Österreich / Bundespräsident beauftragt Wahlverlierer Nehammer mit Regierungsbildung – und nicht die FPÖ
Österreichs Rechtspopulisten haben die Parlamentswahl gewonnen, aber den Poker um die Macht vorerst verloren. Statt FPÖ-Chef Herbert Kickl beauftragte Bundespräsident Alexander Van der Bellen am Dienstag den amtierenden Kanzler Karl Nehammer (ÖVP) mit der Regierungsbildung. Kickl hofft weiter.
Nur keine Zeit verlieren: Die Koalitionsverhandlungen zwischen ÖVP und FPÖ laufen auf Hochtouren. Viel zu streiten gibt es nicht, sodass die Christdemokraten wohl bald ihr bisheriges Bündnis mit den Grünen endgültig abhaken und ihre neue Regierung mit den Rechtspopulisten präsentieren können.
So läuft es in Vorarlberg, wo die ÖVP vor zehn Tagen trotz starker Verluste Platz eins behauptete und umgehend auf die erstarkte FPÖ als neuen Partner gesetzt hat.
Nehammers Dilemma
In Wien läuft es weniger rund. Da steht ÖVP-Chef Nehammer noch immer zu seinem Wahlversprechen, niemals mit der FPÖ zu koalieren. Genaugenommen schließt er die FPÖ gar nicht aus, sondern nur Kickl. Dieser feine Unterschied ist der Tatsache geschuldet, dass ein Nein zur FPÖ insgesamt unmöglich ist, weil Nehammers Parteifreunde dann ihre Koalitionen mit den Freiheitlichen in Ober- und Niederösterreich sowie in Salzburg aufkündigen und die laufenden Regierungsverhandlungen in Vorarlberg sofort stoppen müssten.
Nehammers – ohnehin nie realistisch gewesene – Hoffnung hat sich indes zerschlagen: Kickl, der die FPÖ bei der Nationalratswahl Ende September mit einem Rekordergebnis auf Platz eins geführt hatte, wollte der ÖVP partout nicht den Gefallen tun und wie vor 24 Jahren Jörg Haider das Feld räumen.
Im Gegenteil: Der rechte Recke setzt nun seinerseits darauf, dass Nehammer das Handtuch wirft und ein anderer Christdemokrat ihm den Steigbügelhalter macht. Das ist freilich derzeit ebenso wahrscheinlich wie eine Umkehrung der Fließrichtung der Donau. Die ÖVP steht so geschlossen hinter Nehammer wie die FPÖ hinter Kickl, wobei im Fall der Christdemokraten vorsichtshalber das Adverb „noch“ zu ergänzen wäre.
Die Momentaufnahme jedenfalls lässt Kickl wie einen Pyrrhussieger wirken: Die Wahl gewonnen, aber mangels Partner ohne Chance auf den Chefsessel im Kanzleramt. Denn die Sozialdemokraten wollen ihm schon gar nicht zur Mehrheit verhelfen.
Auch der Bundespräsident war ratlos. Anstatt eines Regierungsbildungsauftrages erteilte Alexander Van der Bellen nach der Wahl den Chefs der drei stärksten Parteien nur den Auftrag, noch einmal miteinander auszuloten, was mit wem möglich wäre. Das wenig überraschende Ergebnis: Mit Kickl ist nichts möglich. Somit konnte Van der Bellen am Dienstag wohlbegründet das ungeschriebene Gesetz brechen, demzufolge der Wahlsieger den Regierungsbildungsauftrag erhält. Hätte Kickls Werben um die ÖVP Früchte getragen, müsste ausgerechnet ein ehemaliger Grünen-Chef einen Rechtspopulisten als Kanzler angeloben.
Nehammers Chance
So aber schlägt nun Nehammers Stunde. Die aber auch seine letzte sein könnte. Der ÖVP-Chef, der seiner Partei das dickste Minus ihrer Geschichte beschert hat, darf nun um den Machterhalt pokern. Allerdings muss er das mit zwei Gegenspielern tun, die ihm garantiert mehr Kontra geben werden, als es Kickl getan hätte. In den zentralen Themen Wirtschaft und Migration hätte es kaum Diskussionen gegeben – die ÖVP hatte im Wahlkampf weitgehend den migrationspolitischen Restriktionskurs der Blauen übernommen, diese dafür quasi als Morgengabe das ÖVP-Wirtschaftsprogramm abgeschrieben. Doch jetzt muss sich Nehammer mit dem bekennenden Marxisten Babler matchen, der von 32-Stunden-Woche und Reichensteuern träumt. Und weil beide Parteien im Parlament zusammen nur eine Stimme Mehrheit haben, braucht es aus Stabilitätsgründen einen Dritten im Bunde. Die Grünen könnten zwar gut mit den Genossen, scheiden aber für die ÖVP nach fünf wenig erquicklichen Jahren als Partner aus. Näher steht ihr die liberale Neos-Partei, die jedoch forsch Reformen fordert und nicht einmal vor einer Anhebung des Pensionsantrittsalters zurückschreckt.
Nehammers Risiko
Das klingt nach ebenso langen wie harten Verhandlungen. Verzögernd könnten auch wahltaktische Überlegungen wirken: Am 24. November wählt die Steiermark einen neuen Landtag. Die FPÖ liegt auch dort in allen Umfragen klar vorn, eine rasche Koalition der Wahlverlierer in Wien würde Kickls Opfertheorie bestätigen, wonach der Anti-FPÖ-Schulterschluss von vornherein ausgemachte Sache war. Doch auch wenn in Wien vor der Steirerwahl kein weißer Rauch aufsteigt, wird der FPÖ ein Sieg in Graz kaum zu nehmen sein. Je höher dieser ausfällt, desto größer wird auch Nehammers Risiko. Die Genossen wissen um seine Zwangslage und werden es daher nicht zu billig geben. Aber je mehr linke Kröten die ÖVP als Preis fürs
Kanzleramt schlucken müsste, desto mehr von Nehammers Parteifreunden werden sich daran erinnern, wie einig man sich doch mit der FPÖ in Sachen Migration und Wirtschaft wäre. Außerdem stünde eine Koalition mit der SPÖ auf tönernen Füßen – oder besser: Fußi. Der rote Aktivist Rudolf Fußi sammelt gerade Unterschriften für eine Abwahl des glücklosen Parteichefs Babler. Eine Neuwahl der SPÖ-Spitze durch die Mitglieder könnte sich bis ins nächste Jahr hinziehen.
Kickls Hoffnung: Brutus
Weil die SPÖ als unsicherer Kantonist gilt, tönen schon jetzt aus dem ÖVP-Wirtschaftsflügel mit Hinweisen auf die schwache Performance der deutschen Ampel garnierte Rufe nach einer Neuauflage der 2019 im Ibiza-Skandal untergegangen Koalition mit der FPÖ. Noch verhallen solche Stimmen, auch, weil die ÖVP in dieser Konstellation nur Juniorpartner, Nehammer also nicht mehr Kanzler wäre. Das Herz der Unternehmer hängt allerdings nicht an Nehammer, der vom Arbeitnehmerbund kommt. Die Wirtschaftsbündler wollen einen wirtschaftsliberalen Kurs. Und die ÖVP-Basis vor allem eine härtere Linie in der Migrations- und Integrationspolitik. All das wäre kein Problem mit Kickl, der die anstehenden Verhandlungen über eine sogenannte „Zuckerlkoalition“ wohl mit so manchem unmoralischen Angebot an die ÖVP torpedieren wird. Und vielleicht findet sich dann doch noch der Brutus, dem die Position des Vizekanzlers genügt. Dann müsste Alexander Van der Bellen tun, was er nie tun wollte: Kickl als Kanzler angeloben.
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