CSV-Fraktion / Co-Präsident Gilles Roth im Interview: „Dat war einfach penibel“
Mit dem Neustart in der CSV beginnt auch für die CSV-Fraktion eine neue Ära. Die Doppelspitze ist eine Veränderung in der Partei, die nun auch Einzug in das Parlament findet: Neben der bisherigen Fraktionspräsidentin Martine Hansen wird Gilles Roth als Co-Präsident die Geschicke der Fraktion in Zukunft mitgestalten. Das Tageblatt hat mit dem CSV-Politiker über die vergangenen und zukünftigen Herausforderungen der CSV gesprochen.
Tageblatt: Die Zeichen bei der CSV stehen auf Neuanfang: Wer kam auf die Idee, die Doppelspitze auch in der Fraktion einzuführen?
Gilles Roth: Im Kontext der Reorganisation in der Partei hat Martine Hansen vorgeschlagen, die Doppelspitze auch in der Fraktion einzuführen.
Es ist also nicht gegen ihren Willen entschieden worden?
Nein, auf keinen Fall. Der Vorschlag wurde von Martine Hansen eingebracht und der wurde auf der letzten Fraktionssitzung am Mittwoch einstimmig angenommen.
Haben Sie sich auf den Posten des Co-Fraktionschefs gemeldet?
Nein, Martine Hansen hat mich vorgeschlagen.
Serge Wilmes, Gegenkandidat von Frank Engel auf dem Kongress 2019, blieb bei der Reorganisation bisher außen vor. War er nicht auch ein Kandidat für den Posten?
Nein, ich war mit Léon Gloden ja auch schon Vizepräsident der Fraktion. Zudem komme ich mit Frau Hansen menschlich auch sehr gut klar. Das passt einfach.
Sie sagen, die Wahl sei einstimmig gewesen. Waren denn auch alle Abgeordneten anwesend?
Wir haben die Fraktionssitzung per Videokonferenz abgehalten. Mit Ausnahme von Michel Wolter war jeder unserer Abgeordneten anwesend.
Mit Claude Wiseler wird wohl ein Fraktionsmitglied neuer CSV-Präsident. In der Zusammenarbeit zwischen Fraktion und Partei soll somit Ruhe gewahrt werden.
Im Anschluss an die Fraktionssitzung hat Claude Wiseler sein Team vorgestellt. Bei der Zusammenstellung wurde sehr stark auf die Parität zwischen Regionen, Alter und Geschlecht geachtet, was in der Fraktion auch gut ankam. Claude Wiseler, Martine Hansen und ich kommen zudem menschlich sehr gut miteinander klar. Jeder hat seinen eigenen Charakter mit verschiedenen Ansichten. Wichtig ist aber, dass wir uns schließlich auf einen Konsens einigen können.
Wir haben am Mittwoch gesagt, dass wir mit dem Rücken zur Wand stehen. Mit Claude Wiseler, seiner langjährigen Erfahrung und dem Team an seiner Seite geht jedoch ein Ruck durch die Fraktion, der hoffentlich auch auf die Partei überspringt. Jeder weiß, dass es fünf vor zwölf ist und jeder sich am Riemen reißen muss.
Die Fraktion steht also anders als vor zwei Jahren geschlossen hinter dem Parteipräsidenten?
Das große Problem, das in den vergangenen Jahren auf uns lastete, war, dass bei Parteimitgliedern und auch in der Presse die Partei und die Fraktion als zwei verschiedene Einheiten wahrgenommen wurden. Das ist bei anderen Parteien nicht der Fall – und ist es auch nicht in der CSV.
Der Eindruck hat sich aber in den letzten Jahren aufgedrängt …
Das ist ja genau das Problem. Ich sage das jetzt gerade raus: „Dat war einfach penibel.“ Ich musste nach den Aussagen rund um die Vermögenssteuer in Interviews andere Ansichten vertreten als die Parteileitung. Jeder darf eine persönliche Meinung haben, das ist nicht das Problem. Nach außen müssen wir aber geschlossen eine Meinung vertreten. Claude Wiseler ist Mitglied in der Fraktion, deshalb denke ich nicht, dass das noch einmal vorkommt. Es darf nicht mehr vorkommen.
Die Personalien sind mit Claude Wiseler, Martine Hansen und Ihnen als Co-Fraktionschef geklärt. Wie wird sich die CSV in ihrer parlamentarischen Arbeit künftig positionieren?
Wir sind in der Opposition, ob das einem gefällt oder nicht. Damit obliegt uns die Kontrolle der Regierung. Zusätzlich müssen wir unsere Ausrichtung künftig besser kommunizieren und alternative Vorschläge besser argumentieren. Besonders medial müssen wir stärker in Erscheinung treten. Wir haben zahlreiche Anreize in der Steuer- und Finanzpolitik, in der Umweltpolitik und auch der Gesundheitspolitik geliefert, tun uns aber schwer damit, das klarzustellen.
Ich störe mich zudem am Wort Fraktionschef. Ich denke, dass Präsident im Sinne eines „primus inter pares“ besser zutrifft, der mitorganisiert und nicht vorsteht. Wir haben in unserer Fraktion mit 21 Mitgliedern so viel Potenzial, das wir noch stärker in den Vordergrund rücken müssen. Wir sind ein Team mit viel Wissen und Erfahrung. Das müssen wir zukünftig noch stärker betonen.
Die Personalfrage scheint also geklärt. Was steht inhaltlich künftig auf dem Programm?
Die Prioritäten werden ja teilweise von der Tagespolitik bestimmt. Wir müssen uns als Opposition ja auch dazu positionieren. Mittelfristig wird aber auf jeden Fall der Neustart nach der Corona-Krise eine Rolle spielen. Neben der Gesamtstrategie der ‚Santé’ werden auf jeden Fall die wirtschaftlichen und sozialen Implikationen nach der Krise eine Rolle spielen. Besonders kleinere und mittelständische Betriebe haben zurzeit große Sorgen.
Weiterhin bereitet die Wohnungsproblematik große Sorgen. Es ist doch nicht normal, dass man mittlerweile eine Million Euro für ein Appartement von 100 Quadratmetern zahlen muss. Alleine oder mit Freundin ist das noch sehr gemütlich. Wenn dann aber noch zwei Kinder im Alter von 12 oder 13 Jahren hinzukommen, wird es eng. „Da spillt där kee Futtball do dran.“ Wenn sie den Kredit abbezahlen wollen, müssen sie während 20 Jahren 50.000 Euro für den Kredit alleine aufbringen. Ich frage mich, wie die Menschen das machen. Sie müssen ja auch leben können und haben auch das Recht, von Zeit zu Zeit Urlaub zu machen. Und genau in dem Punkt müssen wir als Opposition Alternativen aufzeigen.
Des Weiteren ist die Finanz- und Steuerpolitik ein wichtiges Thema. Wir liegen momentan bei einer Staatsverschuldung von 28 Prozent des BIP. Das klingt erst mal nicht so schlimm – jedoch können wir nicht auf eigene Faust ein Konjunkturprogramm starten, wie es zum Beispiel Deutschland eigenmächtig tun kann. Wir sind da größtenteils vom Ausland abhängig.
Sie haben die Steuerpolitik angesprochen …
Die Frage, wie die Steuerlandschaft in Luxemburg aussehen soll, stellt sich natürlich. Besonders beim Mittelstand gibt es keinen Spielraum mehr. Eine alleinerziehende Mutter in der Steuerkategorie 1A mit 4.000 Euro Bruttolohn ist mit schlussendlich 3.100 Euro netto nicht „mat Zoossissen ugestréckt“. Bei den Preisen heutzutage bleibt da nicht mehr viel zum Leben übrig. Hier muss man sich als Gesellschaft fragen, wo man mehr oder weniger belasten kann oder sollte. Wenn die Wohnungspreise – und damit auch die Mietpreise – weiterhin so steigen, bleibt bei den Kleinverdienern und auch der Mittelschicht nichts mehr übrig. Wir brauchen also eine gesamtgesellschaftliche Lösung.
Letztendlich müssen wir uns auch in der Umweltpolitik klarer positionieren. Wir wollen keine ideologische, sondern eine pragmatische Umweltpolitik betreiben. Wir müssen uns Gedanken machen, wie wir Umwelt und Wohlstand nicht gegeneinander ausspielen, sondern miteinander verbinden. Das ist ein Bereich, bei dem wir uns von den Grünen abgrenzen. Einerseits ist Umweltpolitik Teil einer breit aufgestellten Volkspartei. Andererseits haben wir den Vorteil als CSV, dass wir auch schon in besseren Zeiten vor 2017 (lacht kurz) viele Bürgermeister und Schöffen in vielen größeren Landgemeinden hatten. Wir wissen also, wie wir Umweltpolitik, die zur DNA der CSV gehört, umsetzen können.
Die Vorschläge klingen in Einzelgesprächen sehr vernünftig, am Rednerpult in der Chamber scheint die CSV das nicht umsetzen zu können.
Sie sprechen die Debatte zu den Altersheimen in der Chamber an?
Richtig.
Das Problem der Infektionscluster an sich kann man ja erst mal nicht verneinen. Ich kann dann nicht verstehen, warum die DP-Fraktion die Debatte abgewürgt hat. Warum sind die Mehrheitsparteien nicht mit auf den Weg einer komplett unabhängigen transparenten Aufklärung gegangen? Soweit ich informiert bin, hätte sich Mars di Bartolomeo (LSAP) in der Kommissionssitzung ja durchaus vorstellen können, eben diesen Weg einzuschlagen.
Insgesamt ist es aber frustrierend, mit der nicht immer begründeten 31-29 Logik der Mehrheitsparteien umzugehen. Wir haben das als CSV jedoch zu akzeptieren. Jedoch finde ich nicht, dass es im Sinne einer guten parlamentarischen Arbeit eine Schande wäre, als Mehrheit auf die Vorschläge oder Forderungen der Opposition auch einzugehen. Da müssen wir uns von beiden Seiten wieder annähern. Bei der Debatte um die Infektionscluster wurde jedoch deutlich, dass die Mehrheit es kategorisch abgelehnt hat, ehrlich und überzeugend auf eine Opposition einzugehen. Ob das im Parlament oder im Gemeinderat ist: Eine solch wichtige Körperschaft könnte eigentlich auch im Konsens zu Entscheidungen finden und sollte nicht nur eine Mehrheit für eine Regierung beschaffen. Ich vermisse ein wenig die Souveränität der Mehrheitsparteien, nicht nur aufgrund von 31 zu 29 Stimmen Projekte zu verabschieden.
Neustart in der CSV
Der ehemalige CSV-Parteipräsident Frank Engel wurde Anfang März von einigen CSV-Abgeordneten bei der Staatsanwaltschaft wegen seines Arbeitsverhältnisses im CSV-Freundeskreis angezeigt. Der CSV Freundeskreis wurde in den 80er Jahren gegründet, um eine Immobilie für die Partei anzuschaffen und als verantwortliche Rechtsperson einzustehen. Der Vorstand wurde bisher analog zur Parteileitung zusammengestellt. Nach kurzem Aufbäumen legte Frank Engel sein Mandat trotz gegenteiliger Ankündigung nieder. Seitdem versucht die CSV sich intern neu zu ordnen: Mit einem externen Finanz-Audit soll endgültig Klarheit in die Parteifinanzen gebracht werden und mit dem erfahrenen Politiker Claude Wiseler an der Spitze soll am 24. April auf dem Nationalkongress ein Neustart eingeläutet werden. Dieser wird indes von anhaltenden Störgeräuschen begleitet: So hatte Frank Engel angekündigt, eventuell eine neue Partei gründen zu wollen.
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Im Tageblatt hat die CSV mittlerweile eine Plattform, die sie einfach nicht verdient hat. Das Luxemburger Wort geht wesentlich härter mit ihr zu Gericht .