„Kein Geld verloren“ / Caritas soll nach Millionen-Betrugsaffäre eine neue Struktur und Führung bekommen
Es war noch vor den Sommerferien, als der große Caritas-Betrug ans Licht der Öffentlichkeit kam, in dessen Zusammenhang rund 61 Millionen Euro unterschlagen wurden. Die Affäre beschäftigte nun auch den ersten Regierungsrat nach dem Urlaub.
Die Caritas soll im Herbst eine neue rechtliche Struktur sowie eine neue Führung erhalten und mit einer neuen Konvention aufgestellt werden. Die neue „Entität“ soll bis Oktober stehen und einsatzbereit sein. Der Staat habe jedenfalls bei der Betrugsaffäre kein Geld verloren, versicherte Premierminister Luc Frieden. Wie es mit der Caritas weitergehe, sei jedoch eine Entscheidung der Wohltätigkeitsorganisation und nicht der Regierung. Der Krisenstab der NGO, der im Zuge der Aufdeckung des Skandals die Leitung übernommen hatte, habe bereits neue Gründer gefunden, um die neue Entität ins Leben zu rufen. Es handele sich dabei um mehrere Stiftungen.
Es waren knapp 20 Minuten, bis Luc Frieden bei seinem ersten Pressebriefing nach den Sommerferien das zur Sprache brachte, was die Einwohner Luxemburgs in den vergangenen beiden Monaten geschockt, vor ein Rätsel gestellt und teils auch wütend gemacht habe, wie er sagte: den Caritas-Skandal. Wie konnte das nur passieren, dass der NGO innerhalb von sechs Monaten mehr als 60 Millionen Euro verloren gingen? Die restliche Zeit war dem Hauptthema gewidmet. „Die Caritas hat ganz sicher eine Reihe von Fehlverhalten an den Tag gelegt“, betonte der Regierungschef. Aufgrund der dramatischen Nachricht und des verlorenen Vertrauens in die aktuelle Führung der Caritas sollte kein Geld mehr von staatlicher Seite an die Organisation fließen, hatte Frieden vor der Sommerpause angekündigt.
Offene Rechnungen
So wurden die staatlichen Konventionen mit den bisherigen Caritas-Strukturen als Dienstleister gekündigt. Ausnahme sei die für die „Crèches“ und „Maisons relais“ zuständige „Caritas Jeunes et Familles“, bei denen es keinen Betrug gegeben habe. Außerdem müssten die laufenden Aktivitäten der Caritas im Auftrag des Staates zum Wohl der Ärmsten der Gesellschaft, etwa in den Flüchtlings- und Obdachlosenheimen, weitergeführt werden können. Weil eine Reihe von Lieferanten noch Rechnungen über 2,5 Millionen Euro offenstehen hätte, habe die Regierung beschlossen, die nationalen Aktivitäten der Caritas weiter zu finanzieren. Doch was die internationalen Projekte der Organisation betrifft, ist es nicht sicher, dass sie ohne Weiteres weitergeführt werden können. Hier tritt Luxemburg nur als Co-Finanzierer auf.
Von den verschwundenen rund 60 Millionen Euro stammten jeweils etwa eine Hälfte aus den Reserven der Caritas und eine aus den Krediten, die die Wohltätigkeitsorganisation bei den Banken beantragt hatte. Die Caritas habe bestätigt, dass diese Kreditlinien niemals vom Verwaltungsrat genehmigt worden seien. Sicherlich eine gute Nachricht sei, dass der Staat in diesem „schrecklichen Betrugsfall“ keine Steuergelder verloren habe. Im Gegenteil: Der Staat sei der Caritas sogar noch anderthalb Millionen Euro schuldig. Allerdings habe der Staat auch für Leistungen bezahlt, die nicht erbracht worden seien.
„Klarer Cut“
Darüber hinaus hat die Caritas die Kreditlinien, die sie von der Spuerkeess und der BGL BNP Paribas erhalten hatte, angefochten, weil für sie keine Unterschriften vom Verwaltungsrat vorlagen. Der Finanzminister sei nun angewiesen worden, zusammen mit der Justizministerin zu prüfen, ob es notwendig sei, die „Gouvernance“ der ASBLs, die viel Geld vom Staat erhalten, zu verbessern und einen entsprechenden Bericht von der Finanzaufsicht (CSSF) anzufragen.
Vieles in der Caritas-Affäre verstehe er selbst nicht, gab der Premierminister zu. Es sei ihm nach wie vor ein Rätsel, wie es möglich gewesen sei, dass der Wohltätigkeitsorganisation so viel Geld verloren ging. Frieden wies aber auch ein ums andere Mal darauf hin, dass der Staat nicht die Caritas sei. Zuständigkeit und Verantwortlichkeiten müssten strikt getrennt werden. Dass die Caritas im Oktober als neue Entität mit einer neuen Struktur und neuem Führungspersonal antritt, ist jedenfalls ein „klarer Cut“, wie es der CSV-Politiker nannte, mit der Vergangenheit.
Hansen, Fridman, Renten
Luc Frieden resümierte, bevor er bei dem gestrigen Pressebriefing auf das Caritas-Dossier zu sprechen kam, weitere Themen an, die der erste Regierungsrat nach den Sommerferien behandelt hatte. Angefangen bei den Olympischen Spielen in Paris, von denen er die Eröffnungsfeier und das Tischtennisturnier besucht hatte, bis hin zu den Paralympics, wo er am Sonntag zur Schlussfeier reisen will, bis hin zu seinen Ferien in Skandinavien und dem Besuch in Dublin diese Woche, ließ er die vergangenen Wochen Revue passieren. Kurz kam er auf seinen CSV-Parteikollegen Christophe Hansen zu sprechen, den er als Kandidaten für einen Posten als EU-Kommissar vorgeschlagen hat. Frieden schätzt den Europaabgeordneten sowohl als jungen als auch erfahrenen Politiker, für den nicht zuletzt der Wahlerfolg bei der Europawahl spreche.
Frieden kam auch auf die Klage von Michail Fridman zu sprechen. Der russische Oligarch fordert von Luxemburg fast 15 Milliarden Euro. „Die Regierung nimmt Fridmans Klage sehr ernst“, sagte der Premierminister. Luxemburg betrachte es als Pflicht, die Bestimmungen der EU-Sanktionen im Zusammenhang mit dem Ukraine-Krieg umzusetzen. Fridman hatte auf Grundlage eines Abkommen aus dem Jahr 1989 zum Schutz von Investoren zwischen Belgien und Luxemburg einerseits und der damaligen Sowjetunion andererseits geklagt. In den nächsten beiden Monaten würden die zwei Parteien – die luxemburgische Regierung und Fridman – ihren jeweiligen Schiedsrichter wählen. Die beiden Schiedsrichter würden danach einen dritten ernennen, der den Vorsitz übernimmt. Auch sollte der Ort des Schiedsgerichts festgelegt werden. Dieser wird laut Frieden in Asien sein. Der Premierminister rechnet damit, dass die Angelegenheit ein paar Jahre dauern wird.
Bezüglich der Rentenreform sagte Luc Frieden, dass eine entsprechende Debatte im September eröffnet werde. Er wünsche sich dabei „sachliche und respektvolle Gespräche“. Die zuständige Ministerin für soziale Sicherheit, Martine Deprez, werde die Sozialpartner sowie Vertreter der Jugend sowie den Nachhaltigkeitsrat und die Stiftung IDEA konsultieren. Es soll eine Plattform geschaffen werden, auf der jeder seine Ideen einbringen könne. Anfang des nächsten Jahres werde die Regierung dann einen „Etat des lieux“ der Gespräche erstellen und über die weiteren Schritte entscheiden. Die Diskussion, so Frieden, könne „nicht in sechs Monaten erledigt“ sein.
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