Pädagogische Schwerpunkte / Claude Meisch über die „Rentrée“: „Eigentlich ein historischer Moment“
Am Donnerstag, ein paar Tage vor der „Rentrée“, stellte Bildungsminister Claude Meisch die pädagogischen Schwerpunkte für das neue Schuljahr vor. Im Mittelpunkt stehen das Wohlbefinden der Schüler und die Zukunftschancen. Letztere beinhalten nicht nur die neuen digitalen Kompetenzen.
Das neue Schuljahr soll nicht nur von Corona geprägt werden. Das stellte Bildungsminister Claude Meisch am Donnerstag vor versammelter Presse im Escher Lycée Hubert Clément klar. Die Nachteile, die das Virus in vielen Sparten mit sich gebracht hat, versucht sich der Minister zunutze zu machen. „Man könnte es auch umgekehrt sehen. Viele gesellschaftliche Entwicklungen, technologische Umbrüche und wirtschaftliche Veränderungen wurden beschleunigt.“ Dies stelle uns nun vor zwei große Herausforderungen im Bildungswesen.
Meisch zählt die zwei pädagogischen Schwerpunkte auf, die das neue Schuljahr prägen sollen. Einerseits nennt der Minister das Wohlbefinden der Kinder und Jugendlichen. Dieses hänge sehr stark mit der Corona-Krise zusammen. „Nun ist der Moment, in dem wir ihnen genauso viel zurückgeben können“, sagt Meisch. Andererseits nennt er auch den Begriff Zukunftschancen. Er erklärt, dass es hierbei wichtig sei, mit der gesellschaftlichen und technologischen Entwicklung Schritt zu halten. Sein Argument: „Wenn die Gesellschaft immer schneller dreht, dann muss die Schule ebenfalls Tempo aufnehmen.“ Er sagt: „Wenn wir hier nicht gut aufpassen, dann riskieren wir, dass Kinder und Jugendliche auf der Strecke bleiben.“
Wir kippen einen Graben zu, einerseits zwischen der technologischen und der gesellschaftlichen Entwicklung, andererseits zwischen der Schule und dem BildungswesenBildungsminister
„Bei dieser ‚Rentrée’ gibt es eigentlich einen historischen Moment“, so der Minister. Damit meint er nicht das Coronavirus, sondern die digitalen Kompetenzen, die ab dem 15. September Einzug in den Stundenplan der Luxemburger Grundschulen finden. „Wir kippen einen Graben zu, einerseits zwischen der technologischen und der gesellschaftlichen Entwicklung, andererseits zwischen der Schule und dem Bildungswesen.“
Der historische Moment komme daher, weil bislang informatische Kompetenzen und Kenntnisse höchstens in spezialisierten Klassen vermittelt wurden. Dennoch würde jeder ganz selbstverständlich im Alltag und Berufsleben digitale Werkzeuge einsetzen. Vor allem in der Arbeitswelt dominiere das Digitale sehr stark. In den nächsten Jahren werde es das Berufsleben nochmals komplett revolutionieren, so Meisch weiter. Auch sei es wichtig, die Heranwachsenden mit Fragen zu konfrontieren, wie wir darauf reagieren sollen, wenn Künstliche Intelligenz weiter auf dem Vormarsch ist. „Gibt der Mensch oder die Maschine den Ton an?“
Im Zyklus 4 der Grundschule wird in diesem Schuljahr das Coding eingeführt. „Auf spielerische Art, altersgerecht und zum größten Teil ohne Bildschirm oder Computer“, erklärt Meisch. Es gehe darum, die Grundprinzipien der Algorithmen zu verstehen und dadurch ein Verständnis für die digitale Welt zu entwickeln. Phase zwei wird ab dem Schuljahr 2021/2022 starten. Dann wird das Coding auch in den anderen Zyklen eingeführt. Im selben Jahr soll in den Sekundarschulen ein neues Fach unterrichtet werden, welches den Schülern das Grundverständnis der digitalen Welt näherbringen soll. Das Schulfach soll zuerst in den untersten Stufen der Lyzeen eingeführt und dann schrittweise erweitert werden.
Das zeigt, dass wir auch im Covid-Jahr die Möglichkeit haben, fundamentale Schritte in Richtung Modernisierung unserer Bildungslandschaft zu gehenBildungsminister
Förderung des Digitalen und Gefahren im Netz
Meisch sagt zu den Ankündigungen: „Das zeigt, dass wir auch im Covid-Jahr die Möglichkeit haben, fundamentale Schritte in Richtung Modernisierung unserer Bildungslandschaft zu gehen.“ Bei diesen Neuerungen soll das Lehrpersonal nicht auf sich alleine gestellt sein. Deshalb wurden 15 in den digitalen Kompetenzen spezialisierte Lehrer rekrutiert, einer pro Grundschul-Region. Sie sollen den Lehrern beistehen, den neuen Stoff einzuführen.
Der Bildungsminister sieht die Förderung der digitalen Kompetenzen bei jungen Menschen keineswegs im Gegensatz zu der Warnung an die Eltern, ihren Nachwuchs nicht zu lange vor einen Bildschirm zu setzen. Ersteres fördere das algorithmische Denken, Letzteres nicht. Auch die Form des Kontakts zu sozialen Medien sollte stets hinterfragt werden.
Das Jahr 2020 nennt Meisch das Jahr der digitalen Bildung. „Wir haben sehr viele Initiativen genommen, die wir auf unterschiedlichen Stellen unseres Bildungswesens einführen werden.“ Dazu gehören rund zwanzig neue Lernmaterialien, die an die Schulen weitergegeben werden. Nun werden auch digitale Versionen mitgeliefert. Die Erfahrungen des Distanzunterrichts während des Lockdowns hätten nun Pilotprojekte ins Leben gerufen, die das sogenannte „blended learning“ applizieren werden. Schüler werden autonomer über den digitalen Weg lernen und Lehrer fungieren dabei als „Coach“, um die Materie zu vertiefen.
Meisch nennt weitere digitale Neuerungen. So soll das Erlernen der Luxemburger Sprache nun auch online möglich sein. Entsprechende Werkzeuge würden über das „Institut national des langues“ (INL) ins Netz gestellt. Auch werde die Plattform schouldoheem.lu weiterentwickelt werden. So sollen Schüler und Lehrer auch auf Distanz stets Zugang zu Lernmaterial haben. Zudem soll eine digitale Lernplattform entstehen, die nicht nur von Schulen, sondern von der ganzen Gesellschaft genutzt werden kann.
Die Ausbildung der Lehrer soll digitaler werden. Das Programm „one2one“ soll beschleunigt werden. Es sieht vor, dass Sekundarschüler mit iPads ausgestattet werden. Der Distanzunterricht habe gezeigt, dass dies sehr wichtig sei. Deshalb werden den Schülern nun 15.000 weitere Tablets ausgestellt. Darüber hinaus soll eine digitale Plattform geschaffen werden, um die Kommunikation mit den Eltern zu stärken. Der Bildungsminister sagt, dass der Lockdown die größte digitale Fortbildung gewesen sei. Hier habe man die digitalen Werkzeuge kennengelernt und perfektioniert.
„Université populaire“ im roten Gebäude auf Belval
Nicht digital, sondern offline wird eine neue „Université populaire“ auf Belval entstehen. „Im roten Gebäude“, präzisiert Meisch. Dort sollen 44 Ausbildungsräume zur Verfügung gestellt werden, die von den verschiedenen Akteuren der Erwachsenenbildung genutzt werden können. Weitere Ausbildungszentren nach diesem Vorbild könnten in anderen Teilen des Landes entstehen.
Das neue Schuljahr soll aber nicht nur digital werden, sondern, Meischs zweiter Schwerpunkt, den Schülern Zukunftschancen geben. Denn durch die Corona-Krise sei auch der Arbeitsmarkt stark getroffen worden. Dies wiederum habe einen Einfluss auf die Arbeitssuche von Schülern, die ihr Diplom frisch in der Tasche haben. „Die jungen Diplomierten, um die müssen wir uns speziell kümmern“, sagt Meisch.
Um die Situation der Auszubildenden zu verbessern, wurden Zuschüsse an Unternehmen vergeben, die Lehrlinge einstellen. Dies habe die Situation verbessert, sagt der Minister. Daneben wurden zusätzliche Ausbildungen in den Sekundarschulen angeboten. Dieses neue Programm heißt „Diplom+“ und richtet sich gezielt an junge Menschen mit Diplom, DAP, Technikerabschluss oder Abitur. Durch den Zusatz „+“ können sie eine weitere Ausbildung im Lyzeum dranhängen und somit später ihre Chancen auf dem Arbeitsmarkt oder bei der Anmeldung auf einer Uni bzw. Hochschule erhöhen.
Corona hat bei den jungen Menschen viele Spuren hinterlassen. Deshalb habe man für das neue Schuljahr ein ganzes Paket an Maßnahmen eingeführt, die das Wohlbefinden der Schüler steigern. Das CePAS („Centre psycho-social et d’accompagnement scolaires“) wird dazu eine Reihe von Präventionsprojekten anbieten und betreuen. Den Schulen werde ein „Werkzeugkasten“ zur Verfügung gestellt, der ganz unterschiedliche Themen behandelt: Suizidprävention, positives Schulklima, Drogen- und Gewaltprävention, Sexualität, mentale Gesundheit der jungen Menschen oder Benutzung der sozialen Medien. „Die Funktion jeder Bildungseinrichtung ist nicht nur die Vermittlung von Wissen und Kompetenzen, sondern auch die Unterstützung der ganzheitlichen Entwicklung junger Menschen“, so Meisch.
„Primo-arrivants“ als Schwachstelle im Bildungswesen
Der Bildungsminister sagt, dass in manchen Fällen die „Services de l’aide à l’enfance“ besser aufgestellt seien, um jungen Menschen zu helfen. Deshalb habe man nun für die Grundschulen in zwei Regionen Annäherungen zwischen den Schulen und den „Aides à l’enfance“ angestrebt. Zur Inklusion sagte Meisch, dass er froh darüber sei, zu diesem Prinzip zurückgekehrt zu sein. In der Grundschule werden zwei Posten pro Region zur Verfügung stehen.
Wir wissen, dass die Integration von Schülern, die direkt aus dem Ausland kommen, eine der Schwachstellen unseres Bildungssystems sindBildungsminister
In den Lyzeen werden 47 Posten für die „Equipes de soutien pour enfants à besoins spécifiques“ bereitgestellt mit dem Ziel, in jeder Sekundarschule ein Team von drei Posten zu haben. „Da hatten wir bislang nur Pilotprojekte, die in den vergangenen zwei Jahren angelaufen sind.“ Die Einstellungen werden bis Ende 2020 gemacht.
„Wir wissen, dass die Integration von Schülern, die direkt aus dem Ausland kommen, eine der Schwachstellen unseres Bildungssystems sind“, so der Minister. Es handelt sich dabei um die „Primo-arrivants“. Deshalb wolle man die aktuellen Prozesse und Prozeduren gründlich überarbeiten. Kurzfristig werden dem Dienst 30 zusätzliche Posten zur Verfügung gestellt, nämlich dort, wo die Orientierung der „Primo-arrivants“ erfolgt.
Meisch betont, dass die ganzen Angebote, die nun infolge der Corona-Krise geschaffen wurden, auch nach der Pandemie weiter Bestand haben müssen. „Weil sie einfach passen, zu den Schülern, zum Bildungssystem.“
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