Paukenschlag im Parlament / CSV-Vorstoß macht Verfassungsreferendum wahrscheinlicher
Eigentlich war der prozedurale Weg klar. Ein erstes Kapitel der Verfassungsreform sollte am Mittwoch mit Zweidrittelmehrheit vom Parlament verabschiedet werden. Mittels einer zweiten Lesung sollte der Text dann in die überarbeitete Konstitution einfließen. Drei weitere Kapitel sollten den gleichen Weg ins Grundgesetz nehmen. Eine überraschende Ankündigung des CSV-Präsidenten Claude Wiseler wird nun aber voraussichtlich manches über den Haufen werfen.
51 Abgeordnete stimmten nach den Debatten für das überarbeitete Kapitel 6 der Verfassung, die Justiz betreffend. Die vier ADR-Politiker stimmten dagegen und die beiden Abgeordneten von „déi Lénk“ enthielten sich. Somit hat ein Teil der Reform eine erste Hürde genommen. Nach einer Frist von drei Monaten muss der Text ein weiteres Mal vom Parlament angenommen werden, um Gültigkeit zu haben. Es gibt aber noch eine weitere Möglichkeit …
Bis auf die ADR und in Teilaspekten die Linke sprachen sich alle anderen Parteien für die inhaltlichen Änderungen aus, die den zwar oft abgeänderten, aber initial aus dem Jahr 1868 stammenden Verfassungstext Luxemburgs im juristischen Bereich modernisieren und fit fürs 21. Jahrhundert machen soll.
Vor dem Parlament hatten sich einige Aktivisten versammelt, die für ein Referendum (eine mögliche Alternative zur zweiten Lesung im Parlament) eintraten. Besonders die ADR hatte sich während der letzten Monate für eine Volksbefragung starkgemacht, während der Debatten sprachen sich auch die Piraten für den Einsatz eines solchen Instrumentes aus. Die Linke, die vor wenigen Jahren einen eigenen Text zur Verfassungsreform präsentiert hatte, monierte, es habe zu wenig Bürgerbeteiligung im Vorfeld der Sitzung beziehungsweise der Präsentation des Textes gegeben.
Eigentlich hatte es bereits vor den Wahlen 2018 einen Konsens zwischen den vier größten Parteien (CSV, LSAP, DP, Grüne) zu einem maßgeblich unter der Leitung von Alex Bodry (LSAP) und Paul-Henri Meyers (CSV) ausgearbeiteten globalen Reformvorschlag der Konstitution gegeben; ein Referendum über diesen Gesamttext war vorgesehen. Nach den Wahlen zog die CSV ihre Zustimmung allerdings zurück. Um die enorme Vorarbeit aber wenigstens teilweise zu retten und um nicht weiterhin an dem Uralt-Text herumdoktern zu müssen, wurde in der Institutionenkommission, unter Leitung von Mars Di Bartolomeo, ein neuer Konsens über zu reformierende Teile gesucht und gefunden. Mehrheitsparteien und CSV waren sich so über vier Reformkapitel einig geworden, von denen das erste, das juristische, gestern zur Abstimmung kam.
Wie Mars Di Bartolomeo auf der Tribüne erklärte, würde diese Aufsplitterung der Reform in vier Teile aber auch bedeuten, dass ein Referendum nun kaum mehr durchführbar sei, die Fragestellung eine komplizierte würde. Er verwies aber auch auf die prozeduralen Möglichkeiten, die in der aktuellen Verfassung für das Abhalten eines Referendums eingeschrieben sind: Wenn 16 Abgeordnete dies schriftlich fordern, wird eine Volksbefragung abgehalten.
„Sollte ein großer Wille bestehen …“
Diesen Weg zum Referendum werde die CSV beschreiten, sollte „ein großer Wille“ seitens der Bevölkerung zu einer Volksbefragung über die Verfassung bestehen. Mit dieser Aussage überraschte CSV-Präsident Claude Wiseler im Anschluss an die eigentlichen Debatten über den Verfassungstext. Messen will die CSV diesen Willen an der Zahl der Unterschriften – von volljährigen Unterzeichnern, wie Wiseler einschränkte –, die bei der seit drei Wochen laufenden elektronischen Petition für ein Verfassungsreferendum eintreten. Für den Fall, dass 25.000 Unterschriften in den kommenden drei Wochen zusammenkommen, werde die CSV für ein Referendum eintreten, dies habe die Partei nach langen Diskussionen beschlossen. Bisher wurden knapp 7.000 Unterschriften abgegeben.
Wie dies praktisch geschehen soll, darüber mussten sich die CSV-Politiker nach Nachfragen schnell und halbwegs diskret während der laufenden Sitzung beraten. Ein Referendum, eventuell mit mehreren Fragen, solle es für den Fall geben, so Michel Wolter, der sich ebenfalls in die Diskussion einmischte, und ganz nebenbei eine Debatte über den Reformvorschlag der Verfassung aus der Feder von „déi Lénk“ forderte. Eine legale Prüfung der Vorgehensweise sei aber noch nötig.
Wiseler bestätigte sinnigerweise, Wolter habe die Meinung der Partei wiedergegeben, während die neuerdings zwei CSV-Fraktionschefs Martine Hansen und Gilles Roth vielsagende Blicke austauschten. Im Falle eines Referendums werde die CSV für ein „Ja“ zum Text werben. Er wolle die gute Zusammenarbeit mit den drei Mehrheitsparteien in der Verfassungsfrage beibehalten, erklärte der Parteipräsident nach der überraschenden Initiative noch.
Marc Goergen von den Piraten, die ebenfalls für die Zustimmung der Bürger werben wollen, jubilierte über die neue Lage, während Fernand Kartheiser die vorbereitete ADR-Strategie umsetzte und als „Député initiateur“ schon mal eine erste der 16 nötigen Unterschriften an den Kammerpräsidenten überreichte.
Zwei nicht kompatible Prozeduren
Mars Di Bartolomeo machte in einer ersten Reaktion vor dem Plenum schon mal darauf aufmerksam, welche Probleme die Ankündigung der Christsozialen bedeute. Bei den elektronischen Petitionen dürfen alle Einwohner des Landes, unabhängig von ihrer Nationalität und älter als 15, mitmachen. So würde de facto das Ausländerwahlrecht eingeführt; ein Vorschlag, der ebenso wie das Wahlrecht ab 16 beim Referendum von 2015 mehrheitlich abgelehnt worden war.
Das somit eigentlich von den Mehrheitsparteien nicht mehr vorgesehene Referendum rückte somit während der Parlamentssitzung in greifbare Nähe.
Der CSV-Vorstoß, aber nicht nur er, führte zum Ende der Sitzung, die eigentlich recht konsensuell mit der Vorstellung des Textes durch den CSV-Abgeordneten Léon Gloden begonnen hatte, zu heftiger Polemik und verbalen Auseinandersetzungen. So kritisierte Pirat Sven Clement Aussagen von Alex Bodry in einem Tageblatt-Interview und warf ihm vor, dem Parlament „vom bequemen Staatsratssofa aus“ gute Vorschläge unterbreiten zu wollen. Was wiederum Simone Beissel (DP) auf den Plan rief, die den früheren Präsidenten der Institutionenkommission vehement verteidigte und seine Verdienste um die Verfassungsreform hervorhob.
ADR-Sprecher Fernand Kartheiser hatte während seiner Intervention auf Polemik verzichtet; aus Gründen der beschränkten Redezeit, wie er unterstrich. Und in der Tat verzichtete er auf Reaktionen zu den teils heftigen Vorwürfen, die aufgrund von Behauptungen während der seit Monaten laufenden Referendum-Kampagne seiner Partei auf ihn einprasselten.
„An et hat esou gutt ugefaang …“
Justizministerin Sam Tanson („déi gréng“), die vor der Abstimmung sprach, trat mit einem kaum hörbaren und dennoch vernehmlichen „An et hat esou gutt ugefaang …“ ans Rednerpult, wo sie den Text ausführlich lobte.
Die Hauptaspekte des gestern diskutierten und verabschiedeten Textes, der im Übrigen vor der zweiten Lesung (oder dem Referendum) ausführlich öffentlich präsentiert werden wird – u.a. wird der Inhalt am kommenden Samstag und Montag in Anzeigen in der Presse erläutert werden –, sind die erstmalige konstitutionelle Festlegung der Unabhängigkeit der Justiz als eigenständige gesellschaftliche Macht, neben Exekutive (Regierung) und Legislative (Parlament), die Schaffung eines Nationalen Justizrates, der u.a. über die Ernennung der Richter und ihre Laufbahnen entscheiden wird, die Festschreibung der Unabhängigkeit der Staatsanwaltschaft in ihrer Arbeit, dies allerdings unter politischer Aufsicht seitens des Justizministers, und die Festlegung der Unschuldsvermutung als konstitutionelles Prinzip.
Revolutionär Neues enthält das Kapitel nicht. Allerdings würden, so unterstrichen viele der Redner, die Unabhängigkeit der Justiz und somit auch die Rechte der Bürger und die Demokratie gestärkt.
Einige Redner, so auch der Präsident der Institutionenkommission Mars Di Bartolomeo, verwiesen auf weitere Aspekte, auf andere Kapitel der Verfassungsreform, wie die Einschreibung des Tierschutzes ins Grundgesetz, das Ziel des Klimaschutzes, die Kinderrechte, den Stellenwert der Kultur oder die Bedeutung der Forschung. Es seien, im Gegensatz zu manchen Falschmeldungen, „keine Grausamkeiten in einer Hexenküche“ gebraut worden. Charles Margue („déi gréng“) benannte einige dieser „Fakes“: Eltern würde nicht das Sorgerecht entzogen, es werde weder eine allgemeine Impfpflicht im Text vorkommen, noch würden bürgerliche Freiheiten eingeschränkt; das Gegenteil sei der Fall.
Nathalie Oberweis („déi Lénk“) verwies auf den alternativen Verfassungstext ihrer Partei, der moderner und fortschrittlicher als der vorliegende sei.
Weitere drei Kapitel der Verfassungsreform werden noch im Parlament verabschiedet werden – in erster Lesung. Wie es prozedural mit der überarbeiteten Konstitution weitergeht, bleibt bis auf weiteres offen.
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Traurig dass die CSV 25.000 Unterschriften benötigt um sich klar dafür oder dagegen zu positionieren.
Referendum, das wird dauern. Worüber wird denn nun konkret das Volk befragt werden? Verfassung ändern oder nicht? Dann müsste ja jeder seine Verfassung aus dem FF kennen. Habe weder die alte noch die neue Version vorliegen, bis man die durchgekaut hat, das wird jede Menge Zeit kosten. Also Verfassung her, liebe Post, ihr kriegt was zu tun. Werde den Gaston mal fragen ob er mir alle Spitzfindigkeiten der beiden Texte erklären kann. Hallo, Herr Vogel, sind Sie noch da?
Sehr schöne Geschichte, oder wie die Schildbürger endlich das Licht in ihr Rathaus brachten! Viel Arbeit für die Herren Wiseler, Kartheiser, Clement und Co. Und die Linken ziehen den Schwanz ein, Enthaltung, warum? Wissen die auch nicht was in den neuen Texten steht?
@Grober,
Nein. Der Gaston wird weggesperrt weil er seine Meinung gesagt hat.Sie dürfen also nicht mehr damit rechnen dass er noch einmal den Mund aufmacht.Jedenfalls nicht auf seine herzhafte Weise.
Das Parlament sollte zuerst die Republik ausrufen und dann die Verfassung anpassen.Das wäre ein Vorstoß.
Von einem Prozess um stinkende Lumpen ablenken und Zeit schinden bis zu den kommenden Wahlen, in der Hoffnung die eigene Unterschrift unter die Verfassung zu setzen.
Firwat wiële mer eigentlech nach Volléksvertriëder*innen fir an eng Regierung, wa mer no all hierer Arbëcht, hierem Asaatz an hieren Décisiounen mussen e Referendum nodrécken, fir alles wat se fir eis als Wiëler*inne maan domat dann nees a Fro ze stellen? Entweder mir gin eise Politiker*innen eist Vertrauen, oder mir gin hinnen et net, a wat as dat fir eng Demokratie wann da Parteien wéi Lénk,Piraten an ADR déi et sou just an d’Chamber packen, alles kënnen zum Onwee maan? Sin mol gespaant wéivill vun deenen déi lo fir all Schissi jäitzen a mat Jenni a Menni ob d’Strooss gin, bei den nexte Wahlen ob enger Lëscht stinn fir sech fir „hiert“ Vollék anzesetzen a fir alles besser ze maan?
Nun hat die csv also dazu gelernt.
Man musste sich ohnehin fragen,warum die 4 grossen parteien solch eine angst vor dem referendum haben,wo sie doch mit sicherheit eine grossartige neue verfassung ausgearbeitet haben.
Angst vor den miniparteien adr,lenk oder piraten wird es wohl doch nicht sein.
@ Klod
„Man musste sich ohnehin fragen,warum die 4 grossen parteien solch eine angst vor dem referendum haben,wo sie doch mit sicherheit eine grossartige neue verfassung ausgearbeitet haben.“
Die Verfassung ist gut, nur die Bevölkerung hat zur Hälfte einen IQ von unter 100, 10% sogar unter 83, die sollte man besser nicht fragen.