Liser / Blaupause zur Armutsbekämpfung: Forscher stellen umfassendes Werk vor
Armutsbekämpfung soll eine Priorität der künftigen Regierung werden. Das Liser-Institut hat einen Sammelband mit dem Namen „Escape from Poverty“ veröffentlicht. Darin enthalten ist eine Anleitung, wie das gelingen kann.
Jedes vierte Kind ist in Luxemburg von Armut betroffen. Damit liegt Luxemburg trotz seines Reichtums gerade einmal im Mittelfeld der Europäischen Union. Ein Problem, das Formateur Luc Frieden in den ersten Tagen der Regierungsbildung zur Priorität erklärt hat. Pünktlich zum Auftakt der Koalitionsverhandlungen hat das Luxembourg Institute of Socio-Economic Research (Liser) einen Sammelband zum Thema Armutsbekämpfung veröffentlicht. „Unser Sammelband hat den Anspruch, das Thema Armut weltweit zu erfassen“, erklären Eric Marlier und Anne-Catherine Guio, zwei der vier Co-Autoren, bei der Vorstellung am Dienstagmorgen in den Räumlichkeiten der Universität Luxemburg. Dennoch sei das Thema auch für Luxemburg relevant, wo „31.000 Kinder, also jedes vierte, von Armut bedroht sind“.
„Eltern, die in Armut leben, erziehen ihre Kinder in Armut, die wiederum in Armut leben“, beschreiben die Forscher den Teufelskreis. Besonders in Gesellschaften, in denen große Ungleichheiten vorherrschen würden, sei festgestellt worden, dass es insgesamt wenig soziale Mobilität gibt. Heißt: Kinder, die in Armut geboren werden, haben geringe Chancen auf eine bessere Zukunft.
The Escape from Poverty
„The Escape from Poverty. Breaking the Vicious Cycles Perpetuating Disadvantage“ heißt das Buch der vier Autoren Olivier De Schutter, Hugh Frazer, Anne-Catherine Guio und Eric Marlier. In dem Band werden Hintergründe und mögliche Lösungsansätze zum Problem der Armut aufgezeichnet. Neben den beiden Liser-Forschern Marlier und Guio haben auch Hugh Frazer, ehemaliger Direktor der irischen Regierungsbehörde für Armutsbekämpfung, und Olivier de Schutter, UN-Sonderberichterstatter zu extremer Armut und Menschenrechten, an dem Band mitgearbeitet. Das Buch kann kostenlos heruntergeladen werden oder in Buchform beim Verlag Bristol University Press bestellt werden.
Armut, das bedeutet in Luxemburg, dass man weniger als 60 Prozent des Medianeinkommens verdient. Doch begrenzt sich Armut nicht nur auf finanzielle Aspekte. Bildung, Gesundheit, Zugang zu Strukturen für Kleinkinder, Ernährung, Wohnen, Umwelt und Sicherheit, Sport und Kultur und Diskriminierung seien alles Faktoren, die die Aufstiegschancen eines Kindes von klein auf beeinträchtigen können. „Wenn Migranten nach Luxemburg kommen, beeinflusst die Sprachbarriere möglicherweise die Aufnahme in Kleinkinderstrukturen“, sagt Guio. „Das kann dazu führen, dass das Kind weniger gut im Schulalltag klarkommt.“ Wenn dann noch eine prekäre Wohnsituation zu gesundheitlichen Problemen führe, seien das alles Faktoren, die einander beeinflussen und letzten Endes dazu führen könnten, dass die Aufstiegschancen stark beeinträchtigt werden.
Die Untersuchung von Regierungsprogrammen weltweit habe gezeigt, dass Investitionen in Kinder und Jugendliche nicht nur die soziale Kohäsion stärken würden, sondern auch wirtschaftlich sinnvoll seien. „Es bringt mehr ein, als es kostet“, lautet die Schlussfolgerung der Forscher. „Investitionen in Kinder sind keine Kosten, sondern wirtschaftliche Investitionen in ein inklusives Wachstum mit hoher Rendite.“
Irreführende Tendenzen
Neben fehlenden Investitionen aber gäbe es laut den Wissenschaftlern des Liser noch weitere Veränderungshindernisse. „Es gibt eine irreführende Tendenz, die Verantwortung für Armut auf dysfunktionale Familien zu schieben“, erläutern die Liser-Forscher. Auch die Ansicht, dass „Verdienst“ und „Anreiz“ wichtig seien, um Armut zu bekämpfen oder ihr zu entkommen, sei ein Fehlschluss. Doch gebe es auch ökonomische Hindernisse, die die Armutsbekämpfung erschweren: Die Ausbeutung von Ressourcen durch diejenigen, die bereits eine übermäßige Kontrolle über dieselben haben und das Unvermögen, die tatsächlichen Gesamtkosten der Armut für die Gesellschaft richtig zu beziffern. Die Finanzierung solcher Maßnahmen könne auf Basis einer progressiveren Besteuerung – sowohl von Individuen wie von Unternehmen – gelöst werden. „Es gibt in der Tat zahlreiche Belege dafür, dass ‚Steuerbefreiungen‘ oder, allgemeiner gesagt, der den Investoren gewährte Rechtsschutz nur geringe oder gar keine Auswirkungen auf die Fähigkeit des Landes haben, Investitionen anzuziehen“, schreiben die Forscher in ihrem Buch.
2021 hat die EU mit der Kindergarantie festgehalten, dass die Mitgliedsländer sich dafür einsetzen, Kindern einen kostenlosen Zugang zu Betreuungseinrichtungen, Bildung, gesundem Essen im Schulalltag und Gesundheitsstrukturen zu garantieren. Auch soll Kindern „ein effektiver und erschwinglicher Zugang zu gesunder Ernährung und angemessenem Wohnraum“ gewährt werden. Auch Luxemburg hat sich diesen Zielen verschrieben. Nur: „Es fehlt an einer Überwachung und Bewertung der in Luxemburg beschlossenen Maßnahmen mit qualitativ hochwertigen Daten“, sagt Marlier, „um den tatsächlichen kostenlosen bzw. erschwinglichen Zugang von Kindern zu diesen sechs Leistungen konkret bewerten zu können.“
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