Zehn Jahre FLAC / Christophe Reitz: „Mit Applaus bezahlst du keine Miete“
Die „Fédération luxembourgeoise des auteurs et compositeurs“ (Flac) wird zehn, doch haben sich die Umstände der Musiker*innen seitdem verbessert? Verbandspräsident Christophe Reitz im Gespräch.
Bemalte Wände weisen den Weg zu Christophe Reitz’ Studio im Keller des Escher Kulturzentrums „Bâtiment 4“: Hier arbeitet der Präsident der „Fédération luxembourgeoise des auteurs et compositeurs“ (Flac) und Musiker (u.a. E-Violine) seit 2022. Zum Gespräch mit dem Tageblatt nimmt Reitz auf einer der farbigen Bänke vor dem Gebäude Platz. Zum Zischen vorbeifahrender Züge blickt er auf die Gründung der Flac im Jahr 2014 zurück.
Die Initiative ging damals von Komponist*innen aus der Klassik, der Filmmusik, dem Pop, Rock, Electro und dem Metal aus – es fehlte allen an Zusammenhalt in der Szene. Heute zählt die Flac rund 100 Mitglieder verschiedener Genres. „Manche Musiker bleiben Einzelkämpfer und das ist in Ordnung“, sagt Reitz, „doch ohne die Flac hätten wir gewisse Meilensteine nicht erreicht.“ Er verweist auf die Tarifempfehlungen für klassische Kompositionen und somit auf eine der anhaltenden Kernforderungen der Flac: die faire Bezahlung der Komponist*innen.
Chronisch unterbezahlt
Die Tarife richten sich nach europäischen Mittelwerten. So schlägt die Flac mindestens 475 Euro pro Minute für eine Komposition für ein bis zwei Instrumente mit Gesang vor; der Preis für ein Stück für ein Symphonieorchester sollte pro Minute 951 Euro betragen. Halten sich die Auftraggeber*innen daran? Das Kulturministerium schon, versichert Reitz.
Ansonsten seien die Verhandlungen oft zäh, auch weil die Kulturschaffenden ihre Arbeit unter Wert verkaufen würden. „Wir verbieten niemandem für einen Drittel unserer Tarifempfehlungen ein Stück zu komponieren – am Ende versuchen wir alle nur zu überleben“, sagt Reitz. „Es ist dennoch kontraproduktiv, wenn wir das Bewusstsein für unsere Situation wecken wollen.“ Freischaffende Künstler*innen seien selbständige Betriebsleiter*innen, die Abgaben und Steuern bezahlen müssten. „Oft hilft es, den Auftraggebern das vor Augen zu führen, um unsere Preise zu rechtfertigen.“
Als freischaffender Musiker gelten Sie hier als arbeitslosMusiker
Reich würden Komponist*innen von ihrer Musik in Luxemburg nicht. Reitz spricht gar von chronischer Unterbezahlung. Er selbst komponiert und tritt auf, um über die Runden zu kommen. Die Einnahmen durch Streamingdienste seien gering, die Auftrittsmöglichkeiten begrenzt. Noch dazu sei Luxemburg ein teures Land, in dem vor allem auf dem Immobilienmarkt auf finanzielle Garantien gesetzt werde. „Mit Applaus und Facebook-Likes bezahlst du weder deine Miete noch stotterst du einen Kredit ab“, scherzt Reitz und berichtet von schlechten Erfahrungen bei der Wohnungssuche.
Auch am Bankschalter sind Likes und Ruhm kein Garant. 2017 – Reitz war erst wenige Monate selbstständig – wollte er das Limit seiner Visakarte im Zuge einer beruflichen Reise erhöhen, da er die Kosten vorstrecken musste. „Der Angestellte hat meine Anfrage abgelehnt mit dem Kommentar: ‚Als freischaffender Musiker gelten Sie hier als arbeitslos‘“, erinnert Reitz sich.
„The musicians aren’t alright“
Finanzielle Unsicherheiten würden sich nicht zuletzt auf die mentale Gesundheit der Kulturschaffenden auswirken. Generell steht es schlecht um die Psyche vieler Künstler*innen, wie mehrere Studien bezeugen – um nur ein Beispiel zu nennen: 2021 veröffentlichte das französische „Institut de soin et d’accompagnement pour les artistes et techniciens“ Zahlen, nach denen 72 Prozent der befragten Künstler*innen depressive Symptome aufzeigten; sieben Prozent bezeichneten diese als stark. Frauen sind öfter (77 Prozent) davon betroffen als Männer (62 Prozent). „Es geht den wenigsten Musikschaffenden gut“, bestätigt Reitz. Im Sektor werde jedoch selten darüber gesprochen, auch weil es sich am Ende um individuelle Probleme handele.
Allgemein sei es im Musikgeschäft hilfreich, sich auf einen Verband stützen zu können. Als Einzelperson könne man wenig Druck auf die Politik ausüben; wichtige Themen gingen so teilweise unter. Die bestehenden Kulturverbände in Luxemburg arbeiten laut Reitz punktuell zusammen. Sie berieten sich als „Union luxembourgeoise des associations du secteur culturel“ (Ulasc) etwa zur Überarbeitung des Status freischaffende Künstler*innen. Die ehemalige Kulturministerin Sam Tanson („déi gréng“) schloss dieses Dossier 2022 ab.
Mehr Musik aus Luxemburg
Die Flac müht sich jedoch nicht ausschließlich an der Politik ab – es geht ihr auch um Inhalte. „In den nationalen Konzerthäusern fehlt es an Kompositionen aus Luxemburg“, bedauert Reitz. Das Argument, nur internationale Stars würden die Ränge füllen, lässt er nicht durch. „Ein privates Konzerthaus mag sich um die Einnahmen sorgen“, so Reitz, „im Gegensatz zu staatlichen Kulturinstitutionen. Konzerthäuser, die mit öffentlichen Geldern finanziert werden, sollten der hiesigen Kulturszene einen Dienst erweisen.“ Darüber hinaus erfüllten sie einen Bildungsauftrag und sollten das Publikum an weniger bekannte sowie lokale Kompositionen heranführen. „Ich bin überzeugt, dass niemand den Konzertsaal verlassen und schimpfen würde ‚Lëtzebuergesch Kompositiounen? Dat war ënnert aller Klarinett!‘“, meint Reitz.
Ich bin überzeugt, dass niemand den Konzertsaal verlassen und schimpfen würde ‚Lëtzebuergesch Kompositiounen? Dat war ënnert aller Klarinett!‘Musiker
Ähnliches betreffe das Repertoire, mit dem beispielsweise das „Orchestre philharmonique du Luxembourg“ toure – dort fehle es ebenfalls an luxemburgischen Kompositionen. „Die offizielle Zeremonie an Nationalfeiertag sollte nicht die einzige Gelegenheit sein, luxemburgische Kompositionen vorzutragen“, kritisiert Reitz. Das zeuge von einem Misstrauen gegenüber der nationalen Musikszene – und das mindere das Selbstvertrauen der Musiker*innen.
„Der Aufbau einer professionellen Musikindustrie in Luxemburg ist in aller Munde – statt diesen künstlich durch die Vergabe von Stipendien und Aufträgen durch das Kulturministerium anzukurbeln, braucht es einen Markt, der nach dem Prinzip Nachfrage/Angebot funktioniert“, sagt Reitz. Als Beispiel nennt er die Ausschreibung von Soundprojekten. Derzeit würden Marketingfirmen für einen Spottpreis Musik auf großen Plattformen einkaufen, statt Kompositionen in Auftrag zu geben. Letztere würden Autor*innenrechte einbringen, die eine nachhaltige Einnahmenquelle für die Kulturschaffenden darstellen.
Die Flac hat also auch die nächsten zehn Jahre alle Hände voll zu tun – vor allem, weil viele ihrer Forderungen noch nicht umgesetzt wurden. „Wir setzen unsere Arbeit fort und bemühen uns, unsere Mitglieder und andere Musiker über ihre Rechte sowie ihre Möglichkeiten zu informieren“, verspricht Reitz.
Ein erstes Treffen mit dem Kulturminister Eric Thill (DP) habe bereits stattgefunden, doch diente dieses eher dem Kennenlernen. Ihren Forderungskatalog an die Politik hat die Flac im Zuge der vergangenen Parlamentswahlen 2023 formuliert. „Der Katalog ist keine Momentaufnahme“, betont Reitz. „Er enthält Forderungen, die uns schon lange am Herzen liegen.“ Doch was stellt die Flac in den kommenden zehn Jahren vor neue Herausforderungen? Reitz überlegt nicht lange und erwähnt den Einsatz künstlicher Intelligenz im Kulturbereich.
„Wir sollten positiv an die Sache herangehen“, sagt er. „Auch im klassischen Bereich gibt es Musiker, die experimentell arbeiten und auf neue Technologien zurückgreifen. Sie sitzen nicht in ihrem Elfenbeinturm und komponieren im Kerzenlicht Stücke für Adelige.“ Umso wichtiger sei es, Fragen nach den Autor*innenrechten zu klären und die rechtlichen Rahmenbedingungen zeitnah klar zu definieren. „Luxemburg darf das nicht versäumen“, warnt Reitz. „Es wäre ungünstig, KI-Firmen ins Land zu locken, ohne die Auswirkungen für den Kultursektor mitzudenken.“
10 Jahre Flac im Ariston
Die Feier zum 10. Jubiläum der Flac findet am 19. September ab 19:45 Uhr im Escher Ariston (9, rue Pierre Claude, L-4063 Esch-sur-Alzette) statt. Auf dem Programm stehen u.a. Konzerte: Das Ensemble United Instruments of Lucilin spielt Werke luxemburgischer Komponist*innen; ein Ensemble für moderne Musik rund um die Sänger*innen Josh Island und Priscila Da Costa trägt Stücke der Flac-Mitglieder vor. Es folgt ein Empfang in musikalischer Begleitung eines Jazz-Ensembles, zusammengestellt von Pol Belardi. Eine Anmeldung via flac.lu ist erforderlich.
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