20 Jahre Menschenrechtskommission / CCDH-Präsident Gilbert Pregno übt scharfe Kritik, u.a. an der Regierung
Nach etlichen Verschiebungen konnte die konsultative Menschenrechtskommission CCDH am Samstag ihren 20. Geburtstag nachfeiern. Ihr Präsident Gilbert Pregno sprach Tacheles und konfrontierte nicht nur die Regierung mit Missständen in Bezug auf die Menschenrechte.
Eigentlich war es bereits der 22. Geburtstag der Menschenrechtskommission („Commission consultative des droits de l’Homme“ – CCDH). Nachdem die Konferenz zum 20. Jubiläum mehrmals verlegt werden musste, war es am Samstag endlich so weit. Neben den Rednern Gilbert Pregno, Justizministerin Sam Tanson und Anne Calteux, permanente Vertreterin der Europäischen Kommission in Luxemburg, wohnten unter anderem mehrere Abgeordnete, Wohnungsbauminister Henri Kox, der Ombudsman für Kinder und Jugendliche, Charel Schmit, Ombudsman Claudia Monti oder auch Anne Goedert als Botschafterin der Menschenrechte der Konferenz bei. Für die passende musikalische Begleitung sorgte Michel Clees mit Text und Gitarre.
CCDH-Präsident Gilbert Pregno erinnerte daran, dass die konsultative Menschenrechtskommission in Luxemburg am 21. Juni 2000 nach dem Vorbild ihrer großen französischen Schwester gegründet wurde. Die Rolle der CCDH sei es, die Regierung und demnach auch das Parlament zu beraten. Pregno betonte seinen unermüdlichen Einsatz, stets die Unabhängigkeit der Kommission zu bewahren, welche sich von niemanden Vorgaben erteilen lasse. In den 22 Jahren seiner Existenz hat die Menschenrechtskommission insgesamt 142 Stellungnahmen verfasst. Von 2000 bis 2003 sind es drei gewesen, 2021 insgesamt 17. Pregnos Mandat dauert noch bis Anfang 2024. Er will sich nicht für ein weiteres Mandat aufstellen.
Gilbert Pregno hob drei Themen in den Vordergrund: die Pandemie, den Schutz von Kindern und Jugendlichen und die Unternehmen in Bezug auf die Menschenrechte. Dennoch gebe es viele weitere Themen, die wichtig seien, betonte er. „Wir haben festgestellt, dass die rund 30 Gesetzesprojekte, zu denen die CCDH bis auf eine Ausnahme stets Stellung bezog, meist unpräzise und inkohärent waren“, monierte der Präsident. „Wir haben uns gefragt, ob die Regierung überhaupt über eine Legistik-Abteilung (Rechtsförmlichkeit; Anm. d. Red.) verfügt.“ Pregno stellte die Frage, wer überhaupt die zahlreichen Stellungnahmen gelesen habe. „Die Regierung und das Parlament haben sich am Ende nur dafür interessiert, ob der Staatsrat eine ‚opposition formelle’ aussprechen würde.“
Kein einziges Mal der Begriff „Menschenrechte“
Kritik äußerte Pregno auch am OECD-Bericht, der Luxemburg als besten Schüler des Planeten in Sachen Pandemie-Bewältigung bezeichnete. „Im OECD-Bericht steht nicht ein einziges Mal der Begriff Menschenrechte“, so der Präsident. Das habe sie nicht interessiert. Er habe die OECD-Vertreter darauf angesprochen. „Sie haben mir zugehört, ohne mich zu hören.“ Auch der „Conseil économique et social“ (CES) habe einen Bericht verfasst. Dort sei der Begriff „atteintes aux libertés“ in einem einzigen Satz erwähnt worden, ohne das Thema weiter zu vertiefen.
In den Alten- und Pflegeheimen haben laut Pregno sogenannte „Empfehlungen“ dafür gesorgt, dass rund 50 Direktoren die Menschen dort „einsperrten“. Von jenen Menschen, die nicht am Virus gestorben sind, seien manche sicherlich an psychologischer Misere zugrunde gegangen, so der Präsident. „Wir haben uns oft gefragt, wie einfach es eigentlich ist, Maßnahmen zu ergreifen, die die Freiheit einschränken“. Auch stellt er die Sinnhaftigkeit der Niederlassung des Unternehmens Orpea in Luxemburg infrage, das hierzulande Pflegeheime betreiben soll. Gegen Orpea seien zahlreiche Klagen am Laufen und der Schuldenberg belaufe sich auf über 9 Milliarden Euro.
Ich schreie lauthals heraus, dass wir die Werte der Kinderrechtskonvention zum Schutz der Kinder und Jugendlichen in die Gesetze integrieren müssenPräsident der Menschenrechtskommission
Gilbert Pregno ging anschließend auf die drei neuen Gesetzesprojekte zum Jugendschutz ein. „Es wurde Zeit“, sagte er. Die alten Gesetze seien in vielen Punkten völlig überholt. Er habe festgestellt, dass die 300-seitige Stellungnahme der Richter zur jetzigen Reform in tiefster Uneinigkeit mit den drei Gesetzesprojekten stehe. Pregno bedankte sich bei den Magistraten für ihr Engagement zum Schutz der Kinder in den vergangenen Jahrzehnten, trotz veralteter Gesetzestexte. Dennoch könne er nicht verstehen, wieso die Richter so starr auf ihrer Meinung beharren, dass dies ausreichend sei. „Ich schreie lauthals heraus, dass wir die Werte der Kinderrechtskonvention zum Schutz der Kinder und Jugendlichen in die Gesetze integrieren müssen“, betonte er. Auch sei ein Strafrecht für Minderjährige notwendig, das jenem der Erwachsenen entspreche. Die legalen Prozeduren seien laut seinem Verständnis Garantien für das Freiheitsrecht. „Wieso sollte dies für die Minderjährigen anders sein?“, fragte er. „Haben die Minderjährigen weniger Rechte, nur weil sie klein sind?“
„Zwei Schritte nach hinten und einer nach vorne“
Ein weiteres Thema in Gilbert Pregnos Rede war die Wachsamkeitspflicht der Unternehmen in Bezug auf die Menschenrechte. Regelmäßig beobachte man Abkommen zwischen Unternehmen und korrupten Regierungen. „Die EU-Kommission hat diesbezüglich den Vorschlag einer Direktive ausgearbeitet, welche gravierende Verletzungen an den Menschenrechten nur auf homöopathischer Ebene löst“, monierte der CCDH-Präsident. Das Lobbying mancher multinationalen Firmen und mancher Regierung sei beeindruckend. „In Luxemburg gibt es Unternehmen und auch Politiker, die bei solchen Machenschaften einfach wegschauen und alles tun, um ein Weiterkommen in dieser Angelegenheit zu blockieren.“ Das Vorgehen der Luxemburger Regierung inspiriere sich an der umgekehrten Echternacher Springprozession: zwei Schritte nach hinten und einer nach vorne. Ein vor drei Monaten gesendeter Brief an die Minister für Außenpolitik und Wirtschaft sei bislang ohne Antwort geblieben. „Nicht zu antworten, ist auch eine Antwort. Und die sagt vieles aus“, schlussfolgerte Pregno.
Ich kann euch versichern […], dass uns bei jeglicher Entscheidung, sowohl im Regierungsrat als auch im Abgeordnetenhaus, die Einhaltung der Menschenrechte geleitet hatJustizministerin
Bevor Justizministerin Sam Tanson an das Rednerpult trat, erläuterte Anne Calteux die vier Achsen der europäischen Strategie gegen Menschenhandel. Die Vertreterin der EU-Kommission vertrat die EU-Koordinatorin gegen Menschenhandel Diane Schmitt, die sich wegen Krankheit abmelden musste. Sam Tanson ging auf einige Kritikpunkte des Präsidenten der konsultativen Menschenrechtskonvention ein. Die Menschenrechtsfrage sei ihrer Meinung nach in Luxemburg noch nie so oft thematisiert worden wie während der Pandemie. „Ich kann euch versichern, auch wenn dies nicht explizit niedergeschrieben wurde, dass uns bei jeglicher Entscheidung, sowohl im Regierungsrat als auch im Abgeordnetenhaus, die Einhaltung der Menschenrechte geleitet hat.“ Man habe stets versucht, ein Gleichgewicht zwischen dem vom Staat garantierten Recht auf Gesundheit für alle und den anderen Rechten der Bürger zu finden. An Pregno gerichtet, sagte Tanson: „Wir haben sehr wohl alle Stellungnahmen der CCDH gelesen.“
Zum Thema Kinderrechte und -schutz wies die Justizministerin auf die Wichtigkeit drei erarbeiteten Gesetzesprojekte hin. Die 2018 angegangene Reform sei auf viel Widerstand gestoßen und habe die Justiz dazu veranlasst, neue Wege einzuschlagen. Das Resultat seien die nun erarbeiteten drei Gesetzesprojekte zum Jugendschutz. „Nun verfügen Minderjährige im Strafrecht über die gleichen prozeduralen Garantien, die auch Erwachsenen zustehen“, betonte Tanson.
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