UN-Klimakonferenz / COP29: Minister Wilmes zieht Bilanz
Nach zwei Wochen zähem Ringen bei der Weltklimakonferenz in Baku, der sogenannten COP29 (der 29. Conference of the Parties), an der in der zweiten Woche auch Serge Wilmes, Luxemburgs Minister für Umwelt, Klima und Biodiversität, teilnahm, mussten die Verhandlungen noch in die Verlängerung gehen, sodass in der Nacht auf Sonntag schließlich ein Rahmen für die Finanzierung des Klimaschutzes und die Anpassung an die Klimafolgen in sogenannten Entwicklungsländern beschlossen wurde. Demnach soll der jährliche Beitrag vor allem der Industriestaaten bis 2035 auf mindestens 300 Milliarden US-Dollar erhöht werden. Das Ergebnis wurde scharf kritisiert. Wilmes zog gestern im Tageblatt-Interview Bilanz.
Tageblatt: Herr Minister, viele sind enttäuscht vom Ergebnis der diesjährigen UN-Klimakonferenz in Baku (COP29), nicht zuletzt die zahlreichen Nichtregierungsorganisationen. Sehen Sie das anders?
Serge Wilmes: Es ist sicherlich kein historisches Abkommen, das zustande kam, aber wenigstens ein kleiner Schritt nach vorn. Für Luxemburg und die Europäische Union bestand das Ziel darin, dass es überhaupt zu einem Beschluss kam. Wenn wir dieses Jahr keine Einigung gefunden hätten, würden wir sie nächstes Jahr erst recht nicht mehr finden.
Weil dann Donald Trump US-Präsident sein wird?
Ja, aber auch wegen anderer Faktoren. Schließlich haben wir eine weltpolitisch angespannte Situation. Die BRICS-Staaten etwa haben ihre eigenen geopolitischen Strategien und wollen nicht mehr unter der Dominanz des Westens stehen. Sie streben selbst an, Dominanz auszuüben. Das war schon vor drei Wochen in Cali bei der COP16-Biodiversitätskonferenz zu erkennen, als sich Brasilien klar dagegen wehrte, dass es zu einer Einigung über die Finanzierung kommen würde unter der „Global Environment Facility“ (GEF), dem größten Fonds zur Finanzierung von Umweltschutzprojekten in Entwicklungsländern, sondern verlangte, dass ein weiterer Fonds unter Obhut der Vereinten Nationen gegründet wird, dessen Konditionen nicht mehr so strikt wie bei der GEF sind. Auch bei der COP29 wollten sie, dass die Finanzmittel nicht zu sehr mit Kriterien verknüpft sind. Andererseits wollen die weltweiten Geberländer, dass die finanziellen Hilfen mit Auflagen verbunden sind. Schließlich handele es sich um Steuergelder. Das war sehr umstritten. Hinzu kam, dass Saudi-Arabien sich für letztes Jahr revanchierte, weil es damals nicht zuletzt von den Gastgebern aus den Vereinigten Arabischen Emiraten dazu gezwungen wurde, die Reduzierung der fossilen Energien in den Beschluss mit aufzunehmen. Das hatte Saudi-Arabien unbedingt vermeiden wollen. Deshalb hat es sich jetzt mit Händen und Füßen gegen Fortschritte bei der Senkung der CO2-Emissionen gewehrt. Aber für diese Reduktion ist die COP eigentlich da.
In der Hinsicht ist man aber nicht weitergekommen.
Ja. Zwar sind wir bei der Klimafinanzierung weitergekommen, aber nicht bei der Reduzierung der CO2-Emissionen, um die Erderwärmung auf 1,5 Grad im Vergleich zur vorindustriellen Zeit zu begrenzen.
Aber selbst in der Finanzierung hat man mit den 300 Milliarden US-Dollar bis 2035 nicht das erreicht, was von den Entwicklungsländern gefordert worden war. Diese waren ursprünglich von 1,3 Billionen Dollar ausgegangen. Müsste man mittlerweile nicht die Gruppe der Geberländer erweitern? Schließlich gehören etwa Brasilien und China zu den größten Verursachern von Treibhausgasemissionen.
Auch das war ein Streitpunkt, etwa diese Gruppe der Geberländer zu erweitern, eben durch China, Brasilien und die Golfstaaten. Nur geht man immer noch von der Konvention aus dem Jahr 1992 aus, als die OECD-Länder am weitesten entwickelt waren. Das sind 36 Länder, zu denen wir auch gehören. Damals galt China noch als ein Entwicklungsland, heute ist es die zweitgrößte Industrienation und der größte Verursacher von CO2-Emissionen. Sie geben zwar etwas über die Asiatische Entwicklungsbank und haben bilaterale Wirtschaftsprojekte mit Ländern in Afrika, bei denen es auch darum geht, den Klimawandel zu bekämpfen. Man kann sie also nicht dazu zwingen. Zumindest haben wir in den Abschlusstext mit aufgenommen, dass sie freiwillig mehr geben und dass das, was sie im Rahmen ihres Süd-Süd-Programms geben, in die 300 Milliarden Dollar mit eingerechnet wird. China ist aber noch immer kein Geberland, denn dann müsste die gesamte Liste geändert werden. Das würde China nie überarbeiten.
Damals (1992) galt China noch als ein Entwicklungsland, heute ist es die zweitgrößte Industrienation und der größte Verursacher von CO2-Emissionen
Müsste man nicht das ganze Konzept der UN-Klimakonferenzen überdenken?
Man müsste verschiedene Dinge neu angehen, etwa wie die COP organisiert wird und abläuft, aber auch die Zahl der Teilnehmer. Schließlich waren dieses Jahr 60.000 bis 70.000 Menschen vor Ort. Das könnte auch mit weniger funktionieren. Außerdem müsste man darüber nachdenken, wie die COPs verteilt werden und wo sie stattfinden. Dieser Schlüssel stammt noch aus den 70er Jahren. Es sollte ein Minimum an Kriterien erfüllt werden, dass ein Land zum Beispiel demokratisch sein sollte und dass es Journalisten zulässt. Jetzt in Aserbaidschan wurden zum Beispiel Journalisten des Landes verwiesen oder konnten Politiker, die sich vorher kritisch geäußert haben, erst gar nicht einreisen. Das darf nicht sein. Die UNO muss garantieren, dass jeder hinkommen kann, der akkreditiert ist.
Nicht zu vergessen ist, dass die COP die vergangenen beiden Male in Ländern stattfand, die hauptsächlich als Exporteure fossiler Energiequellen bekannt sind.
Das kann aber auch einen positiven Effekt haben. Zum Beispiel wollten die Emirate in Dubai 2023 sich als Land zeigen, das vorankommt, und damit ihr Image verbessern. Die aserbaidschanische Präsidentschaft war dagegen komplett überfordert. Sie hatten keinen Plan, außer dass sie wahrscheinlich ferngesteuert waren durch Russland, den großen Bruder im Hintergrund, und durch Saudi-Arabien. Man hatte immer das Gefühl, als sei bewusst Chaos produziert worden, und am Ende sollte nur ein striktes Minimum herauskommen, um dem Westen zu zeigen, dass dieser die neue Weltordnung nicht mehr diktiert. So nach dem Motto: Ihr habt jahrzehntelang vom Öl profitiert, ihr könnt uns jetzt nicht belehren. Eine Realität ist schließlich, dass auch europäische Staaten Gas und Öl fördern. Wenn aber uns Hypokrisie vorgeworfen wird, dann kann man das auch diesen Staaten. Im Endeffekt sind es autoritäre Staaten, die Greenwashing betreiben, um ihr Image zu verbessern.
Welche Rolle kommt da noch der UNO zu?
Sie bildet als einzige internationale Organisation noch den Rahmen für die ganze Welt, innerhalb dessen alle Länder gezwungen werden, miteinander zu reden. Wenn jemand glaubt, es sei besser, wenn man das Format der Konferenz verkleinern sollte und nur noch die großen Staaten teilnehmen, dann wäre dies ein großer antidemokratischer Schlag. Vom Gros der Länder, die dann keine Stimme mehr hätten …
… etwa Luxemburg …
…, bis zu all den kleinen Ländern, die unterm Klimawandel leiden. Bei der COP sind sie dabei. Wir können nicht einfach sagen, dass ihre Stimme nicht zählen soll. Jedes Land zählt mit einer Stimme. Das COP-Format sollte vielleicht angepasst und leicht verändert werden, aber auf keinen Fall infrage gestellt oder gar abgeschafft. Das wäre fatal. Ohne die COPs wären wir heute nicht mehr beim 1,5-Grad-Ziel der Erderwärmung, sondern bei drei oder vier Grad. Die Protokolle und Konventionen von Paris bilden Rahmenprogramme, die die Welt in eine andere Richtung bewegen. Wenn es sie nicht geben würde, wäre die Welt eine andere.
Beim Ausstieg aus den fossilen Energieträgern ist man keinen Schritt vorangekommen.
Das ist richtig und auch das, was wir kritisieren. Es ist allerdings auch nicht infrage gestellt worden. Der Konsens vom vergangenen Jahr in Dubai steht noch und ist die Basis für die COP30 nächstes Jahr in Belém. Dann wird über die Reduktionsziele und über die National Determined Contributions (NDC) gesprochen. Die Europäische Union muss diese vereint, mit den einzelnen nationalen Plänen, vorantreiben.
Wie sieht es mit dem luxemburgischen Plan aus?
Unseren integrierten nationalen Energie- und Klimaplan (PNEC) haben wir schon dieses Jahr angepasst und nach Brüssel geschickt. Die 27 PNECs werden als Basis für einen EU-weiten Plan herangezogen, wie wir die Emissionen senken und die Erderwärmung bremsen können. Die NDCs werden nächstes Jahr Hauptthema sein. Bis dahin wird die Roadmap „Baku to Belém“ festgeschrieben. Im Sekretariat, das in Bonn sitzt, werden dazu Konferenzen stattfinden, in denen es darum geht, wie die Lücke zwischen den 300 Millionen Dollar und dem Bedarf, der über eine Billion Dollar hinausgeht, gefüllt werden kann. Und dies hauptsächlich aus privater Hand.
Woher sollen die Gelder kommen?
Es kann nur mit einem Summenspiel aus öffentlichen wie auch privaten Geldern gehen. Die öffentliche Hand kann niemals den gesamten Bedarf tragen. Es muss ein großer Beitrag aus privaten Quellen sein. Es ist ja tatsächlich so, dass weltweit viel mehr private Gelder im Umlauf sind. Es sind auch private Unternehmen und Fonds, die für die Treibhausgas-Emissionen mitverantwortlich sind und somit ihren Beitrag leisten müssen. Öffentliche Summen können eingesetzt werden, um Private an Bord zu kriegen, weil sie Vertrauenswürdigkeit ausstrahlen. Wenn zum Beispiel ein Staat wie Luxemburg zusammen mit einer EIB (Europäische Investitionsbank) eine Plattform auf die Beine stellt, kann dies zu einem sogenannten Leverage-Effekt führen, der dann statt hundert Millionen sogar Milliarden an Bord ziehen kann. Konkret: In die Luxembourg EIB Climate Finance Platform haben wir 50 Millionen Euro eingezahlt, die EIB 350 Millionen Euro. Damit haben wir bereits neun Milliarden Euro an privaten Mitteln mobilisiert. Ziel ist es, auf 13 Milliarden Euro zu kommen. Dann hätten wir einen Mobilisationseffekt des 193-Fachen durch die private Ressourcenmobilisierung.
Klima hat keine Grenzen und der Klimawandel auch nicht. Das Problem ist vom Menschen gemacht und kann auch von den Menschen wieder gelöst werden. Denn die Auswirkungen betreffen uns alle.
Klimaschutz als Public-private partnership.
Genau. Blended Finance.
Viele Klimaexperten halten das 1,5-Grad-Ziel bereits für unrealistisch. Kann es überhaupt noch aufrechterhalten werden?
Ja. Wenn wir es aufgeben würden, dann verwässern wir unsere Ziele noch mehr. Auch wenn wir uns bewusst sind, dass es nicht schnell genug geht. Das Abkommen besagt eine Senkung um deutlich mehr als zwei Prozent. Wenn wir darüber hinausgehen würden, riskierten wir noch mehr an Kipppunkte zu gelangen, die irreversible Schäden mit sich bringen. Allerdings können selbst Wissenschaftler nur schwer sagen, wann solche Kipppunkte ausgelöst werden. Wir sollten also das 1,5-Grad-Ziel beibehalten und nicht jetzt schon sagen, dass wir es sowieso nicht erreichen.
Was sind die Hausaufgaben für Luxemburg bis zur nächsten COP?
Auf der einen Seite haben wir unsere nationale Klima- und Umweltpolitik. Die einzelnen Konventionen haben zusätzliche positive Nebeneffekte. Wenn ich für die Biodiversität kämpfe, dann tue ich auch etwas für die Klimapolitik, und wenn wir versuchen, den CO2-Ausstoß zu senken, stärke ich auch die Artenvielfalt. Wir sollten in dieser Hinsicht mehr Synergien ansteuern. Heute gibt es finanzielle Mittel für Biodiversität und für Klimaschutz, hinzu kommt noch der Landverbrauch, wozu es im Dezember eine dritte COP gibt. Das eine kommt dem anderen zugute. Wir sollten das nicht getrennt, sondern zusammen denken. Daher gehört Luxemburg zu den Ländern, die sich dafür einsetzen, den Geist von Rio 1992 wiederzubeleben. Alle drei wurden auf dem damaligen Erdgipfel, der Konferenz für Umwelt und Entwicklung, gegründet. Alles hängt zusammen. Es ist ein Ganzes. Wir möchten, dass über das Ganze gesprochen wird. Wir gehören international in der EU neben Dänemark zu den wenigen Ländern, die sich bereits vor der COP engagiert haben, hundert Millionen Euro in einer Progression zu geben. Wie schon in den vergangenen zehn Jahren: 2014 waren es 120 Millionen Euro für internationale Klimafinanzierungsprojekte, 2019 schon 220 Millionen Euro, für die nächsten fünf Jahre sind es 320 Millionen Euro.
Wenn ich für die Biodiversität kämpfe, dann tue ich auch etwas für die Klimapolitik, und wenn wir versuchen, den CO2-Ausstoß zu senken, stärke ich auch die Artenvielfalt
Sie bezeichnen Luxemburg und Dänemark innerhalb der EU als Vorreiter im Klimaschutz?
Ja, wir haben die Verpflichtungen eingehalten und haben zusammen mit Dänemark Leadership gezeigt, denn wir reden nicht nur, wir handeln. Dank dem Einsatz der Europäischen Union als Team kam es zu der Einigung. Die EU hat Leadership bewiesen, und diese strebt sie gemeinsam mit China für die nächsten vier Jahre an. Wir dürfen nicht nachgeben, sondern müssen voran.
China ist inzwischen ein Vorreiter in Sachen erneuerbare Energien.
Ja, aber wir auch. Hundert Millionen Euro sind als nackte Zahl viel. Mit jährlich hundert Euro pro Kopf sind wir darin Weltmeister. Aber nicht des Titels wegen. Wir haben schließlich einen großen Wohlstand, den wir auch mit Ölprodukten erreicht haben. Deshalb tragen wir Verantwortung und haben Verpflichtungen. Wir müssen aber auch unseren Mitbürgern versichern, dass diese Gelder zusammen mit vertrauenswürdigen Partnern investiert werden, mit der Europäischen Investitionsbank, mit der Weltbank, mit den Vereinten Nationen selbst. Und an denen große Fonds mit Kriterien hängen. Das sind konkrete Investitionen wie zum Beispiel in Ruanda, wo wir dieses Jahr in Kigali mit dem Global Green Growth Institute ein Projekt über Müllverwertung finanzieren und eingeweiht haben. Klima hat keine Grenzen und der Klimawandel auch nicht. Das Problem ist vom Menschen gemacht und kann auch von den Menschen wieder gelöst werden. Denn die Auswirkungen betreffen uns alle.
*1,5-Grad-Ziel wird das Klimaziel genannt, den menschengemachten globalen Temperaturanstieg durch den Treibhauseffekt im 20-Jahres-Mittel auf 1,5 Grad Celsius im Vergleich zum Beginn der Industrialisierung bis zum Jahr 2100 zu begrenzen. Auf der COP21 in Paris 2015 hatten fast alle Staaten der Erde mit dem Übereinkommen von Paris einen Vertrag unterzeichnet, nach dem sie Anstrengungen zum Erreichen des Ziels unternehmen wollen (ursprünglich Zwei-Grad-Ziel).
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