/ Brexit: May und ihre Regierung wollen den Iren die Verantwortung in die Schuhe schieben
Theresa May ist auf bestem Wege, einen Ausweg aus dem Brexit-Schlamassel zu finden. Allerdings nicht auf die feine britische Art. Die britische Premierministerin baut immer mehr Druck auf Irland auf, sich in der Backstop-Frage flexibler zu zeigen. Den restlichen EU-Staaten könnte dies entgegenkommen. Die Angst vor einem Wirtschaftscrash ist zu groß.
Da scheint sich im Brexit-Nebel etwas zusammenzubrauen. Etwas, das alle Europäer bis vor kurzem lauthals verneint haben: Hinter den Kulissen steigt der Druck auf Irland, sich doch etwas kulanter gegenüber den Briten zu zeigen. Das Ziel lautet: einen harten Brexit vermeiden. Der Weg dorthin führt über: eine Neuverhandlung des Irland-Kapitels im Abkommen. Was bis vor kurzem als undenkbar verkauft wurde, bekommt langsam ein anderes Preisschild.
Deutschlands Kanzlerin Angela Merkel spricht von einem „kreativen Kompromiss“, den man finden könnte. Die britische Premierministerin will „alternative Arrangements“. Immer geht es um dasselbe Problem: wie die irische Grenze nach einem Brexit aussehen wird. Kommt ein Austritt ohne Abkommen, muss die Grenze kontrolliert werden. Mays Abkommen, das die britischen Abgeordneten bei ihrer letzten Abstimmung zerstückelt haben, hielt fest, dass das Vereinigte Königreich so lange in der Zollunion mit der EU bleibt, bis eine andere Lösung gefunden ist, die innerirische Grenze trotzdem offen zu lassen – der sogenannte Backstop, der eigentlich nichts anderes ist als eine Versicherung.
Briten haben Europa in Zwickmühle manövriert
Doch hier lauert die Zwickmühle: Gibt es keine Zollunion, muss die Grenze kontrolliert werden. Und gibt es eine Zollunion, wird es nichts mit dem Brexit, wie ihn sich weite Teile der britischen Konservativen vorstellen. Dieses Problems scheinen sich vor allem die Iren bewusst. Da sonst keine Lösung gefunden wurde und die angesprochene Zwickmühle kaum zu knacken scheint, pocht Dublin weiter auf einen unbefristeten Backstop. London, das sich der Zwickmühle ebenfalls vollauf bewusst ist, will ihn zeitlich begrenzen. Solange das Vereinigte Königreich in einer Zollunion mit der EU ist, kann es keine neuen Freihandelsabkommen abschließen.
Bislang hat die EU vehement abgestritten, das Abkommen mit London noch einmal neu zu verhandeln. Dass aber London das Abkommen doch noch annehmen wird, gilt als ausgeschlossen. Wenn es noch eines Beweises dafür bedurft hätte, lieferten die Londoner Abgeordneten diesen bei ihrer letzten Abstimmung nach: Einen unbefristeten Backstop wird es mit uns nicht geben, war die unmissverständliche Botschaft aus Westminster.
Also wird nun hinter den Kulissen gewerkelt – und der Druck auf die Iren hochgefahren, einer Befristung doch noch zuzustimmen. Auch aus eigenem Interesse. Denn sollte es zu einem harten Brexit kommen, dann hätten die Iren nicht nur den Schlamassel, den eine solch geschlossene Grenze sowieso schon bedeutet. Nein, Dublin müsste sich auch selber um den Grenzschutz kümmern. Der EU-Staat Irland hätte dann eine Außengrenze zu überwachen, erinnerte kürzlich die EU-Kommission in Brüssel, mit eigenen Zollbeamten und Polizisten.
Dass die Grenze überhaupt offen ist, ist auf das Good Friday Agreement zurückzuführen. Dieses Abkommen zwischen Irland, Nordirland und Großbritannien beendete 1998 den Bürgerkrieg in Nordirland und garantierte den Katholiken in der britischen Provinz Nordirland die gleichen Rechte wie ihren protestantischen Mitmenschen. Infolgedessen konnten sich auch die Beziehungen zwischen Nordirland und Irland wieder normalisieren. Darüber hinaus sieht das Karfreitagsabkommen vor, dass die Briten dafür zu sorgen haben, dass die irische Grenze offen bleibt …
Der Druck steigt – und es steht viel auf dem Spiel
Langsam, aber sicher schafft es London, den Schwarzen Peter für einen eventuellen harten Brexit weiterzuschieben. Nicht nach Brüssel, Paris oder Berlin. Sondern nach Dublin. Wäre die Ex-Kolonie nicht so stur, wäre alles kein Problem. Sagt London. Und findet damit bei den anderen Europäern immer mehr Gehör. In Diplomatenkreisen gehen mittlerweile viele davon aus, dass Dublin am Ende noch einlenken werde. Weil die Alternative – geschlossene Grenzen wegen eines harten Brexit – erstens schlimmer und vor allem das ja eigentlich zu Vermeidende wäre. Und weil der Druck der 26 anderen EU-Staaten auf Irland, wegen der drohenden wirtschaftlichen Konsequenzen infolge eines harten Brexit endlich einzulenken, am Ende doch zu groß würde.
Vor allem der Druck aus Deutschlands Wirtschaft auf Merkel dürfte erheblich sein. Immer wieder dringt durch, Merkel sei bereit, einzulenken. Noch folgen aus Berlin Dementis. Aber zuerst stehen wieder einmal Tage des Reisens an. Gestern war May in Belfast, während der irische Premier Leo Varadkar in Brüssel gastierte, wohin die britische Premierministerin heute fliegt. May will EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker ihre Ideen vorstellen, wie das gemeinsame Abkommen aussehen müsste, damit die britischen Abgeordneten diesem zustimmen. Juncker wird, so formulierte es gestern ein Kommissionssprecher, die britische Regierungschefin „mit Freude empfangen und hören, was sie zu sagen hat“. Sehr wahrscheinlich wird am Abend dann ein Anruf aus Brüssel bei Varadkar eingehen. Der Druck auf Irland steigt.
Gestern in Belfast bekräftigte May ihr Engagement für eine offene Grenze zwischen Nordirland und der Republik Irland. Nordirland müsse sich nicht auf die irische Regierung oder die Europäische Union verlassen, um eine Rückkehr zu den Grenzen der Vergangenheit zu verhindern. „Die britische Regierung wird das nicht zulassen. Ich werde das nicht zulassen“, sagte May. Änderungen an der Garantie für eine offene Grenze im Austrittsabkommen, dem Backstop eben, seien aber trotzdem notwendig. Änderungen, die Dublin nicht will. Wie gesagt, der Druck steigt – und es steht viel auf dem Spiel.
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