Luxemburg / Damit Leid bewiesen werden kann: Dienst „Umedo“ hilft bei häuslicher Gewalt und nach Sexualdelikten
Wer Gewalt oder Missbrauch erleben musste, ist unmittelbar nach einer Tat nicht immer bereit dazu, juristische Schritte gegen die Tatperson einzuleiten. Damit Betroffene am Ende im Idealfall dennoch Gerechtigkeit erfahren können, hilft seit fünf Jahren „Umedo“ weiter.
„Auch wenn dieser blaue Fleck bald verschwunden ist, wird er in unseren Archiven bleiben.“ Mit diesem Satz will man bei der „Unité médico-légale de documentation des violences“ (Umedo) auf die Arbeit des Dienstes aufmerksam machen. Hinter dem genannten Schriftzug auf Bannern, Flyern und auf der eigenen Webseite ist ein Foto einer Frau zu sehen: Sie hat ein blaues Auge, die Lippe ist aufgesprungen. Nicht die einzige Art an Verletzungen, wie sie von „Umedo“ – der Untersuchungsstelle des „Laboratoire national de santé“ (LNS) für Opfer von Gewalt – seit fünf Jahren in Luxemburg dokumentiert werden.
Spuren nach Gewalttaten können nämlich auch ganz diskret ausfallen. Unauffälliger. Und sind dann trotzdem nicht weniger aussagekräftig, wie Rechtsmedizinerin Dr. Martine Schaul bei einer Konferenz zum fünfjährigen Bestehen des Dienstes am Mittwoch in Düdelingen unterstrich: „Unauffällige Stauungsblutungen beim Augenlid können darauf hindeuten, dass jemand so fest stranguliert wurde, dass es zu einem Blutstau im Kopf gekommen ist – und kleine Gefäße geplatzt sind. Die Abdrücke von Linien neben einem blauen Auge können vom Profil einer Schuhsohle kommen und auf Tritte ins Gesicht zurückgeführt werden. Rote Flecken am Gaumen können auf erzwungenes Eindringen in den Mund hinweisen.“
Typische Beispiele mehr oder weniger gut sichtbarer Folgen von Gewalt, wie sie dem Team von „Umedo“ durchaus bei der Arbeit begegnen. Und die es zu dokumentieren gilt. Denn: „Diese zeigen, dass auch diskrete Befunde sehr große Aussagekraft haben können. Denn es handelt sich um Verletzungen, bei denen ohne die detaillierte Dokumentation viel Information entgehen könnte.“ So lässt das Beispiel der kleinen Blutungen beim Augenlid laut Martine Schaul darauf schließen, dass es sich um einen „heftigen“ Angriff gehandelt hat – der auch zum Tod hätte führen können.
Beweise festhalten
Seit 2018 kümmert sich ein mittlerweile achtköpfiges Team beim LNS darum, solche Verletzungen, aber auch biologische Spuren nach Gewalttaten sowie Sexualdelikten zu dokumentieren: blaue Flecken, Wunden oder Sperma. „Belastbare Beweise“, wie Dr. Thorsten Schwark erklärt. Von Anfang an ist der Leiter der rechtsmedizinischen Abteilung am LNS bei der „Umedo“ dabei und hilft bei seiner alltäglichen Arbeit Opfer von Gewalttaten, die Folgen davon zu dokumentieren. Während zehn Jahren werden Fotos, Berichte und andere Dokumente aufbewahrt. Kostenlos und ohne Registrierung. Betroffene können jederzeit auf die vertraulichen Daten zugreifen, wenn sie zu einem späteren Zeitpunkt juristische Schritte einleiten wollen.
Nicht selten fällt der Gang zur Polizei im ersten Moment schwer – oft empfinden Opfer sexueller Gewalt Scham. „Sie befürchten, nicht ernst genommen zu werden, vor allem, wenn sie sich nicht mehr genau an das Erlebte erinnern. Was zum Beispiel beim Einsatz von K.-o.-Tropfen vorkommen kann. Diese können wir aber mit einer Blutprobe nachweisen.“ Doch auch bei häuslicher Gewalt wird laut Thorsten Schwark oft nichts gesagt. Aus Angst, die Familie zu zerstören. „Betroffene denken sich dann: ‚Ich kann doch meinen Ehemann, meine Frau oder meinen Sohn nicht anzeigen.‘“ Wer aus diesen oder anderen Gründen nicht zur Anzeigeerstattung bereit ist, kann die Folgen einer Gewalttat trotzdem dokumentieren lassen.
Sich bei „Umedo“ melden
Wenn Betroffene von körperlicher und/oder sexueller Gewalt Spuren davon dokumentieren lassen wollen, können sie das in Luxemburg bei „Umedo“ tun – um Beweise sicherzustellen, die später bei einer möglichen Anzeige oder vor Gericht verwendet werden können. Der kostenlose Dienst vom „Laboratoire national de santé“ (LNS) richtet sich ausschließlich an Erwachsene und sollte möglichst zeitnah in Anspruch genommen werden. Wer diesen nutzen will, kann rund um die Uhr unter der Handynummer 00352 621 85 80 80 einen Termin vereinbaren. Diese werden von speziell ausgebildeten und der ärztlichen Schweigepflicht unterliegenden Ärztinnen und Ärzten durchgeführt. Das entweder im LNS in Düdelingen (5, rue Louis Rech) oder in den Krankenhäusern in Esch, Luxemburg-Stadt oder Ettelbrück. Mehr Informationen gibt es unter umedo.lu und per Mail an info@umedo.lu. Eine andere Anlaufstelle kann weiter die Webseite violence.lu sein – auf der es unter anderem einen Überblick mit allen wichtigen Telefonnummern gibt.
Wie wichtig das sein kann, weiß Ana Pinto. Die Präsidentin der Opferhilfsorganisation „La voix des survivant(e)s“ hat elf Jahre lang finanzielle, psychische und sexualisierte Gewalt durch ihren damaligen Ehemann ertragen. Sie berichtet von Schlägen und tagelangem Eingesperrtsein ohne Essen. „Wie viele andere Opfer auch habe ich mehrmals Anzeige erstattet und diese aus Angst oder Scham wieder zurückgezogen.“ Ana Pinto konnte 2011 noch nicht auf einen Dienst wie „Umedo“ zurückgreifen und hatte keine Beweise für das Erlebte: „Es ist dann sein Wort gegen meines. Man denkt in solch einer Situation, dass einem ohnehin niemand glauben wird.“
Zeit schaffen
Um sich und ihren Sohn zu retten – und nach stärkenden Gesprächen mit einer Psychologin – entschließt sich Ana Pinto schließlich zum Gang vor Gericht. Die starke Frau weist darauf hin, wie schwer es in einer solchen Situation ist, mit einer fremden Person über das Erlebte zu sprechen. Und, dass das Zeit braucht. Zeit, während der Spuren verschwinden und Wunden heilen. Zeit, die die Betroffenen aber benötigen. An diesem Punkt hilft „Umedo“. Den Dienst können auch Menschen ohne Krankenversicherung oder festen Wohnsitz nutzen. Nur Kinder können nicht vorbeikommen – auch nicht im Beisein der Erziehungsberechtigten. Denn das Gesetz würde das Personal in dem Fall dazu verpflichten, Anzeige zu erstatten.
Das im Umgang mit Gewaltopfern geschulte Fachpersonal begegnet den Menschen mit der nötigen Empathie. Und obwohl man ihnen sehr wohl hilft, sieht sich „Umedo“ nicht als Opferhilfsorganisation im klassischen Sinn. „Wir sind unabhängige Sachverständige und dokumentieren neutral, was wir sehen. Das Team informiert aber über existierende Hilfsangebote“, erklärt Thorsten Schwark. Und erzählt weiter: „Oft waren sie noch nirgends und sind erleichtert über die Ratschläge. Das Wissen, dass alles unter vier Augen bleibt, hilft außerdem.“ Bei diesen Gesprächen nutzt das Team auch die Möglichkeit, die Menschen für ihre Situation zu sensibilisieren und sie darauf aufmerksam zu machen, das eigene Leben zu schützen.
Mit 98 Fällen in fünf Jahren zeigt sich allerdings, dass der Dienst wenig genutzt wird. Und das nicht etwa, weil es kaum solche Situationen in Luxemburg gibt. Denn alleine im Jahr 2022 wurden 983 Fälle von häuslicher Gewalt bei der Polizei registriert. In den fünf Jahren zwischen 2018 und 2022 – der Zeitraum, seitdem es „Umedo“ gibt – waren es 4.431. Und die verschiedenen Akteure im Bereich sind sich einig, dass die Dunkelziffer weitaus höher ausfällt. Auch aus diesem Grund soll das Angebot bekannter werden: durch eine vermehrte Präsenz in der Presse und in den sozialen Medien. Aber auch dadurch, dass das Personal in Krankenhäusern über das Angebot informiert wird und die Informationen aus erster Hand an Betroffene weitergeben kann. Sodass erfahrenes Leid am Ende bewiesen werden kann.
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