Interview / Breaking Technology: Alan Sparhawk und Mimi Parker über die Neuerfindung von Low
Nach ihrer radikalen Neuerfindung auf „Double Negative“ geht Low mit dem neuen Album „Hey What“ noch einen Schritt weiter. Das Album ist eine krachige, lärmende Odyssee, die von der Schönheit von Alan Sparhawks und Mimi Parkers Gesang zusammengehalten wird. Das Tageblatt sprach mit dem Paar über die Entstehung des Albums, die anstehende Tournee und das Auseinanderfallen unserer Welt.
Tageblatt: Mit „Double Negative“ haben Sie Ihren Stil neu erfunden – eine Veränderung, die auf Elemente von „Ones & Sixes“, Ihre erste Zusammenarbeit mit dem Produzenten BJ Burton, zurückzuführen ist. Wie kam es zu dieser kompromisslosen Neuerfindung?
Alan Sparhawk: Nach den Aufnahmen von „Invisible“ wollten wir in eine andere Richtung gehen: Wir wollten mehr Lärm, mehr Verzerrung und Dissonanz. Auf „Invisible“ haben wir uns auf akustische Instrumente konzentriert. Danach waren wir definitiv daran interessiert, mit einigen Dingen herumzuexperimentieren, mit denen wir uns schon vorher beschäftigt hatten – ich hatte unser Album „Drums & Guns“ im Hinterkopf. Als wir BJ trafen, merkte ich, dass die Dinge, über die er sprach, und die Musik, die er hörte, uns inspirierten. Es hat ein paar Alben gebraucht, um dahin zu kommen, wo wir hinwollten: Bei der ersten Platte haben wir gelernt, zusammenzuarbeiten. Wir brachten einige unserer eigenen Aufnahmemethoden ein und kombinierten sie mit den Methoden, die BJ anwendet. Aber als wir dann „Double Negative“ aufnahmen, sind wir wirklich …
Mimi Parker: … in eine neue Klangwelt eingetaucht.
A.S.: Wir haben den recht hohen Anspruch, stets etwas Originelles zu machen. Es geht uns immer darum, jemanden zu finden, dem wir vertrauen können und der die gleichen Dinge respektiert wie wir.
Während auf „Double Negative“ die Stimmen zersplittert und verzerrt waren, ist der Gesang auf „Hey What“ klarer, die Instrumentierung dafür noch abstrakter, krachiger, düsterer. Wann wurde Ihnen klar, dass Sie auf diese Dichotomie setzen würden?
M.P.: Wir haben recht früh im Aufnahmeprozess gemerkt, dass die Vocals sehr gut abgestimmt waren, dass alles schön harmonierte. Wir führten dann mit BJ ein Gespräch über die Produktion des Gesangs auf der kommenden Platte.
A.S.: Manchmal, wenn man Vocals aufnimmt und sie laut aufdreht, klingen sie irgendwie kratzig. Uns ist aufgefallen, dass wir bei den neuen Songs die Lautstärke aufdrehen konnten und der Gesang immer noch ziemlich gut klang. Auf „Double Negative“ haben wir mit den Vocals herumexperimentiert – manchmal sollten sie kristallklar klingen, dann wieder weit weg, anderswo wie ein eigenes, bizarres Instrument.
M.P.: Wir wussten, dass wir dieses Album anders gestalten wollten als „Double Negative“, also waren diese klaren Gesangsstimmen der Schlüssel zu einer neuen Perspektive, einer neuen Herangehensweise. Weil der Gesang wie ein Anker war, konnte die Musik wirklich weit gehen.
Die Songs gehen oft nahtlos ineinander über, was bereits auf „Double Negative“ streckenweise der Fall war …
A.S.: Das kam ziemlich natürlich. Während wir die Platte aufnahmen und abmischten, merkten wir, dass dieser Sound in jenen anderen fließen könnte, was es uns ermöglichte, zwei verschiedene Songs miteinander zu verbinden. In der Vergangenheit haben wir das bereits hier und da gemacht, aber da BJ diese Vorgehensweise sehr schätzt, wollten wir es hier konsequenter tun.
Sie sind jetzt ein Duo. Hat sich dadurch etwas am Schreibprozess geändert?
M.P.: Der Schreibprozess – das sind eigentlich seit jeher wir beide. Aber wir mögen es, einen Mitarbeiter zu haben. Mittlerweile ist BJ in diese Rolle geschlüpft.
A.S.: Wir haben gerne mit Steve (Garrington, Anm. der Red.), unserem Bassisten, gearbeitet, und es gibt definitiv einige Songs auf „Double Negative“, auf denen er glänzt. Aber Steve wollte nicht mehr auf Tour gehen, und das ist durchaus verständlich. Es ist ein bisschen anders, wenn wir nur zu zweit sind, aber da wir BJ nahestehen, gab es diese dreidimensionale Interaktion, mit der wir gerne arbeiten, definitiv.
Vor der Veröffentlichung von „Double Negative“ haben Sie die Songs auf Tournee probegespielt. Wegen der Pandemie war dies bei „Hey What“ nicht möglich, das Publikum hatte hingegen Zeit, sich mit der neuen Platte vertraut zu machen. Wird das Ihre Herangehensweise an die kommende Tour verändern?
A.S.: Es fühlt sich komisch an, die Platte herauszubringen, Interviews zu geben und zu sehen, wie die Leute Rückmeldungen geben, aber keine Shows zu haben. In einem gewissen Maß gibt es eine Unterbrechung zwischen der Platte und ihrer Live-Umsetzung: Man kann sich das Album anhören, es eine Weile auf sich wirken lassen, es vielleicht auch beiseitelegen und dann einfach zu unserem Gig kommen. Man verliert so vielleicht den Überraschungseffekt – aber vielleicht gewinnen die Konzerte so an Vertrautheit.
Auf „Double Negative“ waren die Live-Darbietungen gitarrenlastiger als die Songs auf dem Album. Wie gedenken Sie, die neue Platte auf der Bühne umzusetzen?
A.S.: Während der ersten paar Shows haben wir Gitarre, Bass und Schlagzeug gespielt. Wir bringen elektronische Elemente des Albums ein und versuchen, mit ihnen zu interagieren. Wir sind uns seit langem bewusst, dass es etwas anderes ist, eine Platte aufzunehmen, als live zu spielen. Wenn man hingeht und erwartet, dass man die Platte auf der Bühne einfach nachspielt, geht man meiner Meinung nach am eigentlichen Kern der Sache vorbei. Irgendwann betätigt man dann nur noch einen Knopf an einem Laptop und singt. Vielleicht wäre das interessant, vielleicht entsteht dabei etwas – aber ich glaube eher nicht. Ich glaube, live spielen hat etwas damit zu tun, dass man seine Hände und seine Stimme benutzen muss, dass man auf etwas schlagen muss, um einen Ton zu erzeugen. Das hat etwas Ehrlicheres, etwas Unmittelbareres, etwas Körperliches – wohingegen beim Drücken von Knöpfen oder dem Vorprogrammieren die Mystik der Performance dahinschwindet. Vielleicht ändern wir eines Tages unsere Meinung. Aber im Moment sind Album und Bühne zwei verschiedene Disziplinen.
Das Album wurde während der Pandemiezeit geschrieben. Hat dies die Düsternis, die „Double Negative“ bereits durchzog, verstärkt?
A.S.: Ein Teil des Materials wurde bereits vor der Pandemie geschrieben. Die Pandemie ist nur die konsequente Erweiterung der faschistischen Machtübernahme und der versuchten Zerstörung unseres Landes. Sie hat lediglich deutlich gemacht, dass hier etwas nicht stimmt, dass die Menschen ihre Augen nicht genügend öffnen, dass das, was sie für selbstverständlich halten, vielleicht völlig ungerecht ist. Es geht nicht nur um Politik, diese Dinge entfalten sich auch auf einer persönlichen Ebene: Jeder saß zu Hause fest, und wir alle hatten diesen leisen, schleichenden Todesengel auf unseren Schultern sitzen.
Der Philosoph Giorgio Agamben würde dem insofern zustimmen: Die Technologie war ein nützliches Werkzeug, um während der Pandemie eine Überwachungsgesellschaft einzuleiten. Ihre Musik stützt sich auf die Technologie und stellt sie dabei gleichzeitig in Frage, weil sie bei Ihnen so dunkel und zerbrechlich klingt …
A.S.: Faschismus entsteht, wenn die Menschen es leid sind, Entscheidungen zu treffen, wenn sie Angst vor der Komplexität der Welt haben. Das ist der Punkt, an dem sie anfangen, es okay zu finden, dass eine einzige Person die Verantwortung trägt und alles leitet. Heute sagen wir uns: Warum übernehmen das nicht die Maschinen? Wir stehen gefährlich kurz davor, die Macht, unser Leben aktiv so zu gestalten, wie wir es für richtig halten, Kräften zu überlassen, von denen wir glauben, dass sie unser Leben erleichtern. Die Technologie hat dies von Anfang an getan. Viele der interessanten Klänge, die in der Geschichte der Musik entstanden, sind darauf zurückzuführen, dass jemand die Technologie bis zu einem Punkt getrieben hat, an dem sie zusammenbricht. Verzerrung ist genau das: die Technologie zu ihrem Bruchpunkt bringen.
„Hey What“ ist ein avantgardistisches Statement. Kann es noch abstrakter werden?
A.S.: Ich denke, weil wir die Live-Shows haben, sind wir auf unseren Platten ziemlich frei und arbeiten, ohne Druck zu verspüren. Natürlich wollen wir interessante, originelle Platten machen und den Menschen, die unsere Musik bereits kennen, etwas bieten, das sie immer noch anspricht und begeistert. Ich habe das Gefühl, dass wir fast jedes Mal, wenn wir eine Platte machen, hinterher eine Art Erleichterung verspüren – als ob das alles gewesen sein muss, als ob wir nicht weiter gehen könnten. Dann denke ich, wir sollten eine Reggae- oder Metal-Platte machen – aber am Ende schreiben wir ein paar Songs und diskutieren, in welche Richtung wir gehen sollen. Was die nächste Platte angeht, ist es noch zu früh, um viel zu sagen. Wir haben Songs und treffen uns immer noch ab und zu mit BJ. Diese Band ist so langlebig, weil wir nie wirklich Erwartungen an die Zukunft stellen und nicht zu weit vorausplanen. Man muss im Moment bleiben. Wenn man sagt: „Jetzt machen wir dies und das“, öffnet man sich nicht wirklich für den kreativen Moment.
Sie leben in Duluth, einem Ort, den die meisten Europäer aus „Fargo“ kennen, wo er als kalt und leer beschrieben wird. Hat der Ort, an dem man lebt, einen Einfluss auf die Musik?
M.P.: Ich denke, die Antwort lautet: wahrscheinlich (lacht). Wie kann man nicht von dem beeinflusst werden, was einen umgibt, auch wenn man es eher als atmosphärisch, unbewusst wahrnimmt? Es gibt hier lange, dunkle Winter …
A.S.: … und die Stadt liegt an einem großen See. Der Ort liegt abseits, befindet sich nicht auf dem Weg nach irgendwo anders. Wir sind isoliert, und es gibt dieses Gefühl, vom Rest der Menschheit ausgeschlossen zu sein. Klar hat uns das geprägt. Wir sind beide in sehr ländlichen Gemeinden aufgewachsen und sind es gewohnt, mit viel leerem Raum umzugehen. Es ist schwer, nicht zu denken, dass dies ein Einfluss war. Aber wir mögen alle Arten von Musik. Und es ist ja nicht so, dass dies der einzige Ort ist, an dem wir existieren können.
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