/ Carlos Ghosn, der mächtigste Automanager der Welt, sitzt seit drei Monaten im Gefängnis
Weihnachten und Silvester hat der Chef von Renault, Nissan und Mitsubishi in Japan im Gefängnis verbracht. Ihm wird im weitesten Sinne Untreue vorgeworfen. Die Japaner haben ihn sofort seiner Ämter enthoben, Frankreich zögert. Jetzt erschien er erstmals vor Gericht – in Fesseln. Und beteuerte seine Unschuld. Doch die Ermittlungen gehen vorerst weiter.
Der Franko-Brasilianer Carlos Ghosn verbringt viel Zeit im konzerneigenen Flugzeug. Als Präsident von Renault, Nissan und Mitsubishi legt er Wert darauf, nicht per Videokonferenz zu regieren, sondern in Tokio und in Paris persönlich präsent zu sein. Er fliegt also dauerhaft zwischen Frankreich und Japan hin und her. Als er am 19. November 2018 in Tokio landet, erwartet ihn eine Überraschung. Eine Spezialeinheit der Tokioter Staatsanwaltschaft umstellt das Flugzeug, nimmt Ghosn in Empfang und erklärt ihm, dass er festgenommen wird und wegen Untreue in Untersuchungshaft kommt. Carlos Ghosn soll über Jahre hinweg sein Gehalt zu niedrig angegeben haben. Mehr als fünf Jahre lang sollen vier Milliarden Yen (1 Yen = 0,0081 Euro) gegenüber der japanischen Börsenaufsicht nicht deklariert worden sein. Von Steuerhinterziehung ist dabei nicht die Rede. Der Grund zur Festnahme erscheint schwach. Was also steckt wirklich hinter der Festnahme des Automobilmanagers?
Sein Lebensstil rückt in den Vordergrund. In Paris soll er im 16. Arrondissement in einer Wohnung wohnen, die Nissan ihm zur Verfügung stellen soll. Aus einem Fonds für Start-ups soll er in Wirklichkeit Wohnungen in Rio de Janeiro, Beirut, Paris und Amsterdam gekauft haben, schreibt die japanische Presse. Und als weitere Vermutung steht im Raum, dass Ghosn private Verluste während der Finanzkrise in Höhe von umgerechnet 14 Millionen Euro durch seine Vermögensverwaltungsgesellschaft auf die Konten von Nissan umgebucht haben soll. Zwischen 2009 und 2014 soll eine Tochtergesellschaft von Nissan umgerechnet 14,7 Millionen Euro an die Vermögensverwaltungsgesellschaft überwiesen haben.
All das sind Vermutungen, denn das Justiz-Dossier ist nicht öffentlich. Ghosn wird zunächst für elf Tage in Untersuchungshaft genommen. Diese wird verlängert, als der Staatsanwalt eine zweite Anklage nachreicht. Eine weitere Verlängerung lehnt ein Gericht ab. Ghosn hätte Weihnachten in Freiheit verbringen können. Da schiebt der Staatsanwalt im letzten Augenblick eine dritte Anklage nach, die zu einer weiteren Ausweitung der Untersuchungshaft führt. Zwischenzeitlich gibt es eine erste juristische Auseinandersetzung. Für diese Vorwürfe gibt es im japanischen Unternehmensrecht eine Verjährungsfrist von zehn Jahren. Die gelte aber im Fall Ghosn nicht, weil er sich aus japanischer Sicht zu viel im Ausland aufgehalten hat, soll der Staatsanwalt argumentieren.
Die Kultfigur
Carlos Ghosn ist in Japan eine Kultfigur. Vor 20 Jahren hatte er Nissan vor dem Konkurs gerettet. Als monatelange Verhandlungen zwischen dem deutschen Daimler-Konzern und Nissan scheiterten, tauchte der Franko-Brasilianer in Tokio auf. Renault war dort nicht bekannt, aber die Japaner brauchten dringend einen Retter. Zwei Stunden lang erzählte Ghosn den Nissan-Managern, was er mit Renault tun würde, um Nissan zu retten. Er überzeugte. Der damalige Renault-Chef, Louis Schweitzer, unterschrieb einen Millionen-Dollar-Scheck, um das französische Unternehmen mit 43 Prozent an Nissan zu beteiligen. Nissan wiederum beteiligte sich mit 15 Prozent an Renault. Ghosn traf danach mit Frau und Kindern und 30 Renault-Managern in Tokio ein. Er schloss Fabriken, reduzierte die Zahl der Mitarbeiter um mehrere tausend, brachte Nissan wieder auf die Erfolgsstraße und wurde in Japan gefeiert.
Den Posten des Vorstandsvorsitzenden wollte er nicht mehr, wurde stattdessen als Präsident Vorsitzender des Verwaltungsrates. Als später Mitsubishi in Schwierigkeiten geriet, beteiligte sich Nissan an dem Unternehmen und Ghosn – inzwischen Vorstandsvorsitzender bei Renault geworden – sanierte erneut.
Der selbstbewusste Ghosn geriet noch unter der Präsidentschaft von Staatspräsident Hollande an den nicht minder selbstbewussten Wirtschaftsminister Emmanuel Macron. Ghosn hatte zwischenzeitlich eine tiefgreifende technische und wirtschaftliche Allianz zwischen den japanischen und französischen Autobauern hergestellt und auch eine technisch weitreichende Kooperation mit dem deutschen Daimler-Konzern vereinbart. Der Pick-up von Daimler ist ein Nissan-Produkt. Motoren von Renault arbeiten in der A-Klasse. Macron aber wollte in dieser Allianz die französische Duftmarke vertiefen und geriet in einen Hahnenkampf mit Ghosn. Der konnte nicht verhindern, dass Frankreich sich ein doppeltes Stimmrecht in der Aktionärsversammlung zulegte. Eine Aufkündigung der Allianz durch Japan wurde nur knapp verhindert. Was blieb, war ein Misstrauen in Tokio gegenüber Paris.
Der Whistleblower
Der stellvertretende Verwaltungsratsvorsitzende von Nissan, Hari Nada, trieb hinter dem Rücken von Ghosn eine firmeninterne Untersuchung voran. Ein Wirtschaftsprüfer sollte feststellen, inwieweit das Verhalten der Manager des Konzerns mit den Nissan-Führungsgrundsätzen übereinstimmte. Im August vergangenen Jahres wurde der stellvertretende Vorsitzende des Verwaltungsrates zum Whistleblower. Er informierte den Tokioter Staatsanwalt informell über die Ergebnisse, den Nissan-Generaldirektor benachrichtigte er ebenfalls. Und: Er lockte den US-Juristen Greg Kelly aus Tennessee nach Tokio, stellte ihm sogar ein Flugzeug zur Verfügung. Kelly kam wie Ghosn auch am 19. November in Tokio an und wurde ebenfalls von der Spezialeinheit der Tokioter Staatsanwaltschaft festgenommen. Der Vorwurf gegen Kelly: Er soll das System erfunden haben, mit dem Ghosn der Börsenüberwachung ein zu geringes Gehalt angegeben haben soll. Kellys Ehefrau hat in einem von der US-Wirtschaftszeitung Wall Street Journal verbreiteten Video schwere Vorwürfe gegen Hari Nada erhoben.
Nada nimmt für sich ein neues japanisches Gesetz in Anspruch. Wer danach – wie in den USA – mit der Staatsanwaltschaft kooperiert, kommt bei einer Ermittlung mit einer geringen oder gar keiner Strafe weg. Nada wird in Frankreich als der Strippenzieher einer bösen Intrige empfunden. Tatsächlich hat Nada zwar als Vertrauter von Ghosn an der Sanierung des Konzerns und an der Erstellung der Allianz mitgewirkt, seine Whistleblower-Aktion stellt aber die genau jetzt infrage, wird in Frankreich befürchtet. Die Allianz Renault-Nissan stellt über zehn Millionen Autos im Jahr her und ist Nummer eins weltweit. Bei der Zusammenarbeit werden Renault- und Nissan-Modelle auf denselben Plattformen hergestellt, was beiden Unternehmen Milliardenvorteile im Autobau beschert. Die Allianz hat auch im Rennen um den Elektro-Auto-Markt genau deswegen die Nase weit vorn.
Der 24-jährige Sohn Anthony Ghosn hat in einem Interview mit einer Sonntagszeitung versichert, dass er von der Unschuld seines Vaters überzeugt sei. Botschafter hätten ihn besucht. Die Haftbedingungen seien nicht gut: Sein Vater äße täglich nur drei Schalen Reis und hätte seit November zehn Kilo abgenommen. Man dürfe sich aber nicht täuschen, sein Vater sei ein Kämpfer und werde nicht aufgeben.
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Hun se keng Platz méi fir Winterkorn & Co ?