen –, sind wir nun beim absoluten Konsens angekommen: Fast jeder der auserwählten Filme bekommt einen (Trost-)Preis, und Hauptgewinner „Green Book“ gilt als Feel-good-Film, der Rassismus aus der Perspektive eines Weißen darstellt und den politischen Hintergrund weitestgehend ausblendet.
Der Academy scheint der Mut zu fehlen, ein filmisch innovatives und/oder ein politisch brisanteres Werk auszuzeichnen – und so zum Beispiel „The Favourite“ oder Spike Lees filmisch durchschnittlichen, aber politisch eindeutigeren „BlacKkKlansman“ zu prämieren. Dabei wirkt die Wahl, möglichst vielen Filmen Auszeichnungen zu geben (sprich die Preise zu verteilen, anstatt einem Werk den Vorrang zu geben), ebenso verträglich wie Hauptgewinner selbst.
Denn bei einem filmischen Meisterwerk stimmt meist (fast) alles, so dass sich mehrere Auszeichnungen oftmals wie von selbst legitimieren. Das wäre zum Beispiel der Fall von „The Favourite“ gewesen, der unverständlicherweise nur durch Olivia Colemans Oscar für die beste Hauptdarstellerin prämiert wird. Yorgos Lanthimos setzt mit seinem Film den braven Konsensstreifen ein mutiges Werk entgegen, das mit formaler Frechheit und humorvollen Dialogen Machtstrukturen am britischen Hof darstellt – als hätte man um Machiavellis Prinzen eine erzählerisch spannende, feministische Fabel gestrickt. Lanthimos’ Fiktionswelt, in der weitestgehend auf Männer verzichtet wird – diese sind bloß Treppenabsätze auf dem Weg zur Macht –, wäre zudem ein politisch starkes Zeichen in der nicht abnehmenden #MeToo-Debatte, in der letzte Woche noch Musiker Ryan Adams wegen Übergriffen von der Rampensau zum lüsternen Schwein degradiert wurde.
Ein Artikel der Washington Post verweist darauf, dass die Oscars nach Jahren der Debatte um Gender- und Rassenquoten nun inklusive sind, mit Gewinnern, die „aus einer breit gefächerten Bandbreite von Ländern und ethnischen Herkünften“ stammen.
Dass keine Regisseurin nominiert war, dass Cuaróns „Roma“ dann doch bloß gut genug war, um als bester ausländischer Film (und nicht als bester Film tout court) zu fungieren, dass man merkt, wie Netflix-Produktionen so langsam ihren Weg in die Zeremonien finden und die Empörung darüber am Abflauen ist – all dies weist darauf hin, dass die Oscars trotz allen vermeintlichen Engagements die Hollywoodproduktion unter den Filmpreisen bleiben: Am Ende ist nichts gelöst – und trotzdem strahlen uns die Hauptfiguren in einem dämlichen Happy End entgegen.
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