Russland überfällt die Ukraine / Chronologie: Daniel M. Porcedda berichtet über den ersten Kriegstag in Kiew
Die Situation sei verworren, Meldungen oft schwer zu deuten, sagt der 63-jährige Daniel M. Porcedda am späten Donnerstagnachmittag. Der gebürtige Escher lebt und arbeitet seit fast 24 Jahren in Kiew (siehe Tageblatt vom 24. Februar). Die Entwicklung in der Ostukraine und Putins Drohgebärden beobachtet er seit langem – mit Sorge. In unserem Gespräch am Mittwoch war der Luxemburger noch nicht davon ausgegangen, dass der Krieg so schnell an die ukrainische Hauptstadt rankommen würde. Am Donnerstag überschlugen sich die Ereignisse. Die Chronologie eines Kriegstages.
Früher Donnerstagmorgen: Um 6.14 Uhr unserer Zeit schreibt Daniel M. Porcedda eine erste SMS: „Hallo. Wir haben in Kiew nach 5 Uhr in der Früh Explosionen gehört und packen eben das Nötigste, für den Fall einer Evakuation. Der ukrainische Präsident hat eben das Kriegsrecht ausgerufen. Alles Gute und hoffentlich verläuft das hier mehr oder weniger glimpflich.“
Etwas später folgt eine zweite SMS: „Es kann sein, dass wir zwischen 12 und 14 Uhr nach Lemberg (Lwiw), evakuiert werden, sofern wir es schaffen, zu einem Sammelpunkt zu kommen, denn wir haben kein Fahrzeug. Die Evakuierung wird vom Arbeitgeber meiner Frau, einer Anwaltskanzlei, organisiert.“ Zu dem Zeitpunkt, also zwischen sechs und sieben am Donnerstagmorgen, habe es danach ausgesehen, als ob die meisten Bürger noch nichts mitbekommen hätten, sagt der Luxemburger später am Morgen. „Kein Chaos auf der Straße, normaler Verkehr. Ich weiß nicht, ob Geschäfte geschlossen werden müssen. Wir verfolgen die aktuellen Meldungen des Präsidenten und des Bürgermeisters von Kiew. Es heißt hier, wenn wir eine Sirene hören, sollten wir uns in einen Bunker begeben. Bei uns in der Nähe gibt es zwei, aber für die paar tausend Menschen, die hier leben, reicht das nicht. Wir packen gerade fertig und warten auf Anweisungen.“
„Bewahren Sie die Ruhe“
Gegen halb acht ist Daniel telefonisch zu erreichen. Die Evakuierung nach Lemberg ist da bereits hinfällig. Die Stadt, die 70 Kilometer von der polnischen Grenze entfernt liegt, sei nicht sicher, sagt er, weil die weißrussischen Truppen, die sich den Russen angeschlossen hätten, rasch in Lemberg sein könnten. „Von daher macht es kaum einen Unterschied, ob Kiew oder Lwiw. Es wäre wohl jetzt auch gefährlicher, eine lange Fahrt über die Straße zu nehmen, als hier zu Hause abzuwarten.“ Zudem habe er eine Nachricht von der belgischen Botschaft in Kiew bekommen. Diese vertritt, im Rahmen eines EU-Abkommens, auch Luxemburg, da das Großherzogtum über keine eigene diplomatische Vertretung verfügt. „Bitte bleiben Sie in Kiew, bleiben Sie in ihrem Haus – halten Sie sich am sichersten Ort der Wohnung auf und bewahren Sie die Ruhe“, lautet die Mitteilung.
„Wir bewahren die Ruhe“, sagt Daniel am Telefon. „Aber wir sind trotzdem unruhig.“ In den nahe seiner Wohnung gelegenen kleinen Supermarkt ist er trotzdem gegangen. „Da waren mehr Leute als üblich, aber keine Panik, es wurde auch mehr eingekauft als üblich, aber keine Hamsterkäufe.“
Anruf von Asselborn
Zu den am frühen Morgen gehörten Explosionen sagt der Luxemburger, der mit seiner Frau Veronika und deren Tochter etwas außerhalb von Kiew lebt, dass es sich Fernsehmeldungen zufolge um Drohnenangriffe gehandelt haben soll. Im Verlaufe des Tages präzisiert Daniel, dass es, laut Armee-Mitteilung, ukrainische Drohnen gewesen seien, welche russische Raketen abgeschossen hätten. Zehn Raketen seien unschädlich gemacht worden. Russische Raketen, die Richtung Kiew abgefeuert wurden. „Wir bleiben in Kontakt“, schreibt Porcedda.
Seit den Morgenstunden bleibt die Lage angespannt. Gegen Mittag teilt der 63-Jährige mit, dass sich der Luxemburger Außenminister bei ihm gemeldet habe. Jean Asselborn sei sehr freundlich und einfühlsam gewesen, er habe wissen wollen, wie es geht, er habe um eine Einschätzung der Lage gebeten und er habe Mut zugesprochen.
Sorgen um den Vater
Zu dem Zeitpunkt hat auch Thierry Porcedda längst Kontakt zu seinem Vater aufgenommen. Thierry, 36, der in Luxemburg einigen als „TAP“ bekannt ist (Thierry A. Porcedda), wohnt mit seiner Lebensgefährtin auf Belval. Als Leader seiner Band Atomic Rocket Seeders war er letzten Freitag übrigens in der RTL-Sendung „Live Planet People“ eingeladen. Ein sympathisch wirkender Mann, seinem Vater nicht unähnlich.
Auf die Frage, wie es ihm geht, wirkt Thierry A. Porcedda gefasst: „Na ja, ich bin nicht sonderlich gut drauf, aber es geht. Es ist natürlich eine heikle Situation. Niemand hätte das erwartet. Das Problem ist auch, dass man nicht genau weiß, was passiert ist und was alles stimmt von dem, was erzählt wird. Es muss aber klare Position bezogen und der Sache ein Ende bereitet werden. Die Ukraine ist schon ein spezielles Land. Ich hoffe das Beste und behalte die Lage im Auge.“ Natürlich mache er sich Gedanken, Sorgen um seinen Vater und, keine Frage, natürlich würde er ihn und seine Familie aufnehmen, sollten diese nach Luxemburg zurückkommen. „Das sollten sie eigentlich auch so schnell wie möglich machen.“ Mehr kann der 36-Jährige zur Stunde nicht für seinen Vater tun. Stattdessen kümmert er sich um dessen Mutter, seine Großmutter.
Segen des Patriarchen
Zurück nach Kiew. Um 15.33 Uhr schreibt Daniel M. Porcedda: „Fliegeralarm, wir müssen raus aus der Wohnung!“ Dann Funkstille.
Am späteren Nachmittag – in Kiew ist es eine Stunde später als in Luxemburg – ist der Luxemburger wieder telefonisch zu erreichen. Sein Lachen hat er nicht verloren. „Wir machen uns nicht vor Angst in die Hose, aber wir sind ganz klar beunruhigt.“ Er versuche entspannt zu bleiben, so wie scheinbar auch die Menschen in seiner direkten Nachbarschaft. Der Fliegeralarm sei ein Fehlalarm gewesen, sagt er. „Ohnehin ist es unmöglich, alle hier lebenden Menschen in den beiden verfügbaren Bunkern unterzubringen.“ Die Situation sei verworren, die Meldungen schwer zu deuten, es fehle an klaren Signalen.
Er und seine Frau verfolgen die Nachrichten. Veronika, die promovierte Philologin ist und vier Sprachen – Ukrainisch, Russisch, Englisch und Deutsch – versteht und spricht, übersetzt, wenn nötig. „So gelangen wir an viele Informationen, auch wenn alles sehr verworren ist“, sagt der 63-Jährige.
Besonders betrübt habe sie am Donnerstag, dass der Patriarch der Russisch-Orthodoxen Kirche Putins Truppen den Segen für den Kampf gegen die Ukraine gegeben habe. „Eine Schande, kein Segen.“
Gegen 21.30 Uhr in Kiew. Vereinzelt seien Explosionen zu hören, sagt Daniel M. Porcedda am Telefon. Wo genau sei nicht auszumachen. Was die Nacht bringe, wisse man nicht. „Womöglich wenig Schlaf.“ Die Koffer sind jedenfalls gepackt.
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