Tetingen / Bürgermeister für den Frieden, gegen die Atombomben
Am 6. August vor 78 Jahren klinkte der US-Bomber Enola Gay „Little Boy“ über der japanischen Stadt Hiroshima aus. Die erste jemals als Kriegswaffe eingesetzte Atombombe legte die Stadt in Schutt und Asche und tötete ihre Bewohner. Drei Tage später löschten die USA die Stadt Nagasaki aus. Mehr als 200.000 Menschen starben bei diesen bisher einzigen Einsätzen der Nuklearwaffe. Hunderttausende litten und leiden noch an den Folgen der Atomstrahlung. Jedes Jahr wird in Hiroshima in einer ergreifenden Zeremonie der zivilen Opfer gedacht. In Tetingen trafen sich gestern Vertreter von Luxemburger Gemeinden, die sich der weltweiten Bewegung „Mayors for Peace“ angeschlossen haben. Erklärtes Ziel der Vereinigung: eine Welt ohne Atombombe.
Die Gefahr einer nuklearen Katastrophe durch Atomwaffen war seit Ende des Kalten Krieges noch nie so groß. Die Zeiger der Weltuntergangsuhr stehen anderthalb Minuten vor Mitternacht. Die Warnung kommt vom „Bulletin of the Atomic Scientists“, das diese Weltuhr der nuklearen Apokalypse vor 76 Jahren schuf, um auf die Gefährdung der Menschheit durch die Atombombe aufmerksam zu machen. „In diesem Jahr stellt der Wissenschafts- und Sicherheitsausschuss des Bulletin of the Atomic Scientists die Zeiger der Weltuntergangsuhr vor, vor allem (wenn auch nicht ausschließlich) wegen der wachsenden Gefahren des Krieges in der Ukraine. Die Uhr steht jetzt bei 90 Sekunden vor Mitternacht – so nah wie nie zuvor an einer globalen Katastrophe“, warnten die Wissenschaftler zu Jahresbeginn.
Statt Abrüstung steht heute wiederum nukleare Aufrüstung auf dem Programm der Atommächte, insbesondere der USA und Russland. Vor wenigen Wochen haben die Vertreter der wichtigsten Industrienationen des Westens, die G7-Staaten, in Hiroshima eine viel kritisierte Erklärung veröffentlicht, die den Besitz von Atomwaffen zur Abschreckung befürwortet, schrieb Raymond Becker, Mitbegründer der Luxemburger „Friddens- a Solidaritéitsplattform“ am Samstag im Tageblatt. Russland droht seinerseits laut eigener Militärdoktrin mit einem nuklearen Schlag, sollte die Existenz des Staates selbst gefährdet sein.
63 Gemeinden engagieren sich
Gegen den nuklearen Wahn machen in Luxemburg 63 Gemeinden mobil. Sie haben sich dem Verbund Bürgermeister für den Frieden („Mayors for Peace) angeschlossen. Am Sonntag fand im Kulturzentrum Schungfabrik in Tetingen in Anwesenheit von Gemeindevertretern und des japanischen Botschafters in Luxemburg, Tadahiro Matsubara, die bereits dritte Gedenkzeremonie für die Opfer des nuklearen Infernos von Hiroshima und Nagasaki statt. Ausgerichtet wird die Luxemburger Gedenkfeier seit drei Jahren auf Initiative der „Lëtzebuerger Friddens- a Solidaritéitsplattform“ vom Städte- und Gemeindesyndikat Syvicol. Zuvor waren Reckingen/Mess und Schifflingen Austragungsorte der Erinnerungsfeier.
Die Geschichte von „Mayors for Peace“ reicht ins Jahr 1982 zurück. Auf der UN-Sondertagung über Abrüstung rief der damalige Bürgermeister von Hiroshima, Takeshi Araki, die Städte der Welt auf, sich zusammenzuschließen, um die Nuklearwaffen zu verbannen. Zusammen mit Nagasaki gründete Hiroshima die „Weltkonferenz der Bürgermeister für Frieden durch Solidarität zwischen den Städten“, die am 5. August 2001 in „Mayors for Peace“ umbenannt wurde. Derzeit gehören 8.271 Bürgermeister aus 166 Ländern dieser Friedensbewegung an. In Luxemburg schloss sich Wiltz 1989 als erste Gemeinde an.
„Unser Treffen heute ist ein Aufruf an uns alle, sich dafür einzusetzen, damit derlei Leiden in Zukunft verhindert werden“, sagte Bürgermeister Jean Weiler am Sonntag in seiner Eröffnungsrede. Syvicol-Präsident Emile Eicher zufolge sei es heute wichtiger denn je, an die Ereignisse von vor 78 Jahren zu erinnern. 2021, anlässlich des ersten Treffens der „Mayors for Peace“ in Luxemburg, war die Welt noch in Ordnung. Im Februar 2022 habe Russland nicht nur gegen das Völkerrecht verstoßen, sondern auch die „europäischen Grundwerte“ mit Füßen getreten, Frieden und Freiheit auf dem europäischen Kontinent verletzt. „Wir haben mit dem Ukraine-Krieg gelernt, dass Rechtsstaatlichkeit, der Respekt der Menschenrechte, unsere Unabhängigkeit, unsere Freiheit, das Recht auf Selbstbestimmung und Demokratie und unsere Solidargemeinschaft keine Selbstverständlichkeit sind.“ Diese Werte seien gefährdet und müssten mit allen Mitteln verteidigt werden. Daher die Bedeutung von derlei Erinnerungstagen. „Hand in Hand mit den Überlebenden tragen wir, die aktuellen und die zukünftigen Generationen, die Verantwortung, die Flamme der Erinnerung zu bewahren. Dies ist ein Akt des Respekts gegenüber den unschuldig verlorenen Leben, aber auch unsere treibende Kraft, um sicherzustellen, dass sich solche Tragödien nicht wiederholen“, mahnte seinerseits Botschafter Tadahiro Matsubara an.
Luxemburg ist nicht unschuldig
Vor der Gedenkzeremonie in der Schungfabrik, bei der auch der Präsident der „Friddensplattform“, Raymond Becker, und der Kayler Verantwortliche für die Ausrichtung der Zeremonie, Eric Hérin, das Wort ergriffen, war ein Ginkgobaum im Hof der Schungfabrik gepflanzt worden. Ein Ginkgo überlebte den Atombombenabwurf auf Hiroshima. Der Baum gilt seitdem als Symbol des Friedens. Den Abschluss der Feier bildete die Aufführung von Eudoxie X, einer choreographischen und musikalischen Arbeit von Sayoko Onishi und Emmanuel Fleitz.
Wünschenswert wäre es schon, würden die gestern in Tetingen ergangenen Appelle gehört. Doch erstaunlicherweise beunruhigen uns die Atommeiler in Cattenom, Tihange und Doel scheinbar mehr als die Nuklearsprengköpfe der USA auf dem Fliegerhorst Büchel in der Eifel und auf der Basis Kleine Brogel in der Provinz Limburg in Belgien – die perfekten Zielscheiben im Fall eines militärischen Konflikts. Gastgeber von US-Atomwaffen sind ebenfalls die Niederlande, Italien und die Türkei.
Auch wenn Luxemburg die Nuklearenergie als solche ablehnt und atomwaffenfrei ist, kann es seine Hände nicht in Unschuld waschen. Es unterstützt den Besitz und den potenziellen Einsatz dieser Massenvernichtungswaffen. „29 Länder (plus die fünf Gastgeber) ‚befürworten‘ auch den Besitz und Einsatz von Atomwaffen, indem sie den potenziellen Einsatz von Atomwaffen in ihrem Namen als Teil von Verteidigungsbündnissen, darunter der Nordatlantikpakt-Organisation (NATO) und der Organisation des Vertrags über kollektive Sicherheit (OVKS), erlauben“, sagt ICAN (International Campaign to Abolish Nuclear Weapons).
Das internationale Bündnis von Nichtregierungsorganisationen war 2017 mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet worden, insbesondere für seine Bemühung für ein weltweites Verbot der Nuklearwaffen. Ein entsprechender Vertragsentwurf war 2017 von einer Mehrheit der UN-Mitglieder angenommen worden. Luxemburg verweigert ihm bisher seine Unterschrift. Zuvor hatte es wie die anderen NATO-Länder auf Anraten der USA dessen Ausarbeitung boykottiert.
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