Gesellschaft / „Bomi“ auf Zeit: Elis Dreher ist eine „Granny-Au-pair“
Seit neun Jahren ist Samir Tanios (59) alleinerziehend. Der Luxemburger lebt in Düdelingen und arbeitet Vollzeit. Im Alltag braucht er Hilfe. Nach mehreren Au-pairs kommt sie nun von Elisabeth Dreher (67). Die gebürtige Deutsche findet er über das Onlineportal „Granny Aupair“.
Die drei, die um den runden Wohnzimmertisch sitzen, strahlen die Vertrautheit eines eingespielten Teams aus: „Granny“ Elisabeth Dreher, genannt Elis, der man ihre 67 Jahre nicht ansieht, Vater und Tochter. Elis hat Melanie (9) gerade von der Schule abgeholt. Samir Tanios (59) macht Mittagspause zu Hause. Als Chef der Buchhaltung bei „CFL multimodal“ ist der Arbeitsplatz in Düdelingen nahe am Wohnort. Es gibt Bohneneintopf mit Gemüse und Wurst. „Ich koche gerne“, sagt Elis.
Lange war Tochter Melanie es gewöhnt, ein junges Au-pair-Mädchen und die Großmutter um sich zu haben, während der Papa auf der Arbeit war. Der gebürtige Ägypter, der seit 35 Jahren in Luxemburg lebt und die Staatsangehörigkeit hat, ist seit ihrer Geburt alleinerziehend. Melanies Mutter, eine Ägypterin, kann sich nicht in Luxemburg integrieren und verlässt das Land. Da ist das Mädchen noch sehr klein. Samirs Mutter, Melanies „Bomi“, füllt bis zu ihrem Tod vor zwei Jahren diese Lücke. Seitdem fehlt etwas im ehedem schon schwierigen Alltag der Kleinfamilie.
Mit einer „Granny“ ist es anders
Zwar waren die vier jungen Au-pairs, die Tanios bisher bei sich aufgenommen hat, eine große Hilfe. Aber mit Elis ist es etwas anderes. „Es ist familiärer, sie ist präsenter und gibt meiner Tochter viel Zuneigung“, sagt Tanios. „Melanie ist sehr anlehnungsbedürftig“, pflichtet Elis bei. Das fängt sie auf, wo sie kann. Trotz der kurzen Zeit gehört sie bereits zur Familie, gibt der Neunjährigen als lebenserfahrene Frau Sicherheit. Für die Familie hat ihr Alter Vorteile. Wenn Elis etwas unternimmt, dann zusammen mit der Gastfamilie. Der letzte Ausflug war ein Wochenende in den Vogesen. „Ein junges Au-pair hat andere Bedürfnisse, will viel eher nach Paris oder mit Gleichaltrigen ausgehen, vielleicht Party machen“, sagt Tanios. „Das ist bei einer Granny anders.“
Elis hört der Unterhaltung auf Französisch zu. Verstehen tut sie nicht viel. Noch nicht. Seit sie in Luxemburg ist, lernt sie in einem Kurs die Sprache. „Man muss die alte Birne ein bisschen anstrengen“, sagt sie mit typisch rheinländischem Humor. Sie spricht Englisch und Spanisch neben ihrer Muttersprache Deutsch. Für Samir Tanios war es eine bewusste Entscheidung, eine deutsche Muttersprachlerin zu engagieren. „Ich spreche zwar Luxemburgisch, bin aber nicht germanofon“, sagt er. „Um Melanie schulisch besser begleiten zu können, war mir die Sprache wichtig.“
Die Agentur vermittelt weltweit
In den zehn Jahren des Bestehens hat der in Hamburg ansässige Service „Granny Aupair“ nach eigenen Angaben viele Tausend Frauen in über 50 Länder der Welt vermittelt. Der Großteil der Grannies kommt aus Deutschland. Der Service richtet sich an Frauen ab 50 Jahren aufwärts, die gerne reisen, andere Kulturen kennenlernen und nicht ins Hotel wollen, sondern in eine Familie – auch wenn es mit Arbeit verbunden ist. Dafür kostet sie der Aufenthalt im Ausland nichts.
Nach Luxemburg hat der Service bislang rund ein Dutzend Frauen vermittelt, wie er auf Anfrage mitteilt. Elis springt sofort darauf an. „Das Land hat mich irgendwie gereizt“, sagt sie. „Da war ich noch nie.“ Seit die gebürtige Kölnerin vor 40 Jahren nach Spanien ausgewandert ist, hat sie viele Länder gesehen. Auf Lanzarote betreibt sie ein paar Jahre lang ein Restaurant, siedelt dann nach Mallorca um und baut einen Handel mit patentierten Postkarten auf. Als ihr Mann stirbt, verkauft sie. Mittlerweile bezieht sie eine kleine Rente aus Spanien.
Land und Leute auf andere Art entdecken
Bei Samir Tanios ist der Einsatz dringend. „Das letzte Au-pair-Mädchen war schon weg und ich hatte niemanden“, sagt er. Als der Notruf aus Luxemburg in Hamburg eingeht, überlegt Elis nicht lange, sagt spontan zu. Der erste Kontakt findet über Telefon statt. „Da war sofort Sympathie. Was soll ich da lange überlegen?“ Am 28. Dezember kommt sie in Düdelingen an, feiert gleich den Beginn des Jahres in Luxemburg.
Das würde nicht jeder machen, aber schon der erste Aufenthalt mit „Granny Aupair“ in den USA hat ihr gefallen. Dort betreut sie in Virginia 2019 ein Vierteljahr lang drei kleine Kinder. Ab „fünf Jahren abwärts“, wie sie erklärt: „Es war viel Arbeit, aber eine sehr schöne Zeit.“ In Luxemburg hat sie sich, so gut das in eineinhalb Monaten geht, eingelebt. „In einer Familie lernt man Land und Leute viel besser kennen als als Touristin“, sagt sie.
Nächste Wunschziele: Kanada oder Australien
So ähnliche Gedanken hat „Granny Aupair“-Gründerin Michaela Hansen, als sie eine Reportage über Au-pairs im Fernsehen sieht. Die damals 48-Jährige packt angesichts der Bilder Fernweh, das sie nie ausleben konnte. Eine frühe Heirat, danach Kinder, Beruf und Haushalt, für Reisen bleibt da nicht viel Platz. Die Public-Relations-Fachfrau gründet die Agentur. Mit einem Aufruf in den Medien, „Oma als Au-pair für Kanada gesucht“, geht es los. Das war vor zehn Jahren und hat Erfolg.
Mehr als 40 Prozent der Familien und Grannies sind „Wiederholungstäter“ und nutzen die Vermittlung immer wieder. Auch Elis und Samir Tanios bleiben treu. „Kanada oder Australien wären meine nächsten Wunschziele“, verrät die Granny, deren Einsatz im Mai zu Ende ist. Tanios sucht schon jetzt eine Nachfolgerin für sie – wieder über die Datenbank aus Hamburg, wieder eine Frau im „Bomi-Alter“. „Ich wollte, so etwas würde es in Luxemburg auch geben“, sagt er.
Die Vermittlung in Familien
Mit einer kostenlosen Registrierung kann die Liste der suchenden Grannies und Familien eingesehen werden. Um mit einer Familie in Kontakt zu kommen und umgekehrt, ist der nächste Schritt die Mitgliedschaft. Es gibt drei, sechs und 12-monatige Mitgliedschaften für beide Seiten. Kost und Logis sind für die Granny frei. Viele Familien beteiligen sich ganz oder teilweise an den Reisekosten. Alles andere, beispielsweise Arbeitszeiten und ein eventuelles Taschengeld, besprechen die Grannies individuell mit den Familien. Informationen gibt es auf www.granny-aupair.com.
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