„Friss oder stirb“ / Caritas: von der NGO zum Dienstleistungsunternehmen
Völlige Intransparenz, mangelnder Respekt gegenüber den Mitarbeitern und Ignoranz gegenüber den Gewerkschaften sowie Ausübung von Druck auf die Beschäftigten. So skandalgeprägt wie der eigentliche Anlass ist auch der Übergang der Caritas in eine neue Struktur und das Gebaren der Interimsführung. Der OGBL hat nun angekündigt, sich zur Wehr zu setzen.
Smail Suljic war seine Wut anzusehen. Wie die Interimsdirektion der Caritas und die Regierung mit den Beschäftigten der Nichtregierungsorganisation umspringen, hat den OGBL-Zentralsekretär für Gesundheit und Soziales wütend gemacht. Und ebenso, wie mit den Arbeitnehmervertretern umgegangen wird: „Wir wurden wie vor eine Mauer gestoßen. Es herrscht eine völlige Intransparenz.“ Dies bekommen nach Suljics Worten nicht nur die Beschäftigten selbst, sondern auch die Personalvertreter zu spüren.
Dabei drängt die Zeit. Bis zum 1. Oktober soll die „Hëllef um Terrain“ (HUT) als Nachfolgeorganisation von Caritas Luxemburg an den Start gehen. Doch die gut 350 Beschäftigten werden nicht einfach automatisch übernommen. Sie müssen ihre Verträge einzeln neu abschließen. Dabei soll bereits Druck seitens der Vorgesetzten auf die Mitarbeiter ausgeübt worden sein, möglichst schnell zu unterschreiben. Wem es nicht passe, der könne ja gehen und sich eine andere Arbeit suchen. Ganz nach dem Motto „Friss oder stirb“.
Seitdem Mitte Juli der Skandal von dem Verschwinden der mehr als 60 Millionen Euro herausgekommen ist, hat niemand von den Verantwortlichen mit uns darüber gesprochen. Weder sagt man mir, was mit meinem Posten geschieht, noch wie ich künftig eingesetzt werden soll.
Inakzeptabel findet der OGBL nicht nur, dass sie dabei völlig im Unklaren gelassen werden. „Die Entscheidungsträger sprechen nicht mit dem Personal“, erklärt Suljic. Einzelne Mitarbeiter können das bestätigen. „Seitdem Mitte Juli der Skandal von dem Verschwinden der mehr als 60 Millionen Euro herausgekommen ist, hat niemand von den Verantwortlichen mit uns darüber gesprochen“, sagt ein Mitarbeiter, der nicht namentlich genannt werden will. Er fügt hinzu: „Weder sagt man mir, was mit meinem Posten geschieht, noch wie ich künftig eingesetzt werden soll.“ Mit einer Weiterbeschäftigung bei der Nichtregierungsorganisation rechnet der langjährige Caritas-Angestellte nicht.
Service statt Kritik
Ziemlich sicher ist, dass der „politesche Volet“ der Caritas völlig abgeschafft werden soll. Seit langem ist die Organisation eine der kritischen Stimmen aus der Zivilgesellschaft sowohl in gesellschaftlichen als auch politischen Fragen, was ebenso Armutsbekämpfung als auch Asyl- und Migrationspolitik angeht. „Es sieht so aus, als wolle die neue Führung keine kritischen Akteure mehr haben“, sagt Smail Suljic. „Diese werden einfach stummgeschaltet. Das bedauern wir sehr.“ Vorbei sind die Zeiten, als etwa der Caritas-Sozialalmanach Missstände in der luxemburgischen Gesellschaft offenbarte, die den meisten Menschen hierzulande nicht unbedingt bekannt waren: etwa Armut, Diskriminierung, Ungleichheit, Wohnungsnot, soziale Not.
Die Mitarbeiter hätten kollektiv zusammengerufen werden müssen, erklärt Suljic, „zusammen mit der Personaldelegation“. Die Mitarbeiter der Caritas, die trotz der aktuellen Situation unter dem Eindruck der Millionen-Affäre ihrer Arbeit nachgegangen sind, würden geradezu als Spielball benutzt. „Dabei können sie überhaupt nichts dafür, was geschehen ist“, so der OGBL-Generalsekretär. Inakzeptabel sei schließlich auch, dass die neuen Verträge nicht im Beisein der Personalvertreter ausgehandelt werden. Also nicht wie bei einem üblichen „transfert d’entreprise“. Die Gewerkschaften würden nicht miteinbezogen. „Wir haben noch keinen Arbeitsvertrag gesehen“, sagt Suljic. Es handele sich nicht um einen gewöhnlichen Transfer von Mitarbeitern.
Die Caritas-Mitarbeiter, die im politischen Bereich und der internationalen Hilfe tätig sind, werden über ihr Schicksal im Unklaren gelassen. „Man lässt uns im Regen stehen“, sagt die bereits zitierte Person am Telefon. „Die haben keine Skrupel.“ Mit „die“ meint sie nicht nur die Interimsführung. Das komme von ganz oben, von der Regierung. Es werde nun wohl einen Sozialplan für diejenigen Betroffenen geben (etwa 30 Personen), die nicht übernommen werden, sagt Suljic. Nach wie vor ungehalten spricht er von mangelndem Respekt gegenüber den Gewerkschaften und hat dafür klare Worte: „Eine echte Sauerei.“ Die Arbeitnehmervertreter müssten in die Entscheidungen miteinbezogen und alle Dokumente offengelegt werden, fügt er am Ende seiner „Wutrede“, wie er selbst sagt, hinzu. Werde das in Zukunft nicht passieren, so Suljic, „werden wir schneller auf die Straße gehen, als die Verantwortlichen denken“.
Opfer und Spielball
Dass die Gewerkschaften von den Diskussionen ausgeschlossen wurden, habe einen komischen Beigeschmack, betont „déi Lénk“ in einer aktuellen Stellungnahme. Die Mitarbeiter, die seit vielen Jahren gute Arbeit für die Caritas leisteten, würden nun zu den Opfern der illegalen Machenschaften in den Banken, die ihren Kontrollpflichten nicht nachkamen. Und vor allem von einer Bank, der Spuerkeess, die praktisch eine staatliche Bank sei. Auch würden zahlreiche Menschen in den Kooperationsländern den Preis für die Unzulänglichkeit der Banken bezahlen. Die Regierung müsse nun aufhören, so zu tun, als sei ihr das alles egal.
Zum Schluss kommt Suljic auf das zu sprechen, was zwischen den Zeilen steht: Man wolle den Geist des Sozialen aus dem Sozialsektor herausnehmen. Aus einer Nichtregierungsorganisation als Akteur der Zivilgesellschaft werde so ein „Service Provider“, ein simpler Dienstleister. „Das ist jedenfalls nicht das“, erklärt der Gewerkschafter, „was der soziale Sektor ist:“
Von der Caritas zur HUT
„Hëllef um Terrain“ (HUT) als Nachfolgerin der Caritas hat folgende Gründungsmitglieder:
– die Fondation Félix Chomé;
– die Fondation La Luxembourgeoise;
– Christian Billan, Wirtschaftsberater, ehemaliger Generalsekretär der „Administration des biens du Grand-Duc et de la Cour grand-ducale“;
– Françoise Gillen, Mitglied des Verwaltungsrats der „Œuvre nationale de secours Grande-Duchesse Charlotte“, Beigeordnete des „Ombudsman fir Kanner a Jugendlecher“;
– Marc Lauer, CEO von Foyer;
– Georges Lentz, unter anderem Geschäftsführer der „Brasserie nationale“;
– Claudia Monti, Ombudsman;
– Paul Mousel, Gründer und Partner von Arendt&Medernach.
Der Vorstand besteht aus: Christian Billon, David Hagen (Hagen Advisory, früher bei CSSF), Willy De Jong (früherer Generaldirektor von Elisabeth), Claudine Konsbruck (1. Regierungsrätin im Justizministerium), Pascal Rakovsky (ehemaliger Partner von PwC), Marisa Roberto (Rechtsanwältin und geschäftsführende Gesellschafterin von Lorang Roberto Komninos).
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