Tokyo 2020 / Charel Grethen: „Mit dem Einzug ins Finale habe ich mehr erreicht, als ich mir hätte erträumen können“
Charel Grethen hat Luxemburger Sportgeschichte geschrieben mit seinem Finallauf über die 1.500 m. Am Ende wurde der Luxemburger 12. in einem sehr schnellen Rennen. So richtig hat der 29-Jährige noch nicht realisiert, was er in den vergangenen Tagen erreicht hat.
Innerhalb weniger Tage hat sich Leichtathlet Charel Grethen in die Weltspitze der 1.500-m-Läufer katapultiert. Mit seiner Qualifikation für das olympische Finale hat der 29-Jährige luxemburgische Sportgeschichte geschrieben. Nach der Goldmedaille von Josy Barthel über die gleiche Distanz im Jahr 1952 und dem 7. Platz von Danièle Kaber im olympischen Marathon 1988 war es der größte Erfolg eines luxemburgischen Leichtathleten bei Olympischen Spielen.
Nach einem taktischen Vorlauf, in dem Grethen sicherlich vom Sturz des Polen Marcin Lewandowksi profitierte, qualifizierte sich der Luxemburger als Sechster direkt für das Halbfinale. Dort legte er noch einmal eine gehörige Schippe drauf und verbesserte seinen eigenen Landesrekord um nahezu vier Sekunden auf 3:32,86 Minuten. Die schnelle Zeit und der siebte Platz reichten, um einen der beiden Lucky-Loser-Plätze im Finale zu ergattern.
Hatte der Kenianer Abel Kipsang bereits in Grethens Halbfinal-Lauf einen neuen olympischen Rekord aufgestellt, sollte es im Finale noch einmal schneller zur Sache gehen. Der Kenianer Timothy Cheruiyot und der Norweger Jakob Ingebrigtsen schlugen ein enormes Tempo an. Grethen hielt sich in den letzten Positionen auf, versuchte sich etwas nach vorne zu arbeiten, musste dem Tempo aber wie viele andere auch Tribut zollen. Am Ende wurde Grethen mit 3:36,80 Minuten Zwölfter unter 13 Startern. Olympisches Gold sicherte sich Ingebrigtsen in 3:28,32 und pulverisierte damit den olympischen Rekord von Kipsang. Silber sicherte sich Cheruiyot vor dem Briten Josh Kerr.
Nach dem Finale musste Grethen noch in die Dopingkontrolle und kehrte erst in der Nacht ins olympische Dorf zurück und beantwortete noch Interviewanfragen.
Tageblatt: Was ging in Ihnen vor, als Sie zum Finale aufgerufen wurden und ins Stadion einliefen? Sie wirkten recht locker.
Charel Grethen: Das war ich auch. Mit dem Einzug ins Finale habe ich mehr erreicht, als ich mir je hätte erträumen können. Ich war zwar ganz auf mein Rennen fokussiert, aber ich wusste, dass ich nichts zu verlieren hatte. Ich wollte einfach noch einmal alles geben und das Rennen genießen.
Wie war der Endlauf für Sie? Hatten Sie mit einem so schnellen Rennen gerechnet?
Ich habe meinem Trainer im Vorfeld gesagt, dass das Finale in 3:28 gewonnen werden wird. Damit lag ich ja nicht so weit daneben. (lacht) Weil das Rennen so schnell war, habe ich mich hinten im Feld aufgehalten. Die ersten 800 m habe ich in 1:54,0 Minuten zurückgelegt. Bei meinem Landesrekord im Halbfinale waren es 1:55,7 Minuten. Das war also noch einmal eine ganz andere Hausnummer. Bis 1.200 m war ich schneller unterwegs als im Halbfinale. Dass es am Ende im Finale eine langsamere Zeit wurde, lag vor allem an den letzten 300 m, die waren richtig schwer. Wäre ich im Mittelfeld oder ganz vorne gelaufen, wäre mein Einbruch am Ende noch größer gewesen. Es war zudem das dritte Rennen innerhalb von fünf Tagen auf dem höchsten Niveau für mich. Ich bin jedenfalls glücklich mit meiner Leistung hier bei Olympia.
Ich habe während Jahren alles für meinen Sport getan
Haben Sie bereits realisiert, was Sie in Tokio erreicht haben?
Noch nicht so richtig. Ich denke, das dauert noch mindestens ein paar Tage. Wenn mir jemand vor zwei Wochen gesagt hätte, dass ich sicher ins Halbfinale kommen würde, hätte ich das sofort unterschrieben. Jetzt bin ich das Finale gelaufen. Das ist Wahnsinn.
Haben Sie etwas von der Begeisterung in Luxemburg mitbekommen?
Ein bisschen schon. Es ist unglaublich, dass ein Public Viewing organisiert wurde und RTL das Rennen live übertragen hat. Ich habe in den vergangenen Tagen unzählige Nachrichten erhalten. Leider konnte ich sie nicht alle beantworten, da ich mich auf die Rennen konzentrieren musste, aber es tat gut, all diese Nachrichten zu lesen. Das hat mich sehr gefreut.
Weggefährten haben sich uns gegenüber nicht überrascht gezeigt, dass gerade Ihnen dieser Coup gelungen ist. Sie würden sich keine Grenzen setzen. Ist das ein Teil Ihres Erfolgsrezeptes?
Ich habe während Jahren alles für meinen Sport getan. Die Leichtathletik mit ihren Qualifikationszeiten ist ein extrem harter Sport, der nichts verzeiht. Hierhin zu kommen, war verbunden mit viel harter Arbeit und dem Glauben an mich selbst. Ich habe in den vergangenen Jahren aufgrund mehrere Verletzungen nie mein ganzes Potenzial abrufen können. 2017, nachdem ich von den 800 auf die 1.500 gewechselt bin, hatte ich Hüftprobleme, anschließend kam die Operation an der Achillessehne, weshalb ich 2020 kein Rennen bestritten habe. Jetzt endlich bin ich beschwerdefrei und kann mein Potenzial abrufen.
Etwas neben dem Sport zu haben, kann auch ein großer Vorteil sein, vor allem wenn es einmal nicht so läuft
Sie haben Ihren Landesrekord um nahezu vier Sekunden auf 3:32,86 Minuten verbessert. Wie weit kann die Zeit noch nach unten gehen?
Ich will mich nicht auf eine Zeit festlegen. Es ist schon enorm, dass ich eine 32er-Zeit gelaufen bin. Ich würde mich gerne in dem Bereich etablieren. Es war schon schwer, dahinzukommen, aber sich in dem Bereich festzusetzen, ist noch eine ganz andere Herausforderung.
Im Dezember haben Sie eine Halbtagsstelle im Arbeitsministerium angenommen. Tut es Ihnen jetzt nicht leid, dass Sie sich nicht mehr voll auf den Sport konzentrieren können?
Nein, überhaupt nicht. Ich war dankbar für die vier Jahre in der Sportsektion der Armee, aber es war für mich jetzt an der Zeit, mich anderweitig zu orientieren. Etwas neben dem Sport zu haben, kann auch ein großer Vorteil sein, vor allem wenn es einmal nicht so läuft. Außerdem habe ich ja gezeigt, dass es möglich ist, Arbeit und Sport zu kombinieren. Da möchte ich meinem Arbeitgeber auch einen großen Dank aussprechen. Ich bekomme eine große Flexibilität zugestanden, ohne die das ganze Projekt Olympia nicht möglich gewesen wäre. Es sind ja nicht nur die zwei Wochen Tokio, sondern zahlreiche Lehrgänge und viele Stunden Training.
Was bedeutet dieses olympische Finale für Ihre Zukunft?
So eine Final-Teilnahme öffnet einem natürlich Türen. Ich habe bereits eine Einladung für das Diamond-League-Meeting am 3. September in Brüssel erhalten. Es ist mein erstes Meeting dieser Kategorie, darauf freue ich mich schon sehr.
Welche Rolle spielt Ihr Trainer Camille Schmit in Ihrer Karriere?
Eine sehr große Rolle. Er kennt mich und mein Leistungspotenzial besser als ich selbst. Wir arbeiten nun schon 14 Jahre zusammen und er hat einen sehr großen Anteil am Erfolg. Um mich für Olympia zu qualifizieren, musste ich bis einen Monat vor Tokio sehr viele Rennen bestreiten, aber Camille hat es hinbekommen, dass ich auf den Punkt meine beste Form hatte. Aber auch meine Familie, meine Freunde sowie sämtliche Betreuer aus meinem Umfeld haben einen großen Anteil an diesem Erfolg.
Wie geht die Saison für Sie weiter?
Ich werde am 22. August beim Meeting in Schifflingen antreten. Darauf freue ich mich schon sehr. Es ist immer schön, in Luxemburg zu laufen. Dann steht auch schon bald die Diamond League an.
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