Stëmm vun der Strooss / Corona am Rande der Gesellschaft: Gegessen wird in 25er-Gruppen und mit Abstand
Die Räumlichkeiten der „Stëmm vun der Strooss“ in der Rue de la Fonderie dienen vielen Bedürftigen in der Nähe des hauptstädtischen Bahnhofs als Anlaufstelle. Vor allem mittags, wenn die Menschen sich dort für einen kleinen Betrag eine warme Mahlzeit kaufen können, bilden sich lange Warteschlangen.
Wegen der Corona-Pandemie dürfen nur noch 25 Personen zur gleichen Zeit in den 118 Leute fassenden Speisesaal. Um dennoch jedem eine warme Mahlzeit bieten zu können, wurde die Aufenthaltszeit begrenzt. 25 Minuten bleiben den Menschen Zeit, um ihr warmes Mahl zu verzehren. Die noch verbleibende Zeit wird auf einem Bildschirm über dem Empfang eingeblendet. An den Tischen wurden blaue Smileys festgeklebt, um zu zeigen, wo man sich hinsetzen darf. Jeder sitzt alleine vor seinem Teller und isst. Für Gespräche oder sonstige sozialen Interaktionen bleibt keine Zeit. Nach dem Essen stehen alle auf, räumen ab und verlassen den Speisesaal. Auf der Straße stehen schon die nächsten Hungrigen in der immer länger werdenden Warteschlange. Bevor die nächsten 25 Personen eintreten dürfen, werden alle Tische wieder desinfiziert.
„Während des Lockdowns war das Zentrum für mehrere Wochen für die Besucher geschlossen. Die Essensausgabe wurde jedoch auch während dieser Zeit garantiert. Das Essen wurde in diesen Wochen von unseren Mitarbeitern auf der Straße ausgeteilt. Die Menschen haben dann stehend in den angrenzenden Straßen gegessen. Die Anwohner haben sich jedoch über den Müll und die Geräuschkulisse beschwert. Aus diesen Gründen hatten wir Mitte Mai beschlossen, den Speisesaal wieder zu öffnen. Wenn auch nur für maximal 25 Personen. Aufgrund der längeren Öffnungszeiten schaffen wir es trotzdem, rund 100 Menschen täglich zu bedienen“, erklärt Arnaud Watelet, Verwaltungs- und Finanzdirektor der „Stëmm vun der Strooss“. Besonders stolz ist der Direktor darauf, dass während der gesamten Pandemie der Betrieb gewährleistet werden konnte und dass sich niemand von den Angestellten mit dem Virus infiziert hat. „Das zeigt, dass die Maßnahmen wie Mundschutz, Sicherheitsabstand und das regelmäßige Desinfizieren der Hände Früchte tragen, weil wir ja an der sogenannten First Line gearbeitet haben.“
Nicht nur Corona macht den Menschen momentan auf der Straße zu schaffen. Auch die Hitzewelle fordert ihren Tribut. Hier macht den Verantwortlichen besonders die maximale Aufenthaltszeit von 25 Minuten Sorgen. „Niemand kann in dieser kurzen Zeit entspannen und neue Kräfte sammeln. Vor der Pandemie durften die Bedürftigen so lange bleiben, wie sie wollten. Die „Stëmm“ soll allerdings auch ein Ort sein, wo Kontakte gepflegt werden. Jetzt sind die Obdachlosen und die sozial Schwachen nur sich selbst und der Hitze ausgesetzt. Wir können nur viel Wasser anbieten und weitere Aufklärungsarbeit leisten“, sagt Watelet.
Momentan stehen die Wartenden noch geduldig und mit Maske vor der „Stëmm“. Doch das könnte sich ändern, wenn die Temperaturen sinken und es wieder mehr regnet, warnt Watelet. „Durch die nötigen Hygienemaßnahmen fehlt uns der Platz, alle Bedürftigen zu versorgen. Die Gemeinde Luxemburg hat uns einen Raum für weitere 30 Personen in Aussicht gestellt. Diesen können wir ab September nutzen. Anders sieht es in Esch aus: Dort sind unsere Räumlichkeiten noch immer geschlossen und die Bedürftigen müssen auf der Straße essen. Um Konfliktpotenzial zu vermeiden, muss hier noch eine andere Lösung gefunden werden.“
102 Nationen
Um die Einrichtungen der „Stëmm vun der Strooss“ zu entlasten, könnte die „Wanteraktioun“ in diesem Jahr früher öffnen als die Jahre zuvor. Im „Centre d’accueil de nuit“ am Findel können zu normalen Zeiten 180 Menschen übernachten. Bei Bedarf kann die Unterkunft auf bis zu 200 Betten aufgestockt werden. Durchschnittlich wurde das Angebot vergangenen Winter von rund 100 Personen pro Nacht genutzt.
Menschen aus 102 Nationen haben vergangenes Jahr die Räumlichkeiten der „Stëmm vun der Strooss“ aufgesucht. 25 Prozent aller Bedürftigen besitzen einen luxemburgischen Pass. Der 31-jährige Stevie ist einer von ihnen. Er ist schon seit Jahren auf die Unterstützung der „Stëmm“ angewiesen. „Ich habe ein Jahr auf der Straße gelebt. Jetzt suche ich einen Job, als Gärtner, doch ich bekam bislang nur Absagen wegen der Corona-Krise. Während des Lockdowns haben wir noch viel Unterstützung erhalten. Die Solidarität nimmt jedoch spürbar ab“, so Stevie. Doch er sieht auch die positiven Seiten. „Früher war hier immer viel los. Manchmal saßen 20 Leute an einem Tisch. Jetzt ist es viel entspannter. Ich würde den Mindestabstand auch nach dem Virus beibehalten“, sagt der 31-Jährige lachend und dreht sich um, um zu gehen. Auf dem Monitor mit dem Countdown läuft gerade die letzte Minute an.
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