/ Chroniken aus Luxemburg: Historiker Denis Scuto liefert „subjektiven Blick“ auf unsere Geschichte
Er prägt seit Jahren den öffentlichen Diskurs: Denis Scuto hat sich innerhalb von 30 Jahren vom Libero zum Zeithistoriker der Nation entwickelt. Nun hat er Chroniken zwischen 2015 und 2019 in einem Buch publiziert, die einen anderen Blick von Luxemburg liefern sollen.
Seit fast 25 Jahren pflegt Denis Scuto ein Ritual. Wenn er zu Semesterbeginn auf seine Studenten trifft, stellt er ihnen stets die gleiche Frage: „Was ist Geschichte?“ Er gibt ihnen mehrere Minuten Bedenkzeit und lässt sie vortragen. „Die Antworten sind nahezu immer gleich“, so Scuto. Geschichte sei Vergangenheit, eine Ansammlung von Dingen, die passiert sind, Geschichte liegt im Gestern.
Alles kluge Gedanken, aber es ist nicht das, worauf der Zeithistoriker der Universität Luxemburg hinaus will. Denn Geschichte ist für ihn kein abgeschlossener Prozess, kein Synonym für Vergangenheit. Sondern es ist vielmehr der Versuch, das Gestern aus dem Blickwinkel der Gegenwart zu rekonstruieren.
Die entscheidende Frage
„Geschichte ist eine Interpretation der Vergangenheit.“ Sie liegt im Auge des Betrachters und variiert auch mit dem Betrachter. „Deshalb“, so die Pointe des Historikers, „rate ich meinen Studenten stets: Fragen Sie nicht nach dem Inhalt eines Textes, sondern zuerst nach dem Autor: Wer hat ihn geschrieben?“
Diese Anekdote aus dem Innenleben eines historischen Seminars gilt gleichermaßen auch für das neue Werk des Historikers: „Une histoire contemporaine du Luxembourg en 70 chroniques“. Denn auch hier steht die Frage nach dem Autor vor dem Inhalt. „Es ist ein subjektiver Blick eines Historikers auf Aktualitätsthemen mit Rückgriff auf die Geschichte“, sagt Scuto dazu.
Kurze Essays mit klaren Thesen
Tatsächlich prägt Scuto seit fast 30 Jahren den historischen Diskurs des Landes. Er stößt Debatten an, lässt Thesen der Kollegen selten unkommentiert und ist damit ein belebendes Element für den öffentlichen Austausch. Scuto hat sich gewissermaßen vom Libero der Nation zum Zeithistoriker der Nation entwickelt. Das gesteht auch neidlos Andreas Fickers, der Direktor des Instituts für zeitgenössische und digitale Geschichte (C2DH). „Er ist first in command, was Zeitgeschichte in Luxemburg anbelangt.“ Scuto entspricht damit dem Typus des öffentlichen Intellektuellen, der sich nicht nur im akademischen Elfenbeinturm versteckt, sondern in der Öffentlichkeit nach Deutung ringt.
Das neue Werk ist ein Beleg für sein Profil als „public intellectual.“ Es sind Chroniken aus den Jahren 2015 bis 2019, die allwöchentlich auf Radio 100,7 sowie im Tageblatt publiziert worden sind. Die Themen reichen von historischen Gedenktagen Luxemburgs über die Geschichte der Arbeiter- oder Fußballkultur hin zu Jean Asselborns rühmlichen „Merde alors!“. Themen, die an der Tagesordnung standen und die Scuto durch die historische Linse analysierte und kommentierte: kurze Essays mit klaren Thesen fernab von fachhistorischem Jargon. Die Chroniken sollten und sollen die breite Öffentlichkeit erreichen und eben nicht nur die Kollegen der historischen Seminare.
Historiker durch politischen Aktivismus
Das 700-seitige Werk ist deshalb aus zwei Gesichtspunkten interessant: Es liefert Einblicke in 200 Jahre Luxemburger Geschichte. Es hangelt sich an sozialen Bewegungen, vergangenen Debatten oder großen Daten entlang und scheut nicht davor zurück, Kritik an überkommenen Geschichtsbildern oder politischem Handeln zu liefern. Gleichzeitig ist es auch eine Chronik Luxemburgs der vergangenen fünf Jahre. „Der Zeithistoriker ist immer Zeitzeuge und Forscher zugleich“, sagt C2DH-Direktor Andreas Fickers dazu treffend.
Es sind demnach Deutungsmuster und Weltsicht von Denis Scuto selbst, die klar zum Vorschein kommen: „Ich bin Historiker geworden, weil ich ein politisch aktiver Menschen bin.“ Dieser Hang zum Aktivismus zieht sich wie ein roter Faden durch seine Chroniken. Am C2DH tuscheln manche Historiker gelegentlich, dass sie sich von Denis Scuto mehr Forschung als Meinung wünschen würden. Doch Scuto befriedigt seit Jahren erfolgreich ein Bedürfnis im öffentlichen Raum: Komplexe Sachverhalte einfach zu erklären.
Denis Scuto: „Une histoire contemporaine du Luxembourg en 70 chroniques“. Fondation Robert Krieps. 678 Seiten. 45 Euro.
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Ich finde es gut, dass Herr Scuto einige luxemburgische Säulenheilige vom Sockel geholt hat und etlichen anderen am Zeug flickte.
Zu lange herrschte eine blinde , verordnete Idolatrie gegenüber selbsternannten Helden und Heiligen.