/ Cannabis und das große Geld: Wie Ultraliberale Luxemburgs Marihuana-Politik beeinflussen wollen
Sie präsentieren sich als „Graswurzel-Organisation“, die für den Verbraucher kämpft – dabei werden die Mitarbeiter des Consumer Choice Center (CCC) laut einer Beobachtungsstelle von Big Tobacco und ultraliberalen Hardlinern finanziert. Ende April stattet das Zentrum Luxemburg einen Besuch ab, um Politiker über die Cannabis-Legalisierung zu beraten. Auf der Agenda: eine liberale Steuerpolitik. Luxemburgs Abgeordnete gewährten den Lobbyisten bereitwillig Einlass.
Consumer Choice Center (CCC) heißt die Organisation, die Luxemburg Ende April einen Besuch abgestattet hat. Auf seiner Website bezeichnet sich das CCC als „globale Graswurzel-Bewegung für Verbraucherwahl“. Und die Graswurzel-Aktivisten brachten den Luxemburgern etwas mit: Expertise bei der Legalisierung von Cannabis.
Für drei Tage tourte das CCC durchs Land. „Wir haben uns mit Repräsentanten der Arbeitgeberkammer, der Gewerkschaft LCGB, der Nationalen Agentur für Jugendinformation und der Parteien DP, LSAP und ADR getroffen“, erklärt Yaël Ossowski, stellvertretender Direktor des CCC, auf Tageblatt-Nachfrage. Ziel seiner Mission war es, so viele Menschen in Luxemburg wie möglich über die „Smart Cannabis Policy“ aufzuklären.
Zu der „cleveren Cannabis-Politik“ gehört offenbar auch die Vermeidung hoher Steuern auf Marihuana. „Obwohl Steuereinnahmen ein wichtiger und strategischer Faktor sind, sollte das nicht das alleinige Ziel des Gesetzgebers sein“, erklärte Ossowskis Kollege David Clement auf einer Pressekonferenz in Luxemburg-Stadt. „Durch die Beibehaltung eines niedrigen Steuersatzes kann Luxemburg den legalen Konsum ermöglichen.“ Und das würde sich nicht nur positiv auf die Steuereinnahmen, sondern auf die gesamte Wirtschaft auswirken.
Von einem niedrigen Steuersatz könnte aber noch eine ganz andere Gruppe profitieren – nämlich die Produzenten, die schon jetzt auf dem Markt aktiv sind. Und auch sie werden von der „Smart Cannabis Policy“ des CCC bedacht. Unter anderem fordert das Zentrum, dass der „Import von Cannabis von legalen und staatlich anerkannten Produzenten aus Ländern, die Cannabis bereits legalisiert haben“, erlaubt wird.
Laut dem deutschen Verein LobbyControl arbeiten in Brüssel 25.000 Lobbyisten mit einem Jahresbudget von 1,5 Milliarden Euro. 70 Prozent von ihnen sollen für Unternehmen und Wirtschaftsverbände arbeiten. Im Lobby-Register von Parlament und Kommission, das 2011 eingeführt wurde, sind derzeit 11.773 Organisationen eingetragen. Die Registrierung in dem Register ist freiwillig. Laut LobbyControl dürfen sich Mitglieder und Mitarbeiter der EU-Kommission seit 2014 nur noch mit Organisationen treffen, die sich in dem Register eingetragen haben – und sie müssen über das Treffen einen Bericht veröffentlichen.
Graswurzel-Organisation oder knallharte Lobby?
„Wir haben das CCC schon auf dem Radar, seit es sich in Brüssel niedergelassen hat“, sagt Margarida Silva vom Corporate Europe Observatory (CEO). Das CEO ist eine Nichtregierungsorganisation und nimmt Lobbygruppen unter die Lupe, die versuchen, Einfluss auf die EU-Politik zu erlangen. „Das CCC kam uns verdächtig vor, als es im März 2017 sein Büro in Brüssel eröffnete“, sagt Silva. BEUC, der Dachverband der europäischen Verbraucherorganisationen, erklärte, noch nie etwas von der „Graswurzel-Organisation“ gehört zu haben. Auch die politischen Inhalte, die das Zentrum in Brüssel propagierte, wollten nicht so recht mit einer Verbraucherschutz-Agenda zusammenpassen. Silva: „Das CCC gab an, Konsumenten zu repräsentieren – aber die Mitarbeiter begannen vor allem, gegen jede Art von Regulierung zu agitieren.“ Und dann gab es da noch etwas anderes, das beim CEO die Alarmglocken schrillen ließ: Das CCC gab nicht an, von wem es finanziert wurde.
Silva begann zu recherchieren. Im Zuge dessen besuchte sie auch das „Launch Event“, das das CCC einen Monat nach seiner Ankunft in Brüssel veranstaltete. „Es war eine sonderbare Veranstaltung für eine Graswurzel-Organisation“, sagt Silva. Unter den Gästen waren fast ausschließlich Männer in Anzügen. Im Eingangsbereich war ein Behälter aufgestellt worden, in dem man seine Visitenkarte werfen konnte. „Einer der Gäste fragte, woher das CCC sein mehr als drei Millionen Euro großes Startkapital habe, das es im Lobby-Register der EU angegeben hatte“, sagt Silva. „CCC-Chef Frederik Roeder antwortete darauf, dass das Geld von der Organisation Students for Liberty gekommen sei.“
Für Silva wurde so einiges klar: Die Students for Liberty (SFL) sind ein Netzwerk libertärer Studentengruppen – „und es sieht so aus, als würden sie größtenteils von einem anderen Netzwerk rund um den ultrakonservativen Plutokraten Charles Koch finanziert werden“. Laut dem amerikanischen Ableger der Umweltschutzorganisation Greenpeace sind die SFL „ein Teil von Charles Kochs zahlreichen Maßnahmen, um Fachleute zu rekrutieren und zu vernetzten, die seine Kultur der uneingeschränkten Macht der Unternehmen vertreten“.
Ölmilliardäre und Big Tobacco als Geldgeber?
Die Gebrüder Charles und David Koch, milliardenschwere Erben eines Öl- und Chemie-Imperiums, versuchen seit geraumer Zeit, die amerikanische Politik zu beeinflussen. Sie vertreten ein ultrakonservatives und libertäres Weltbild. „Es waren die Koch-Brüder, die den Tea-Party-Anhängern geholfen hatten, den Marsch durch die Institutionen anzutreten“, schreibt die deutsche Wochenzeitung Die Zeit. „Ihr Name ist zum Synonym für politische Einflussnahme durch Konzerne und Milliardäre geworden.“ Seit drei Jahrzehnten sollen die beiden ein Ziel verfolgen: „Ein radikal libertäres Amerika, weitgehend frei von staatlichem Einfluss und Regulierung.“ Und eines ihrer Instrumente dafür sind offenbar die Students of Liberty.
Dabei bekommt das Consumer Choice Center von den Students for Liberty nicht nur finanzielle Hilfe: Die Führungspersönlichkeiten der „Graswurzelbewegung“ sind offenbar fast alle auch Mitglieder bei dem Studentennetzwerk. „Es ist schwierig zu sagen, wo SFL endet und wo das CCC beginnt“, sagt Silva. In den USA haben die Organisationen sogar dieselbe Adresse.
Wie viel Geld aus der Wirtschaft steckt im CCC? Und wie viel stammt aus Kleinstbeträgen von Privatleuten – wie man es von einer Graswurzelbewegung erwarten sollte? „Wie bei vielen amerikanischen Nichtregierungsorganisationen kommen 70 Prozent unserer Spenden aus Stiftungen, 20 Prozent von Firmen aus dem Privatsektor und 10 Prozent von individuellen Spendern“, sagt Yaël Ossowski.
Marihuana-Unternehmen in der Sponsorenliste
Auf seiner Website hat das CCC inzwischen weitere Details über seine Sponsoren veröffentlicht. „Wir haben Geld von verschiedenen Industrien erhalten“, steht dort. Darunter aus der Energiewirtschaft, von Airlines, der verarbeitenden Industrie, der digitalen Wirtschaft, der Chemieindustrie und von Banken. Auch die Namen einiger Firmen werden genannt: Und darunter befinden sich die beiden kanadischen Marihuana-Produzenten Wayland und Supreme Cannabis. Die Wayland Group ist eines der wenigen Unternehmen mit einer sogenannten GMP-Lizenz. Die ist bares Geld wert – denn sie ermöglicht den Kanadiern den legalen Import von Gras in die EU.
Dem CCC öffneten sich in Luxemburg einige Türen. Das lag offenbar auch daran, dass das Zentrum einen Luxemburger in seinen Reihen vorweisen kann: „Unser Policy-Analyst Bill Wirtz war unser lokaler Kontakt“, erklärt Yaël Ossowski. „Er hat uns vorgestellt und Meetings organisiert.“ Wirtz ist laut eigenen Angaben freischaffender Journalist, der in der Vergangenheit unter anderem für die Luxembourg Times, das Journal und den Radiosender 100,7 gearbeitet hat. Bei den Parlamentswahlen 2013 kandidierte er auf der DP-Liste im Zentrum. Seit 2017 arbeitet er für das CCC.
Die Fraktionen von LSAP, DP und CSV gewährten dem Zentrum Einlass in ihre Sitzungsräume im Luxemburger Parlament. „Sie haben uns über Bill Wirtz angeschrieben“, sagt CSV-Mann Claude Wiseler. „Die Thematik Cannabis interessiert uns – und wir wollen Leute in Luxemburg und von auswärts sehen, um uns eine Meinung zu bilden.“ Das Treffen habe eine Stunde gedauert, es habe eine „informierte Diskussion“ gegeben, über Steuerfragen sei nicht gesprochen worden. Um wen es sich beim CCC genau handelte, war den Abgeordneten offenbar nicht bekannt. „Sie waren bei uns, ohne dass wir nachgeprüft haben, um wen es sich handelt“, sagt Wiseler.
Diskussionen bei der LSAP
Die LSAP-Fraktion informierte sich offenbar vorher über den Besuch aus Brüssel. „Wir haben mehrmals und lange darüber geredet, ob wir uns mit dem CCC treffen sollen“, sagt Fraktionschef Alex Bodry. Hintergrund der internen Diskussion: „Was haben Ultrarechte mit der Legalisierung von Cannabis zu tun?“ Die LSAP-Fraktion wusste um die Hintergründe des CCC, sagt der 60-Jährige. Schließlich entschieden sich die Politiker, die Zentrumsvertreter anzuhören. „Es ist kein Fehler, eine Lobbygruppe zu empfangen.“
Auch bei der DP fanden die Vertreter des CCC Gehör. „Wenn Leute ein Treffen anfragen, dann fragen wir, um welches Dossier es geht und sie werden dann an den richtigen Sprecher verwiesen“, sagt DP-Fraktionschef Eugène Berger. „Das geht von Gewerkschaften bis zu Privatleuten.“ Es würden keine „Screenings“ gemacht – oder der Geheimdienst gefragt, ob Gäste eine Clearance brauchen. „Es gehört zur täglichen Arbeit der Abgeordneten, alle möglichen und unmöglichen Leute zu empfangen, zuzuhören und sich eine Meinung zu bilden.“ Und das würde nicht bedeuten, dass man den Leuten zustimme.
Laut Claude Wiseler sagten die CCC-Leute, mehrere Treffen mit der Regierung gehabt zu haben. Sowohl das Staatsministerium als auch das Justizministerium und das Wirtschaftsministerium widersprechen dem jedoch. Das Gesundheitsministerium bestätigt, eine Anfrage des CCC erhalten zu haben – die Vertreter jedoch nicht empfangen zu haben.
Das Problem beim CCC ist laut Silva: „Entweder es vertritt die Interessen von Verbrauchern oder die von ihren Sponsoren – wenn Letzteres der Fall ist, hat es kein Recht, sich als Graswurzelbewegung zu bezeichnen.“ Die Lobby-Rechercheurin fällt ein hartes Urteil. „Es sieht so aus, als sei das CCC fast ausschließlich von Unternehmen wie Japan Tobacco International und Organisationen finanziert, die starke Verbindungen zu Konzernen und US-Milliardären haben“, sagt Silva. „Und es sieht so aus, als würde das Zentrum eher die Interessen seiner Geldgeber vertreten als die von Konsumenten.“
„Die Stimme des Verbrauchers geht zwischen dem Geschwätz der Lobbys und dem ganzen Rest oft verloren. Wir wollen da sein, um die Menschen zu repräsentieren, die nicht in der Lage sind, jeden Tag dabei zu sein, wenn Gesetze verabschiedet werden – Gesetze, die diejenigen betreffen, die am wenigsten Macht haben, sich ihnen entgegenzusetzen“-
Yaël Ossowski, stellvertretender Direktor des Consumer Choice Center in einem Youtube-Video zur Eröffnung des CCC-Büros in Brüssel.
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