Umweltschutz / Biodiversität: Naturgärten sind eine Alternative zum „englischen“ Rasen
Dass angesichts der Fakten zur Biodiversität und dem Artenschwund bei Pflanzen und Tieren ein Steingarten genauso „out“ ist wie der „englische“ Rasen, ist heute schon fast eine Binsenweisheit. Trotzdem steht jeder, der seinen Garten naturnaher gestalten will, vor vielen Fragen. In der Kalborner Mühle, die zur „Fondation Hëllef fir d’Natur“ von „natur & ëmwelt“ gehört, gibt es Workshops und Tipps, die Antworten liefern.
Im Tal der Our ist es ruhig und die Natur im Frühlingsmodus. In der Nähe des Ufers blühen die ersten Weiden. Ein paar Wildbienen schwirren um die Knospen und der Garten rund um die ehemalige Mühle veranschaulicht, was „naturnah“ heißt: Eine Bepflanzung, die das ganze Jahr über Pollen und Nektar für Insekten bietet, Steinhaufen und Reisighecken als Versteck für Insekten, Amphibien und Jungvögel und Insektenhotels sowie Nistkästen, als Gelegenheit zur Brut und deren Pflege.
Luxemburgs Lebensräume für Tier- und Pflanzenarten sind in keinem guten Zustand. Das „Observatoire de l’environnement naturel“ bescheinigt dem Land für die untersuchte Periode 2013-2018 eine „alarmierende Situation“. Der druckfrische zweite Bericht, der am Dienstag vorgestellt wurde, bestätigt die Ergebnisse der quasi staatlichen Einrichtung. Deren Aufgabe ist es, den Zustand von Habitaten und Arten anhand wissenschaftlich erhobener Daten festzuhalten.
Zwei Drittel der natürlichen Lebensräume sind in einem „unzureichenden“ bzw. „schlechten“ Erhaltungszustand. Früher weit verbreitete Feldvögel wie Steinkauz und Rebhuhn sind stark gefährdet oder wie das Braunkehlchen gleich ganz verschwunden, sagen die Berichte. Die Biodiversität der Agrarlandschaft ist in einem sehr schlechten Zustand und Feuchtgebiete geben – wie die Wasserqualität – Grund zur Sorge. Viele Schmetterlinge und Amphibien wie die Geburtshelferkröte oder die Bachmuschel gehen zurück. Sie sind auf sauberes Wasser angewiesen.
Tierarten verschwinden
Ein Drittel der heimischen Vogelarten nimmt an Zahlen kontinuierlich ab oder sind wie beim Raubwürger ausgestorben. Die Folgen für die Ökosysteme sind angesichts des dramatischen Verlustes an Insektenarten noch gar nicht absehbar, schreiben die Verfasser des aktuellen „Observatoire“-Berichts. Eine Einsicht aber ist klar: Der Mensch greift zu stark in die Natur ein. Überall. „In vielen Privatgärten hat Artenreichtum wenig bis keinen Platz“, sagt Tanja Eybe (46), Biologin bei der Umwelt- und Naturschutzorganisation „Fondation Hëllef fir d’Natur“.
Schlimme Folgen hat es, wenn eine Tierart auf genau eine Pflanze zur Ernährung angewiesen ist. Der Feuerfalter braucht den Schlangenknöterich zur Aufzucht seiner Nachkommen. Findet er den nicht, verschwindet er. Gleiches gilt für die Efeuseidenbiene. Sie schlüpft, wenn der Efeu blüht, und sammelt dort Pollen für ihre Brut. Ist keiner da, gibt es keine Nachkommen. Der neue 40-seitige „Observatoire“-Bericht beruft sich gleich zu Beginn auf die „Krefeld Studie“ von 2017. Sie diagnostiziert zu dem Zeitpunkt ein Verschwinden von 75 Prozent der Biomasse von Fluginsekten in den 30 Jahren davor.
Insekten haben aber wichtige Funktionen in der Nahrungskette des Menschen, was Biologen besonders gut erklären können. Ohne Insekten, die unsere Nutzpflanzen bestäuben, gibt es kein Obst und Gemüse. Bestimmte Vögel, Amphibien und Reptilien zerlegen Aas und verringern die Wahrscheinlichkeit von Seuchen. Und Insekten sind an der Entstehung von fruchtbarem Humus beteiligt, der als Nährboden unsere Nahrung sichert. Diese Funktionen sind nicht zu unterschätzen.
Naturgärten schaffen Lebensräume
„Viele Besitzer wollen ihren Garten anders gestalten, wissen aber oft nicht, wie sie es machen sollen“, sagt Biologin Eybe. „Dabei ist es so wichtig, Lebensraum für die Tiere zu schaffen.“ Die Workshops „Naturgärten“ wollen genau diese Lücke füllen und informieren. Sie stecken noch in der Anlaufphase und wurden mitten in der Pandemie, im September 2020, ins Leben gerufen. Während die Naturschützer jeden einzelnen Gartenbesitzer, von denen es inzwischen viele gibt, die sich dafür interessieren, ansprechen wollen, appelliert das „Observatoire“ an die Politik.
Als Hauptursache für den schlechten Zustand der Natur gilt das aktuelle Wirtschaftssystem, mit seiner einseitigen Maxime der hohen Wachstumsraten. Das zeigt sich auch am Ernährungssystem, an der Landwirtschaft. Eine Agrarpolitik, die die Größe der bewirtschafteten Fläche finanziell unterstützt, kann nicht im Sinne der Natur sein. Ein Mehr an Ernte auf einem Mehr an Fläche bedeutet ein Mehr an Dünger. Schon im vorletzten Bericht forderte das „Observatoire“ stattdessen eine Förderung für diejenigen, die Gemeinwohlleistungen an Wasser, Boden, Biodiversität und Tierwohl erbringen.
Auf 19 der 40 Seiten dokumentiert die aktuelle „Observatoire“-Studie den Zustand der untersuchten Flächen und die Auswirkungen von deren Zustand auf die Tier- und Pflanzenwelt. Daraus folgen Empfehlungen. „Insbesondere im Agrarbereich müssen schnelle und einschneidende Maßnahmen ergriffen werden, um eine Trendumkehr bei der Biodiversität zu erreichen“, heißt es in dem Bericht. Die Analyse der erhobenen Daten hat eine Einsicht zutage gefördert: Die landwirtschaftliche Produktionsweise steht nach Meinung der Autoren „immer noch mit Abstand an erster Stelle, wenn es um die Verantwortung für diese rapide Verschlechterung geht“.
Dabei sehen die Verfasser die Bauern nicht „als Problem“. Vielmehr gehen sie davon aus, dass sie ein ureigenes Interesse daran haben, dass sich „die biologische Vielfalt wieder erholt“. Gleich nach der Landwirtschaft kommen die Zersiedelung und Verbauung der Landschaft als Ursachen für die Veränderung der natürlichen Systeme. Deswegen fordert der Bericht eine langfristige, nachhaltige Landesplanung für Luxemburg – ein Land, das ständig wächst. Dem Klimawandel hingegen bescheinigt der Bericht, dass er „heute noch verhältnismäßig wenige Auswirkungen“ zeigt. Die Betonung liegt auf „noch“.
Viele Monate im Jahr Pollen und Nektar
Sinnvoll ist es, den Garten mit heimischen Pflanzen so auszustatten, dass Insekten viele Monate lang Pollen und Nektar finden. Die genannten Beispiele erheben keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Eine der ersten Pflanzen, die im Jahr blüht, ist die Hasel; Saalweide und Kornelkirsche folgen im März, Barbarakraut und Efeu Gundermann im April, Löwenzahn und Knoblauchrauke im Mai, Holunder und Margerite im Juni, Knautie und Fingerhut im Juli, Flockenblume und Hornklee im August und Efeu im September. Der Nektar im Inneren der Taubnesseln, die im Gegensatz zu Brennesseln nicht brennen, schmeckt süß. Er bietet reichlich Nahrung für Insekten. Doldengewächse wie Wiesenkerbel oder Wiesenbärenklau sind Paradiese für sie. Die Halme sind hohl und eignen sich zur Bestückung von Insektenhotels.
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