Ukraine / Chronik einer Hilfsaktion: 1.500 Kilometer für Spenden aus Luxemburg
Noch vor kurzem war die Welt für Olga Denkovych (30) in Ordnung. Da kamen sie und ihr Mann aus Lwiw (Ukraine) von einem Besuch bei der Familie zurück. Etwas mehr als zwei Wochen später ist nichts mehr so, wie es war. Krieg bricht aus. Beide arbeiten seitdem unter Hochdruck daran, Hilfsgüter für ihre Landsleute zu organisieren. Von einer Garage im deutschen Nittel (D) sind die Spenden aus Luxemburg seit Dienstagabend Richtung Ukraine unterwegs. Chronik einer „Mission possible”.
Montag, 7.3.2022, 14.30 Uhr: Olga Denkovych landet auf dem Flughafen Charleroi (B). Die ukrainischstämmige Trainerin für rhythmische Gymnastik kommt aus Budapest (Ungarn) zurück. Dorthin hat sie Mädchen aus Frisingen zum Tavaszi Kupa 2022, einem internationalen Wettbewerb für die Sportart, begleitet. Acht Medaillen haben die Luxemburgerinnen abgeräumt. Die Freude ist kurz.
Etwa zur gleichen Zeit räumt ihr Mann Taras (31) in Frisingen Sachspenden aus Luxemburg für die Ukraine in seinen Pkw und den Anhänger. Er will alles in eine Garage im direkt an der Mosel gelegenen Nittel (D) bringen. Der Ehemann der Chefin seiner Frau hat sie zur Verfügung gestellt. Seit 2018 trainiert Olga, eine gelernte Sportlehrerin, vier Mädchengruppen in der „Aspelt Gym Academy“. Als der Krieg losbricht, mobilisiert ein Post in der Elterngruppe von Olgas Schülerinnen in Frisingen (L) eine Welle der Hilfsbereitschaft in der Gemeinde und Umgebung.
18.00 Uhr: Nur eine Stunde, nachdem Olga mit ihren Schützlingen in Luxemburg angekommen ist, macht sie sich auf den Weg nach Nittel. Währenddessen ist Yaroslav (41) mit einem leeren Lkw nach 27 Stunden Aufenthalt auf einem Parkplatz in Deutschland wieder auf der Autobahn unterwegs, ebenfalls Richtung Nittel. Der ukrainische Berufskraftfahrer hat das sonntägliche Fahrverbot für Lkws in Deutschland einhalten müssen.
18.30 Uhr: Viele der Desinfektionsmittel, Kompressen, Medikamente, Erste-Hilfe-Kits, Bekleidung, Hygieneartikel und Nahrungsmittel sind schon in Dutzende von Pappkartons verpackt und stehen in der Garage. „Medizinsachen“, steht in kyrillischen Buchstaben auf Ukrainisch auf einem. Die Etikettierung läuft handschriftlich. Andere Spenden in Plastiksäcken warten noch darauf, sortiert und verpackt zu werden. Der Krieg hat nicht nur das Paar völlig überrascht. Ahnen hätte man es können. „Eigentlich befinden wir uns seit dem Einmarsch auf der Krim im Krieg“, sagt Ehemann Taras zwischen zwei Kartons hindurch. „Aber das, was jetzt passiert, damit haben wir nicht gerechnet.“
Dienstag, 8.3.2022, zwei Uhr nachts: Nach sechs Stunden unter Neonlicht heißt es: Geschafft! Alles ist verpackt und fertig für den Transport. Olga und ihr Mann fahren zurück nach Luxemburg. Beide haben Familie in Lwiw. Es ist ihre Heimatstadt. Dort soll der Lkw die Spenden abliefern, um sie auf kleinere Transporter Richtung umkämpfte Gebiete zu verteilen. Das wird von Koordinatoren der 700.000 Einwohner (Stand 2017) zählenden Stadt, die nur 100 Kilometer von der polnischen Grenze entfernt liegt, gemacht. „Mit einem großen Lkw kann man nicht in die Städte unter Beschuss fahren“, sagt Olgas Mann. Er hat vor gut einer Woche den ersten, viel kleineren Transport mit Spenden in einem Lieferwagen selbst hingefahren. Er hat rund 15 Stunden gebraucht.
6.30 Uhr: Der Lkw trifft endlich in Nittel ein. Olga und ihr Mann sind wieder zur Stelle. Er wird beladen. „Ich kann jetzt sogar Gabelstapler fahren“, sagt Taras. Palettenweise kommen die Sachen im Laderaum unter.
12.00 Uhr: Fertig. Der Frachtraum ist voll. Fahrer Yaroslav ist hundemüde, schließlich ist er seit Freitagnachmittag 14.00 Uhr unterwegs. Das sind 54 Stunden insgesamt. Da er Reservist ist, gab es schon lange Wartezeiten an der Grenze zwischen Ukraine und Polen. „Die Regeln hatten sich gerade wieder geändert“, sagt der Lkw-Fahrer, der sonst in den Niederlanden, Tschechien, Deutschland, Polen oder der Ukraine selbst unterwegs ist. Er muss schlafen, essen, duschen. Olga und ihr Mann nehmen ihn nach Luxemburg mit.
18.00 Uhr: Yaroslav hat ein paar Stunden schlafen können und will los. Er lässt schon mal den Lkw an, der brummelnd und tuckernd seinen Motor auf Temperatur bringt. Es riecht nach Diesel. Zeit für eine letzte Papierkontrolle. „Das muss alles exakt ausgefüllt werden“, seufzt Olga. „Wir mussten alles auflisten, inklusive der jeweiligen Mengen“. Sie wirkt abgekämpft und müde. Als alles zu stimmen scheint, nimmt Yaroslav sich Zeit für ein Foto. Natürlich muss die kleine ukrainische Flagge mit aufs Bild, die sonst über dem Armaturenbrett thront.
Rund 1.500 Kilometer liegen vor ihm. Er will so schnell wie möglich die ersten viereinhalb Stunden der langen Fahrt antreten. Danach muss er seine Pause einhalten, um die nächste Etappe in Angriff zu nehmen. Er hofft, am späten Donnerstagabend in Lwiw mitsamt seiner Fracht anzukommen. Noch gibt es keine Kampfhandlungen dort, aber dafür mittlerweile viele Flüchtlinge. Die Vereinten Nationen sprechen von rund 1,5 Millionen Menschen, die aktuell unterwegs sind, um die Ukraine zu verlassen. Polen ist ein Ziel vieler.
18.45 Uhr: In Nittel gibt es ein letztes Winken, und los geht es. So wie es gerade aussieht, wird es nicht der letzte Transport bleiben …
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