/ Ein Buch zur Lage der Nation: Caritas stellt neuen Sozialalmanach vor
In der diesjährigen Ausgabe ihres Sozialalmanachs der Caritas beschäftigen sich die Autoren schwerpunktmäßig mit dem qualitativen Wachstum.
Der katholische Wohlfahrtsverband Caritas Luxembourg hat am Dienstag die diesjährige Ausgabe seines Sozialalmanachs vorgestellt. Dabei handelt es sich bereits um die 13. Ausgabe in der Buchreihe. Im Sozialalmanach werden jedes Jahr Texte von Autoren veröffentlicht, die sich mit aktuellen sozialen Fragestellungen und der Politik beschäftigen. Dabei wählt die Caritas in jedem Jahr ein anderes Schwerpunktthema.
Die diesjährige Ausgabe beschäftigt sich mit dem politischen Schlagwort des „qualitativen Wachstums“, dessen Sinn und seiner Sinnleere. Unter den Autoren, die im Sozialalmanach 2019 veröffentlicht wurden, befinden sich so unterschiedliche Personen wie der grüne Energieminister Claude Turmes, der Vorsitzende des Instituts der Großregion, Roger Cayzelle, die ehemalige Ministerpräsidentin des Saarlandes und Bundesvorsitzende der CDU, Annegret Kramp-Karrenbauer, und der ehemalige Generalvikar des Erzbistums Luxemburg, Matthias Schiltz. Insgesamt enthält das Buch 16 Texte.
Traditionell geht die Caritas im Sozialalmanach auch auf die Rede zur Lage des Landes des Premiers ein und kommentiert diese. Da seit der letzten Rede aber eine neue Regierung im Amt ist, kommentiert Caritas-Mann Robert Urbé im diesjährigen Almanach auch das aktuelle Regierungsprogramm. Die nächste Rede zur Lage des Landes soll am 8. Oktober, also in der nächsten Woche, gehalten werden.
Im Almanach befindet sich auch eine faktische Darstellung der demografischen Lage anhand von statistischen Indikatoren. Die darin enthaltenen Indikatoren bedeuten alle eine Verschlechterung der sozialen Lage in Luxemburg. Im Beobachtungszeitraum 2007-2017 sind sowohl das Armutsrisiko wie auch der Gini-Koeffizient vor und nach Sozialtransfers in Luxemburg gestiegen. Letzterer gibt an, wie ungleich die Einkommen in Luxemburg verteilt sind. Ein Gini-Koeffizient von 0 würde bedeuten, dass alle Bürger das gleiche Einkommen erhalten. Ein Gini-Koeffizient von 1 würde bedeuten, dass eine Person das gesamte Einkommen erhält und alle anderen nichts. Dieses Maß stieg zischen 2007 und 2017 von 0,44 auf 0,50. Die Ungleichheit wird durch die Sozialtransfers in Luxemburg abgefedert, aber nicht wettgemacht. Der Gini-Koeffizient nach Sozialtransfers stieg im gleichen Zeitraum von 0,27 auf 0,31.
Leeres Gerede
Die drei Kernaussagen des Almanachs, so wie sie die Caritas zusammengefasst hat, lauten: 1) Das Regierungsprogramm ist vage und nicht ambitioniert genug, 2) qualitatives Wachstum ist noch nicht mehr als eine Worthülse, und 3) es sind wesentliche Impulse für die Wohnungspolitik notwendig. Urbé skizziert vier Bereiche, mit denen unverantwortlich umgegangen wird und in denen die Probleme geleugnet würden. Zum einen sind das Armut und Ungleichheit. Oft höre man, diese Probleme seien in Luxemburg kaum vorhanden. Zweitens sieht Urbé ein Problem bei den Renten. Es brauche immer mehr Beitragsleister, um die Renten zu bezahlen. Er kritisiert, dass die Rentenbeiträge gedeckelt sind – sodass Besserverdiener prozentual weniger Bezahlen als Geringverdiener – und die Rentenzahlungen sich auf bis zu 8.525,50 Euro monatlich belaufen können. Ein öffentliches Rentensystem dürfe nicht mehr als notwendig decken, so Urbé. Regierung und Gewerkschaften leugneten aber, dass es ein Problem bei den Renten gibt. Weitere Probleme sieht Urbé bei der Frage nach dem Wachstum und seiner Unausweichlichkeit und beim Klimawandel.
Die Autoren im Almanach fackeln nicht lange. So fordern unter anderem Bernd Nilles und Stefan Salzmann vom katholischen Hilfswerk „Fastenopfer Schweiz“ einen „systemischen Wandel“. Autor Norry Schneider nennt den Text, den er zusammen mit seiner Kollegin Karin Paris (beide vom Center for Ecological Learning Luxembourg) über die Klimakatastrophe verfasst hat, eine „Analyse des Kollaps“. Es handele sich um eine Beobachtung dessen, was längst wissenschaftliche Gewissheit ist – eine Trauerarbeit, die gemacht werden muss, um von dem Abschied zu nehmen, was jetzt ist, damit es gelingt, etwas Neues aufzubauen. Heute sei ein Utopist jemand, der noch glaubt, man könne weitermachen wie bislang. Ein Realist sei jemand, der einen Umschwung für notwendig halte.
Gesellschaft statt Gesellschaftsvertrag
Der ehemalige Generalvikar Matthias Schiltz meinte am Montag, bei allen Anstrengungen müsse der Mensch im Mittelpunkt stehen. Allerdings müsse man zuerst wissen, welcher Mensch das sei und welches Menschenbild man wolle. Er kritisierte das individualistische Menschenbild, das mit dem Neoliberalismus einhergehe und plädierte für ein „personalistisches“ Menschenbild, in dem der Mensch von vornherein ein Teil der Gesellschaft ist und nicht erst durch einen Gesellschaftsvertrag an sie gebunden wird. „Wir müssen vom neoliberalen individualistischen Menschenbild abkommen“, sagte er. Wenn die Menschen die Natur mit ihrer Technik und der kapitalistischen Lebensweise kaputt machten, dann schadeten sie sich damit auch selber. Die Politik rügte er. Sie scheue sich, den Menschen klarzumachen, dass ein Wandel mit Einbußen verbunden sei. In ihrem Text schreiben er und Koautor Henri Hamus, es sei notwendig, den „Wildwuchs des Wirtschaftswachstums in den Griff zu kriegen“.
Der Sozialalmanach 2019 ist in Buchhandlungen erhältlich und kann mittels Überweisung an die Caritas bestellt werden (Details unter www.caritas.lu). Dort können auch die Ausgaben der letzten Jahre gratis heruntergeladen werden.
Recht hat die Caritas sich dem Thema an zu nehmen. Der dringend nötige gesellschaftliche Wandel sollte auf der Agenda jeder Partei stehen. Der „Plang fir Lëtzebuerg“ scheint der grössten Oppositionspartei leider abhanden gekommen zu sein. Man sollte so langsam aus dem mittlerweile theatralischen Skandalaufdeck-Modus aussteigen und sich grösseren Themen annehmen.