Österreich / Christ- und Sozialdemokraten stehen nach FPÖ-Triumph vor dem AfD-Dilemma
Nach dem FPÖ-Triumph bei der Nationalratswahl am Sonntag stehen nicht nur Österreichs Christdemokraten vor einem AfD-Dilemma: Die Rechtspopulisten mit einer Brandmauer von der Macht fernhalten oder sie einbinden und entzaubern? Auch die SPÖ wird sich bald dieser Gretchenfrage stellen müssen.
Während FPÖ-Chef Herbert Kickl die Gratulationsadressen von Viktor Orban, Marine Le Pen, Geert Wilders und Konsorten entgegennahm, wird in Wien eine alte Tradition wiederbelebt: die Donnerstagsdemonstrationen gegen eine Regierungsbeteiligung der Rechtspopulisten. Noch am Wahlabend war es zu einer spontanen Kundgebung gekommen vor dem Lokal, in dem die FPÖ ihren Wahlsieg feierte. Ab übermorgen wird dann unter dem Motto „Fix zam (fest zusammen, Anm.) gegen Rechts“ jeden Donnerstag demonstriert. Als die ÖVP im Jahr 2000 erstmals mit der FPÖ koalierte, hielten die Donnerstagsdemonstranten zwei Jahre lang durch, auch 2019, als es die Christdemokraten einmal mehr mit den Rechtspopulisten versuchten, gingen die Linken wöchentlich auf die Straße.
Angesagte Katastrophe
Der nunmehrige Aufstieg der FPÖ zur stärksten Kraft im Wiener Parlament schickt eine Schockwelle durchs Land, auch wenn diese nicht überraschend kam, sondern seit zwei Jahren in allen Umfragen absehbar war. „Angesagte Katastrophen finden statt“, kommentierte die österreichische Literaturnobelpreisträgerin Elfriede Jelinek den Wahlsonntag, welcher der SPÖ mit 21,1 Prozent das schlechteste Wahlergebnis und der ÖVP mit einem Minus von 11,2 Prozentpunkten auf 26,3 Prozent den größten Absturz ihrer Geschichte beschert hatte.
Am Tag danach scheint es der Donnerstagsdemos gar nicht zu bedürfen. Denn die angesagte Katastrophe dürfte – zumindest vorerst – nicht stattfinden. ÖVP-Chef Karl Nehammer hält auch nach der Wahl an seiner Ablehnung einer Koalition mit Herbert Kickl fest, seine Partei wiederum macht keine Anstalten, der FPÖ-Aufforderung nachzukommen und Nehammer zwecks Bildung einer Koalition zu opfern.
Alte Bande neu geknüpft
Der Zug setzt sich langsam in eine andere Richtung in Bewegung: Sowohl bei den Christ- als auch den Sozialdemokraten sehen die Großkoalitionäre wieder einmal ihre Stunde gekommen. Um Herbert Kickl, der aus seinem 29-Prozent-Triumph einen Anspruch auf das Kanzleramt ableitet, von der Macht fernzuhalten, sollen sich SPÖ und ÖVP wieder zusammenraufen. Aus beiden Parteien gibt es entsprechende Signale. So hat das SPÖ-Präsidium schon gestern nach kurzem Wundenlecken bereits ein fünfköpfiges Team für Sondierungsgespräche nominiert. Angeführt wird es von Parteichef Andreas Babler, dem vorerst eine Führungsdebatte erspart bleibt. Sogar sein alter Widersacher, der burgenländische Landeshauptmann Hans-Peter Doskozil, meinte entgegen den Erwartungen vieler Beobachter: „Wir brauchen jetzt keine Personaldiskussion!“ Kärntens SPÖ-Landeshauptmann Peter Kaiser erinnerte daran, dass „die Bereitschaft, Verantwortung zu tragen, bei den Sozialdemokraten sehr stark ausgeprägt ist“. Babler selbst ist kein Freund der ÖVP, kann aber nach dem desaströsen Scheitern seines Linksaußen-Kurses die Sehnsucht vieler Genossen nach einer Rückkehr an die Macht nicht einfach ignorieren. Auch er betonte daher, dass die Hand Richtung ÖVP ausgestreckt sei.
Verlierer-Koalition …
Noch ist schwer vorstellbar, wie seine bisweilen ultralinken Positionen unter einen Hut zu bringen wären mit dem rechtsliberalen ÖVP-Weltbild. Angesichts klammer Kassen, die es nicht länger erlauben, wie in der Vergangenheit Probleme mit Steuergeld zuzuschütten, wird jede künftige Regierung mit enormen Konfliktpotenzialen konfrontiert sein. Umso riskanter wäre eine Zweier-Koalition, die im Parlament auf nur eine hauchdünne Mehrheit von 93 der 183 Mandate käme und zudem von Anfang an nur ein Bündnis der Verlierer wäre.
… mit liberaler Verstärkung
Dieses Mehrheitsproblem entschärfen und den Loser-Makel behübschen könnte der zweite Gewinner des vergangenen Wahlsonntags. Während die Genossen sieben Jahre nach dem Bruch der letzten großen Koalition endlich wieder an die Macht wollen, hoffen die Liberalen, endlich einmal zum Zug zu kommen. Mit ihren 18 Mandaten könnten die Liberalen einer Dreier-Koalition mit 111 Sitzen zu Stabilität verhelfen. Für Nehammer hätte diese Konstellation doppelt Charme: Die Neos, eine 2013 gegründete ÖVP-Abspaltung, wären ein Verbündeter gegen allzu linke SPÖ-Träume, und er selbst wäre anders als in einer Koalition mit den Blauen nicht Juniorpartner, sondern bliebe Kanzler. Und vor allem: Die Brandmauer gegen die extreme Rechte bliebe intakt.
Allerdings hätte es sogar für Herbert Kickl einen gewissen Charme, wäre sein Triumph nur ein Pyrrhussieg und sein Traum vom „Volkskanzler“ vorerst geplatzt. Die FPÖ könnte fortsetzen, was sie am besten kann: Sich wie die AfD in Deutschland weiter als Ausgrenzungsopfer der „Systemparteien“ inszenieren. In der Märtyrerrolle müsste Kickl nur abwarten, bis die ideologisch heterogene Dreier-Koalition eher früher als später an den nicht geringer gewordenen Herausforderungen zerbricht.
Wie hält es SPÖ mit FPÖ?
Genau diese Gefahr sieht der burgenländische Landeshauptmann, der gestern mit Verweis auf die desaströse Performance der deutschen Ampel vor einer Dreier-Koalition warnte und für den Gang in die Opposition plädierte. In der Person Hans-Peter Doskozils zeigt sich, dass nicht nur die ÖVP vor diesem AfD-Dilemma steht. Der rote Landeschef befürchtet, dass die Brandmauer gegen die FPÖ nur deren Opfermythos stärkt. Sogar einen Regierungsbildungsauftrag an die Freiheitlichen, denen er gestern ausdrücklich zum Wahlsieg gratulierte, hält er für demokratiepolitisch geboten. Auch die Position des Ersten Nationalratspräsidenten, welcher der stärksten Fraktion gemäß Usance, wenn auch nicht per Gesetz zusteht, sollte die FPÖ besetzen dürfen.
Doskozil hat schon einmal bewiesen, dass die Einbindung der Rechtspopulisten die SPÖ nicht in den Abgrund führen muss. Er regiert im Burgenland seit 2020 mit absoluter Mehrheit, davor hatte er mit der FPÖ koaliert. Im Jänner steht die nächste Landtagswahl an. Und Doskozil macht sich keine Illusionen. Der gegenwärtige Trend wird die FPÖ stärker machen, sprich die absolute SPÖ-Mehrheit im Burgenland bald dahin sein. Dann stellt sich nicht nur in Eisenstadt für die Genossen die Frage: Brandmauer oder doch (wieder) mit den Rechtspopulisten?
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